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Der letzte Abend

Als Lililja an jenem Abend ihr Heim betrat, ertönte in ihren Gedanken sogleich Mojalians besorgte Stimme.

Liebes, geht es dir gut? Sein Tonfall war sanft, doch von spürbarer Unruhe durchzogen. Ich fühlte deine Verzweiflung, doch da es die Zeit deines Abendganges mit Rafyndor war, habe ich nicht versucht, zu dir durchzudringen. Ich dachte, wenn du mich brauchst, würdest du dich gewiss bei mir melden.



Lililja berichtete Mojalian von Rafyndors überraschender Wandlung.

Lililja seufzte leise, ließ sich auf einen Küchenstuhl nieder und schloss für einen Moment die Augen, ehe sie antwortete.

Rafyndor hat sich verändert, erklärte sie schließlich und ein sanftes Lächeln umspielte ihre Lippen, als sie an den Waldhüter dachte. Er hat mich in die Arme genommen, mir gesagt, dass er für mich da sein wird. Dass er sich um mich sorgt. Und ich... ich bin in seinen Armen zusammengebrochen und habe geweint. Ich konnte einfach nicht mehr. Doch es tat so gut, dass er da war. Dass er mich gehalten hat.

Mojalian schwieg einen Moment. Er nahm ihre Worte in sich auf, und in der Stille, die zwischen ihnen entstand, lag seine unausgesprochene Sehnsucht.

Wie gerne wäre ich es gewesen, der dich hält, dachte er schließlich mit einer leisen Traurigkeit. Aber ich bin so weit entfernt.

Dann jedoch hellte sich sein Geist auf. Ich bin erleichtert, dass Rafyndors Zuneigung für dich in echte Sorge übergegangen ist und er sich nun als dein Beschützer sieht. Es beruhigt mich ungemein zu wissen, dass jemand da ist, der dich in deinen schwersten Stunden auffängt. Ich wünschte, ich könnte es selbst tun, aber im Moment sehe ich keinen Weg.

Lililja spürte die Wärme seiner Worte und konnte nicht anders, als zu lächeln. Bist du gar nicht eifersüchtig?, fragte sie neckend.

Mojalian schien amüsiert.

Warum sollte ich?, entgegnete er mit aufrichtiger Verwunderung. Ich weiß doch, was du für mich empfindest. Du vergisst, dass ich in dein Herz sehen kann. Und ich weiß ebenso, was du für Rafyndor fühlst. Er wird immer einen großen Platz in deinem Herzen einnehmen − vielleicht sogar einen größeren als ich. Aber es ist eine andere Art der Liebe. Eine geschwisterliche. Und ich würde niemals versuchen, dich von deinem Bruder zu trennen. Das würde dich zerreißen.

Lililja lächelte zärtlich. Danke, hauchte sie in Gedanken.



Mojalian kannte keine Eifersucht, da er direkt in Lililjas Herz blicken konnte.

Mojalian erwiderte ihre Zärtlichkeit mit liebevoller Gewissheit. Mein Liebling, alles, was für mich zählt, ist dein Wohl. Wenn Rafyndor dir ein Gefühl von Sicherheit gibt, dich beschützt und dir Trost schenkt, warum sollte ich ihm das verübeln? Im Gegenteil, ich bin ihm unendlich dankbar, dass er für dich da ist. Auch wenn ich weiß, dass seine Gefühle über die bloße Geschwisterliebe hinausreichen.

Lililja antwortete nicht, doch in ihrem Herzen breitete sich eine wohlige Wärme aus. Für eine Weile schwiegen sie, und während sie sich für die Nacht fertigmachte, lag in diesem Schweigen eine tiefere Nähe als in tausend Worten.

Als sie schließlich in ihr Bett glitt und sich die Decke über die Schultern zog, erklang Mojalians Stimme erneut, sanft und leise wie ein warmer Windhauch: Morgen wird ein schwerer Tag für dich werden. Du solltest schlafen.

Du hast vermutlich recht, erwiderte sie gedankenverloren und schloss die Augen.

In dieser Nacht war sie frei von Unruhe. Sie wusste, dass Mojalian stets an ihrer Seite sein würde, bereit, ihre Sorgen zu tragen, wann immer sie ihm ihr Herz ausschütten wollte. Und ebenso wusste sie, dass Rafyndor mit seinen starken Armen für sie da wäre, wenn die Last zu drückend wurde und sie drohte, den Halt zu verlieren.

Für einen Moment vermochte sie ihre Furcht zu verdrängen und glitt sanft in einen tiefen, ungestörten Schlaf.

Doch an diesem Abend gab es an vielen anderen Orten unzählige Gedanken, die sich mit dem kommenden Tag auseinandersetzten.

So lag Jadoruc wach, seinen schweren Körper ins Bett gewuchtet, während sein Geist rastlos um die Ereignisse kreiste, die vor ihm lagen. Morgen also − jener Tag, dem ganz Vanavistaria seit einem Jahr entgegenfieberte. Ein Tag, der in Jubel und Feierlichkeiten erstrahlen sollte, als Krönung unermüdlicher Anstrengungen. Und nun? Nun sollte dieses lang ersehnte Fest überschattet werden – nicht von Freude, sondern von drohender Dunkelheit?



Jadoruc fühlte sich bei dem Gedanken, dass das Schicksal des Landes in den Händen der blutjungen Elfe lag, nicht wohl.

Als Meister Lehakonos am Morgen die Versammlung einberufen hatte, war Jadoruc noch davon ausgegangen, dass es um den feierlichen Auftakt dieses großen Ereignisses gehen würde. Doch dann war alles anders gekommen. Die Hüterin der Natur und der Magie − jenes junge, unerfahrene Ding − hatte sich mit ernster Stimme als die Hüterin des Lichtes offenbart. Diejenige, die in Zeiten der Gefahr die Führung des Landes übernehmen sollte.

Jadoruc konnte noch immer kaum fassen, was er gehört hatte. Diese zierliche Elfe, kaum mehr als ein Mädchen, sollte Vanavistarias letzte Bastion gegen die drohende Finsternis sein?

Es schien ihm ein schlechter Scherz. Wäre es nicht eine Vykati gewesen, eine Nachfahrin Tarodastrus′ selbst, die jene Worte gesprochen hatte, er hätte sie als bloße Narretei abgetan. Doch so blieb ihm nichts anderes übrig, als die Wahrheit anzuerkennen.

Trotzdem − sein Unbehagen blieb. Die Vorstellung, dass die Geschicke des Landes in den Händen einer derart jungen und unbedarften Hüterin lagen, erfüllte ihn mit tiefem Misstrauen.

Vielleicht, so überlegte er, sollte er sich ihr als Ratgeber anbieten. Diese Bürde war zu schwer für sie allein, und der junge Waldhüter, der ihr stets wie ein treuer Hund folgte, hatte heute Morgen bewiesen, dass er der Herausforderung nicht gewachsen war. Kaum hatte sich die Wahrheit offenbart, war er zusammengebrochen, vor aller Augen. Jadoruc hatte es kaum anders erwartet. War es nicht derselbe Waldhüter gewesen, der einst vor dem Schleiersturm davongelaufen war? Wie also sollte er nun, da die Bedrohung noch größer war, standhaft bleiben?

Nein. Es wäre töricht, sich auf ihn zu verlassen. Es war an ihm, Jadoruc, seine Erfahrung in dunkler Magie in den Dienst Vanavistarias zu stellen. Er würde sich der jungen Hüterin als Berater antragen. Mit seinem Wissen und seiner Stärke würden sie der drohenden Gefahr trotzen.

Mit diesem Entschluss − und in dem beruhigenden Wissen, dass die Zukunft des Landes nicht allein in den Händen einer unerfahrenen Elfe ruhen würde − sank er schließlich in den Schlaf.

Auch Skukius hatte sich in die vertraute Dunkelheit seiner Schlafhöhle zurückgezogen − doch der Schlaf, das wusste er bereits, würde ihn in dieser Nacht nicht finden.

Seit die alte Hausmagd des Hohenmagiers am Morgen von einer dunklen Bedrohung gesprochen hatte, war in ihm eine Unruhe erwacht, die sich nicht beschwichtigen ließ. Unwillkürlich hatten sich seine Federn gesträubt, als ein kalter Schauder ihn durchfuhr. Er hätte es gern verborgen, doch Rafyndor hatte es bemerkt.



Skukius bezweifelte, dass er heute Nacht Schlaf finden würde.

Während die versammelten Magier an den Lippen der alten Vykati hingen, jedes ihrer Worte begierig aufsogen, hatte Rafyndor sich der Rede nur mit Widerwillen hingegeben. Es war, als wolle er ihre düsteren Weissagungen gar nicht hören. Und so war es wohl nur ihm aufgefallen, wie sich das Gefieder des Korvum-Raben gesträubt hatte.

„Erinnerungen?“, hatte Rafyndor leise gefragt, mit einer Sanftheit, die Skukius überraschte.

Er hatte nicht geantwortet. Nur genickt.

Er war vor der dunklen Magie geflohen − hatte sie hinter sich lassen wollen. Hier, im Kreise der hellen Magier, hatte er endlich eine Heimat gefunden, einen Ort der Sicherheit. Er hatte gehofft, dass die Schatten der Vergangenheit mit der Zeit verblassen würden. Doch nun? Nun schienen sie ihn wieder einzuholen, ihre kalten Finger nach ihm auszustrecken.



Mit einem Mal war Skukius′ Vergangenheit wieder präsent.

Als Meister Lehakonos schließlich von jenem mächtigen dunklen Magier sprach, der sich irgendwo in den Schatten verborgen halten sollte, brach der Schleier der Jahre endgültig. Bilder, längst vergessen geglaubt, kehrten mit unbarmherziger Deutlichkeit zurück: Er sah die dunklen Flüche, die in grausamem Spiel auf ihn abgefeuert wurden, hörte das hämische Gelächter seiner Peiniger, spürte den brennenden Schmerz der Narben, die sie ihm hinterlassen hatten − Narben, von denen er nie jemandem erzählt hatte, nicht einmal seinen engsten Freunden.

Rafyndor, dieser treue, gutmütige Waldhüter, hatte ihn nach der Rettung Rangalos freudig in die Arme geschlossen, ihm unbedacht seine Dankbarkeit gezeigt. Woher hätte er auch wissen sollen, dass die Berührung für Skukius eine Qual war? Die alten Wunden schmerzten noch immer − mit oder ohne Umarmung.

Nein. Er konnte nicht bleiben!

Sein Blick wanderte durch die Höhle, diesen abgeschiedenen Zufluchtsort, der ihm so lange Sicherheit geboten hatte. Für die Zweihänder war sie schwer zugänglich, kaum einer wusste, wo er die Nächte verbrachte. Und das war gut so. Die dunkle Magie hatte ihn einst bis in den Schlaf verfolgt, hatte ihn schreien und wimmern lassen, bis er gelernt hatte, seine Albträume mit eisernem Schweigen zu ersticken. Er hatte nie darüber gesprochen. Und niemand hatte je gefragt.

Es hätte alles so bleiben können. Doch das Schicksal hatte einen anderen Weg für ihn vorgesehen.

In der Kristallhöhle hatte man kaum Notiz von ihm genommen − zu beschäftigt war man mit Rafyndors Zusammenbruch gewesen. So war er unbemerkt auf Pranicaras Arm hinausgetragen worden, hatte sich in die Lüfte erhoben und war von Baum zu Baum, von Höhle zu Höhle geflohen, ziellos und voller Zweifel. Der Tag war vergangen, während er versuchte, einen Ausweg zu finden, doch am Ende blieb nur eine unumstößliche Gewissheit.

Er musste fort!

Am Abend war er ein letztes Mal in seine Höhle zurückgekehrt − nicht, um Schutz zu suchen, sondern um sich von ihr zu verabschieden. Die Bedrohung war zurückgekehrt, und mit ihr die Angst. Eine Angst, die ihn zu ersticken drohte. Er würde nicht darauf warten, dass die Dunkelheit ihn erneut verschlang. Nein − er würde fliegen, weit fort, dorthin, wo die Schatten ihn nicht erreichen konnten.

Morgen früh würde er aufbrechen. Und nichts in der Welt würde ihn davon abhalten.



Skukius würde am nächsten Morgen
aufbrechen, um einen Ort zu finden,
an dem er vor der Dunklen Magie
sicher sein konnte.

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