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Rückblick

„Rafyndor hält Lililja auf Distanz?“ Pranicara schüttelte den Kopf, während die Worte ihrer Freundin noch in ihrem Geist widerhallten. „Das ist mehr als ungewöhnlich. Sonst wich er doch kaum von ihrer Seite!“ Sie rieb sich nachdenklich das Kinn und ließ ihren Blick über die friedliche Waldszene vor ihrer Hütte schweifen.



Pranicara dachte über Rafyndors Rückzug nach.

Es war kaum vorstellbar, dass ausgerechnet Rafyndor, der sich früher stets so eng an Lililja gebunden hatte, nun eine solche Kluft zwischen ihnen entstehen ließ.

Pranicara erinnerte sich an die Zeit, bevor Lililja in ihr Leben getreten war, als sie selbst diejenige gewesen war, die sich um ihren Cousin gekümmert hatte. Schon damals war Rafyndor ein kleiner Schattenschreck gewesen, leicht zu ängstigen und zu beeindrucken, und sie hatte es sich nicht nehmen lassen, ihn zu allerlei Schabernack zu überreden.

Mit einem Anflug von Wehmut dachte sie an die Episode mit „Grimbart“ zurück − oder „Gamdhod“, wie sie inzwischen wusste, dass er eigentlich hieß. Es war ihre Idee gewesen, diesem mürrischen Wesen einen Streich zu spielen. Damals konnte sie freilich nicht ahnen, welche Macht das kleine grüne Männchen tatsächlich besaß. Der Umstand, dass es sie beide in die Jada-Eiche bannen konnte, war ihr eine Lektion, die sie nie vergaß. Hätte Lililja sie nicht gerettet, wären sie wohl jämmerlich in dem uralten Baum verendet − ohne, dass irgendjemand nach ihnen gesucht hätte.

Mit leisem Bedauern gestand sich Pranicara ein, dass es wenig hilfreich gewesen war, diese düsteren Gedanken während ihrer Gefangenschaft laut auszusprechen. Rafyndor hatte ihre Worte damals mit großen Augen aufgesogen, und es ließ sich kaum leugnen, dass er an diesem Tag etwas von seiner Unbeschwertheit verloren hatte. Pranicara seufzte. Sie hatte nie ein Talent dafür gehabt, ihre Gedanken zurückzuhalten. Alles, was ihr durch den Kopf ging, fand unvermittelt seinen Weg nach draußen, ohne dass sie darüber nachdachte, wie es auf andere wirken mochte.



Als Kind hatte Pranicara sich nie Gedanken darüber gemacht, wie das, was sie sagte, beim anderen ankam.

Als Meister Lehakonos sie schließlich aus der Jada-Eiche befreit hatte, war sie selbst rasch wieder zu ihrer alten Unbeschwertheit zurückgekehrt. Doch Rafyndor war lange Zeit wie betäubt gewesen, bis Lililja sich seiner annahm.

Ja, Lililja. Pranicara konnte nicht umhin, einen leichten Anflug von Neid zu verspüren, wenn sie an ihre Freundin dachte. Lililja hatte stets gewusst, wie sie mit Rafyndor umgehen musste, um ihn aus seiner Schale zu locken und zum Blühen zu bringen. Sie bewunderte dieses Talent insgeheim, und es war − auch wenn sie es niemals laut aussprechen würde − der wahre Grund gewesen, warum sie sich einst entschlossen hatte, den Weg der Seelenheilerin einzuschlagen. Es hatte sie Jahre harter Arbeit gekostet, von ihrer eigenen Perspektive abzusehen und sich in die Gedanken und Gefühle anderer hineinzuversetzen. Doch sie hatte es geschafft, und mit der Zeit war sie in ihrem Handwerk recht geübt geworden.

Dass Rafyndor nun gerade zu Lililja Distanz suchte, war jedoch ein Rätsel, das Pranicara nicht zur Ruhe kommen ließ. Es bereitete ihr ernsthafte Sorgen.

Ihre Gedanken wanderten zu Skukius, dem Korvum-Raben. Wenn jemand wusste, wo Rafyndor sich aufhielt, dann er. Entschlossen trat sie vor ihre Hütte, stellte sich unter einen alten Baum und pfiff auf ihren Fingern, um den treuen Vogel zu rufen.

Während sie wartete, schweiften ihre Gedanken zurück in die Vergangenheit. Sie erinnerte sich daran, wie sie Rafyndor einst das Pfeifen beigebracht hatte.


Pranicara hatte damals als Kind mit sehr viel Geduld dem kleinen Rafyndor das Pfeifen auf den Fingern beigebracht.

Es hatte sie damals einiges an Geduld gekostet − eine Tugend, die nicht gerade zu ihren Stärken zählte. Rafyndor wollte es unbedingt lernen, doch sein Talent ließ zunächst zu wünschen übrig. Mit einem sanften Lächeln dachte sie daran, wie er sich dennoch nicht entmutigen ließ. Irgendwann war der Knoten geplatzt, und er hatte es endlich gemeistert.

Zu ihrer Überraschung hörte sie ihn danach lange Zeit nicht mehr pfeifen und hatte schon befürchtet, er hätte die Kunst wieder verlernt. Doch als sie ihn das nächste Mal sah, pfiff er mit einer Leichtigkeit und Klarheit, die zeigte, dass er heimlich geübt hatte, bis er es perfektioniert hatte.

So war er − still und unermüdlich arbeitete er an sich, bis er in dem, was er sich vorgenommen hatte, meisterhaft wurde.

Genauso hatte er sich auch zum Waldhüter entwickelt. Anfangs war er nur ein stiller Helfer gewesen, der den damaligen Hüter begleitete und von ihm lernte. Heute war Rafyndor der oberste Waldhüter von Vanavistaria, ein Mann, dessen Wissen über den Wald seinesgleichen suchte.

Ein leises Flattern ließ Pranicara aufblicken. Skukius war gekommen. Lautlos setzte sich der schwarze Vogel auf einen Ast über ihr und richtete seinen klugen Blick auf sie.

„Sag an, Skukius, mein treuer Freund“, hob Pranicara an, während sie den Korvum-Raben mit durchdringendem Blick musterte. Skukius, der bereits den Kopf schief legte, als ahnte er, dass er in ein Wortgefecht verwickelt würde, setzte seinen gewohnt skeptischen Ausdruck auf. „Du weißt doch sicherlich, wo Rafyndor sich aufhält.“

Der Rabe hob leicht die Schultern, als wolle er sich unschuldig geben, doch Pranicara ließ ihm keine Gelegenheit zur Ausflucht.



Pranicara fragte Skukius nach Rafyndor.

„Spiel mir nichts vor! Du vergisst, dass ich mich mit Tierheilkunde auskenne. Es ist mir wohlbekannt, dass ihr Korvum-Raben einen Instinkt besitzt, der euch immer genau wissen lässt, wo sich jemand befindet, den ihr sucht.“ Ihre Stimme hatte einen scharfen, wissenden Unterton angenommen, und sie fixierte ihn mit einem Blick, der keinen Widerspruch duldete.

Skukius blinzelte, als wolle er Zeit gewinnen, und öffnete dann langsam den Schnabel. „Du hast recht“, erwiderte er schließlich, mit einer Spur Widerwillen in der Stimme. „Ich weiß, wo Rafyndor ist. Aber er hat mich ausdrücklich gebeten, sein Versteck niemandem zu verraten. Sein Wunsch ist mir heilig − er ist mein Freund.“

Pranicara hob eine Braue und verschränkte die Arme vor der Brust. „Weißt du wenigstens, warum er sich dort versteckt hält?“

Skukius zögerte. Seine klugen Augen flackerten einen Moment, als prüfe er, ob die Frage eine Grenze überschritt. Doch schließlich antwortete er mit einem leisen Seufzen: „Er hat mir gesagt, er müsse sich über einige Dinge klar werden. Was genau, das hat er mir allerdings nicht offenbart.“

Pranicara schnaubte unwillig und ihre Lippen verzogen sich zu einem missmutigen Lächeln. „Nun gut“, murmelte sie, wobei ihre Stimme einen leicht sarkastischen Unterton annahm. „Dann wollen wir hoffen, dass ihm diese Klarheit rasch zuteil wird. Wir können nicht ewig auf seine Hilfe verzichten, gerade jetzt, wo der Schleiersturm bald über die Hauptstadt hereinbrechen wird. Richte ihm bei deinem nächsten Besuch aus, er möge sich mit seinem Sinnieren ein wenig beeilen. Seine Aufgaben dulden keinen Aufschub!“


Pranicara blickte Skukius nach, als dieser zu Rafyndors Versteck aufbrach.

Der Rabe nickte mit der Gravität eines würdigen Boten, breitete seine schwarzen Schwingen aus und erhob sich in die Lüfte. Pranicara blickte ihm nach, ihre Gedanken dabei weit entfernt. Es schien ihr nicht unwahrscheinlich, dass Skukius direkt zu Rafyndor fliegen würde, um die Botschaft zu überbringen.

Während sie ihn verschwinden sah, begann sie über Rafyndors Beweggründe nachzudenken. Wenn er seine Zuflucht vor Lililja suchte und selbst ihr nichts anvertrauen konnte, dann konnte das nur eines bedeuten: Vielleicht hatte er endlich erkannt, dass sie beide erwachsen geworden waren.

Ein leichtes Lächeln umspielte ihre Lippen, doch es hatte etwas Herausforderndes, Entschlossenes. Drei Tage, nahm sie sich vor. Drei Tage würde sie ihm Zeit geben, um Klarheit zu finden. Sollten diese verstreichen, ohne dass er sich zu einem Entschluss durchgerungen hatte, dann würde sie selbst eingreifen. Mit diesem Entschluss kehrte sie in ihre Hütte zurück.


Pranicara kehrte in ihre Hütte zurück.

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