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Lililja machte sich Sorgen um Rafyndor.
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Als Skukius an diesem Abend erneut mit einer Absage von Rafyndor vor Lililja erschien und diese zudem in einer erschreckenden Nebulosität verharrte − „Rafyndor lässt sich für heute Abend entschuldigen. Er habe noch Arbeiten im Wald zu verrichten.“ − spürte sie, wie sich eine leise, doch beharrliche Sorge in ihr Herz stahl. Es war, als würde Rafyndor ihr bewusst aus dem Weg gehen.
Seit ihrer Kindheit waren sie einander nahe gewesen, hatten ihre Tage miteinander geteilt und später, als das Erwachsenenalter sie einholte, nahezu jeden Abend nach getaner Arbeit in gemeinsamer Stille oder lebhaftem Gespräch verbracht.
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Lililja schätzte diese Momente, in denen sie mit Rafyndor durch den Wald flanierte, mit ihm diskutierte oder schweigend verweilte, verbunden durch ein unsichtbares Band des Vertrauens und der Vertrautheit.
Damals, als Meister Lehakonos sowohl Pranicara als auch Rafyndor aus der Jada-Eiche befreit hatte, war ihr Rafyndor wie ein verletztes Blauschnäuzchen und ein verschrecktes Fledernäschen zugleich erschienen − ein Bild, das Lililja seither nicht mehr aus dem Gedächtnis gewichen war.
Schon damals hatte sie das Gefühl, ihn beschützen zu müssen. Selbst Pranicara, die ihm stets treu zur Seite stand, schien die wahre Zerbrechlichkeit seines Wesens nicht zu erkennen. Lililja jedoch sah es mit einer Klarheit, die sie bis heute begleitete. Rafyndor war sensibel, das hatte sie früh gespürt, und die vielen gemeinsamen Jahre hatten diese Einschätzung nur vertieft. In gewisser Weise fühlte sie sich für ihn verantwortlich, wie eine große Schwester für ihren kleinen Bruder.
Doch der schüchterne Junge von einst war längst zu einem stattlichen und imposanten Waldhüter herangewachsen, dessen Kenntnis des Waldes unübertroffen war. Dennoch, dachte Lililja mit einem sanften Lächeln, blitzte das verschreckte Fledernäschen zuweilen noch hervor, wenn ihn eine ungewohnte Situation aus dem Gleichgewicht brachte.
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Sie erinnerte sich an die Worte von Meister Lehakonos in der Kristallhöhle: „Rafyndor, ich vermute, dass du nicht unbedingt vor der Zaubergemeinschaft von euren Eindrücken von gestern berichten möchtest?“
Diese Bemerkung war mit so viel Weisheit und Feingefühl gesprochen, dass sie Rafyndor entlastet hatte, ohne ihn bloßzustellen. Lililja bewunderte den alten Lehrmeister dafür, wie er mit den Stärken und Schwächen eines jeden umzugehen wusste − eine Eigenschaft, die ihn für sie stets zu einem Vorbild gemacht hatte.
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Lililja erinnerte sich an die Worte Meister Lehakonos′, die er in der Kristallhöhle zu Rafyndor sprach.
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Und nun also diese zweite, so unbestimmt begründete Absage. Was mochte dahinterstecken?
Lililja ließ ihre Gedanken zum letzten gemeinsamen Abend schweifen. Hatte sie etwas gesagt oder getan, das Rafyndor verletzt haben könnte? Sie hatten über die bevorstehende Aufgabe des Schleiersturms gesprochen und über ihr kindliches Abenteuer, als sie einst versucht hatten, den Regenbogen zu fangen. Nichts in diesem Gespräch schien ihr geeignet, eine solche Distanz zu schaffen.
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Lililja überlegte, ob sie etwas gesagt oder getan hatte, das Rafyndor verletzt haben könnte.
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Allerdings − wenn sie genau darüber nachdachte, hatte Rafyndor sich tatsächlich merkwürdig verhalten. Sein plötzlicher Wandel, als er herzhaft gähnte und den Abend kurz darauf für beendet erklärte, war ihr aufgefallen, doch sie hatte es damals auf die Anspannung der bevorstehenden Aufgabe geschoben.
War dies der wahre Grund gewesen? Seit jenem Abend hatte sie ihn nicht mehr gesehen. Was war geschehen?
Lililja versuchte, sich an jedes Detail ihres letzten Gesprächs zu erinnern, an jedes Wort, jede Geste. Doch nichts, wirklich nichts, wollte ihr als Erklärung dienen.
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Es war ihr ein Rätsel, wie es zu dieser plötzlichen Distanz hatte kommen können. Rafyndor, so glaubte sie zumindest, hatte ihre gemeinsame Zeit doch ebenso geschätzt wie sie. Was hatte sich verändert?
Entschlossen, die Ungewissheit nicht länger hinzunehmen, fasste Lililja einen Entschluss. Sie würde Rafyndor aufsuchen, um zu sehen, ob es ihm gut ging − und vielleicht, nur vielleicht, den wahren Grund für sein merkwürdiges Verhalten erfahren.
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Doch als sie die Waldhütte erreichte, fand sie diese dunkel und verlassen vor. Sie erinnerte sich an die Worte von Skukius: Rafyndor sei im Wald beschäftigt.
Hatte sie übertrieben, seine Absage überinterpretiert? Möglicherweise war er tatsächlich in seine Arbeiten vertieft und hatte keine andere Wahl.
Lililja setzte sich auf die Holzbank vor der Hütte und wartete. Die Sterne zogen langsam am Himmel vorüber, und das Rascheln kleiner Nachttiere drang aus den nahen Büschen. Doch Rafyndor blieb aus.
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Rafyndors Waldhütte lag dunkel und verlassen da.
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Mit jeder vergehenden Minute wuchs die Unruhe in ihrem Herzen. Was, wenn ihm etwas zugestoßen war? Sie sah ihn vor ihrem inneren Auge verletzt unter einem Baum liegen, mit gebrochenen Beinen und einer blutenden Wunde am Kopf. Der Gedanke ließ sie schaudern. Doch wie sollte sie ihn finden, wenn der Wald so unermesslich groß war?
Lililja dachte an den Korvum-Raben Skukius. Wenn jemand den Waldhüter finden konnte, dann er.
Rafyndor hatte stets einen schrillen Pfiff auf den Lippen, um Skukius herbeizurufen, wann immer er dessen Dienste benötigte. Lililja jedoch war dieser Kunst nicht mächtig. Einst hatte Rafyndor versucht, sie darin zu unterweisen, doch trotz aller Bemühungen brachte sie nur einen atemlosen Hauch hervor, der weit entfernt war von dem durchdringenden Ton, den der Rabe verstand. Sie lächelte, als sie an Rafyndors ausgelassenes Lachen zurückdachte, das seine Belustigung über ihren misslungenen Versuch nur allzu deutlich gemacht hatte.
Schließlich hatte er ihr eine kleine Pfeife geschnitzt, kunstvoll aus Holz gefertigt, mit der sie den Raben jederzeit rufen konnte. Dieses Geschenk trug sie seither stets bei sich, wie einen stillen Beweis für ihre Verbindung.
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Lililja blies mitten in er Nacht auf einer Pfeife, die Rafyndor einst für sie geschnitzt hatte, um Skukius zu rufen.
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Nun nahm sie die Pfeife in die Hand, und mit der Berührung kehrte die Sorge um Rafyndor mit neuer Kraft zurück. Was mochte geschehen sein? Sie setzte die Pfeife an die Lippen, und ein klarer, durchdringender Ton erklang in die Stille der Nacht. Einen Moment später fühlte sie Reue. Die Tiere des Waldes, die sich gerade erst zur Ruhe gelegt hatten, würden sicherlich erschrocken sein. Ein flüsternder Ruf − „Maheravo Skukius!“ − hätte denselben Zweck erfüllt. Doch die Sorge hatte ihren Verstand vernebelt.
Es dauerte nicht lange, bis Skukius in seiner lautlosen, fast gespenstischen Art am Himmel erschien. Als er Lililja vor der dunklen Hütte sitzen sah, schien er bereits zu erahnen, warum sie ihn gerufen hatte.
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„Sei gegrüßt, Skukius“, sagte Lililja leise und doch eindringlich, während ihre Stirn von Sorgenfalten durchzogen war. „Verzeih, dass ich dich so spät noch bemühe. Doch ich mache mir große Sorgen um Rafyndor. Er ist noch nicht zurückgekehrt, obwohl die Nacht schon weit vorangeschritten ist. Vielleicht liegt er irgendwo verletzt im Wald und benötigt Hilfe. Bitte, suche nach ihm! Du findest ihn doch immer!“
Ihre Augen suchten hoffnungsvoll den Blick des Raben. Skukius nickte nur, erhob sich wieder in die Lüfte und verschwand in der Dunkelheit.
Lililja blieb zurück, allein auf der Bank vor der verlassenen Hütte, ihre Gedanken von Besorgnis und Unruhe umfangen. Die Zeit zog sich in endloser Stille, bis schließlich Skukius′ dunkle Silhouette am Himmel wieder erschien. Der Rabe setzte sich auf einen großen Stein vor ihr, sein Blick ruhig, seine Stimme besänftigend.
„Rafyndor geht es gut“, begann er mit jener tiefen Gewissheit, die für ihn so charakteristisch war. „Er sagte, er brauche Zeit für sich, um über einige Dinge nachzudenken. Dieses Mal kannst du ihm nicht helfen, Lililja.“
Ein spürbarer Stein fiel von ihrem Herzen. Rafyndor war unverletzt! Das war das Wichtigste. Und doch vermochten die Worte des Raben kaum, ihre Unruhe zu bannen. Warum, fragte sie sich, suchte Rafyndor dieses Mal keinen Trost bei ihr? Seit ihrer Kindheit war es stets sie gewesen, an die er sich gewandt hatte, wenn ihn etwas bedrückte. Was hatte sich verändert?
Dennoch entschied sie sich, seinen Wunsch zu respektieren. Wenn er bereit war, würde er von selbst zu ihr kommen. Daran hatte sie keinen Zweifel.
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Mit gemischten Gefühlen kehrte Lililja schließlich heim und suchte ihr Lager auf. Doch der Schlaf wollte sie nicht finden. Immer wieder trieb die Sorge um Rafyndor ihre Gedanken in düstere Szenarien. Als der Morgen dämmerte, hatte sie eine unruhige Nacht hinter sich, heimgesucht von wirren Träumen.
Mal hatte sie gesehen, wie Rafyndor von einem wilden Tier verschlungen wurde, ein anderes Mal stürzte er von einer hohen Klippe, und einmal trug ihn gar ein mächtiger Silberfederadler fort. Sie schüttelte den Kopf über die Absurdität dieser Bilder, doch der Schrecken, den sie in der Nacht ausgelöst hatten, wollte nicht weichen. Die Sorge um Rafyndor blieb wie ein Schatten über ihr. Sie konnte sein seltsames Verhalten einfach nicht begreifen.
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Lililja kehrte mit zwiespältigen Gefühlen in ihr Haus zurück.
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Lililja entschied, Pranicara aufzusuchen, Rafyndors Cousine und Seelenheilerin, die am Rand des Zentrums der Hellen Magie in einer schmucken Holzhütte lebte. Vielleicht vermochte sie Licht in das seltsame Verhalten Rafyndors zu bringen. Es war gut möglich, dass er sich ihr anvertraut hatte, schließlich verband die beiden eine enge Verwandtschaft, und ihre Gabe, in die Tiefen der Seele zu blicken, war weithin bekannt.
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Lililja bat Pranicara um Rat.
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Als Lililja Pranicara von Rafyndors unbegreiflichem Wandel berichtete und sie mit vorsichtiger Hoffnung fragte, ob sie mehr wisse, wirkte Pranicara jedoch selbst überrascht. Ihre Stirn legte sich in leichte Falten der Verwunderung, ehe sie kopfschüttelnd antwortete: „Nein, Rafyndor hat sich nicht an mich gewandt. Ehrlich gesagt, tut er das selten, wenn es um seine Sorgen und Nöte geht. Ich erinnere mich, dass er einmal sagte: ‚Ich habe immer das Gefühl, du ziehst die Menschen aus wie einen Mantel und kehrst ihr Innerstes nach außen, wenn du deine Seelenheilmagie einsetzt.‘“ Ein Schmunzeln umspielte ihre Lippen.
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Lililja konnte nicht anders, als in das Lächeln mit einzustimmen. Diese Worte schienen Rafyndors unsichere Natur trefflich zu spiegeln. Es passte zu ihm, sich vor der tiefen Einsicht einer Seelenheilerin zu scheuen, auch wenn sie niemand Geringeres als seine eigene Cousine war. Doch das Schmunzeln, das die Erinnerung ihr schenkte, wich einem Ausdruck leiser Nachdenklichkeit in ihren Augen. Möglicherweise trug Rafyndor immer noch die Narben jener Kindheitstage, in denen Pranicara ihn mit spöttischen Bemerkungen ob seiner Ängstlichkeit geneckt hatte. Es war lange her, und Pranicara war längst gereift zu einem Wesen von sanftem Gemüt und der unermüdlichen Bereitschaft, anderen Trost zu spenden. Dennoch − manche Wunden ließen sich nicht so leicht schließen, wie die Zeit es versprach.
Lililja begann, von ihrem letzten Abend mit Rafyndor zu erzählen. Sie sprach vom Mondspiegelteich, von seiner Sorge um die bevorstehende Aufgabe des Schleiersturms, von ihrer gemeinsamen Erinnerung an das Abenteuer mit dem Regenbogen − und schließlich von seiner unvermittelten Verhaltensänderung, die sie sich nicht erklären konnte.
Pranicara lauschte aufmerksam, versank eine Weile in nachdenklichem Schweigen und sagte schließlich mit ruhiger Entschlossenheit: „Es ist gut, dass du zu mir gekommen bist, Lililja. Ich werde versuchen, mit Rafyndor zu sprechen. Auch wenn er manchmal ein eigensinniger Sturkopf sein kann, habe ich doch so meine Verfahren. Mach dir keine Sorgen − ich werde ihn zurück in die Gemeinschaft bringen.“
Mit diesen aufmunternden Worten entließ Pranicara die besorgte Lililja, die ein wenig getröstet in den Tag zurückkehrte. Während sie sich ihren Aufgaben widmete, spürte sie, wie ein Hauch von Hoffnung die bedrückenden Schatten in ihrem Herzen linderte.
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Ein wenig beruhigter ging Lililja ihren Tagesarbeiten als Hüterin der Natur und der Magie nach.
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