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Als Arokando wie an jedem Nachmittag erschien, um Rafyndor bei den Arbeiten im Wald zu unterstützen, fand er den Waldhüter in einer ungewohnt gefassten, fast gelösten Stimmung vor.
„Nun, wie steht es um eure Forschungen zu den Blauschnäuzchen?“, begrüßte ihn Rafyndor mit aufrichtigem Interesse.
„Deine Vermutung, dass die Pilogi-Pflanzen von den Blauschnäuzchen gezielt zur Abwehr dunkler Flüche verzehrt werden, scheint sich zu bewahrheiten“, erwiderte Arokando und strich nachdenklich über das Moos eines alten Baumstumpfes.
„Das würde bedeuten, dass sie uns möglicherweise im Kampf gegen eine dunkle Bedrohung beistehen könnten?“ Rafyndor beugte sich über einen jungen Trieb, untersuchte dessen Blätter sorgfältig auf Anzeichen von Schädlingsbefall, während in seiner Stimme gespannte Neugier mitschwang.
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Arokando berichtete, dass die Blauschnäuzchen immer nur einen Fluch verhindern konnten und einen zweiten auf einen hochgiftigen Jeripilz lenkten.
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„Ja“, bestätigte Arokando mit Bedacht. „Ich halte es für wahrscheinlich, dass die Blauschnäuzchen instinktiv versuchen würden, sich zwischen uns und die dunklen Flüche zu stellen. Allerdings gibt es eine Einschränkung: Ein einzelnes Tier kann jeweils nur einen einzigen Fluch vollständig blockieren. Werden zwei Flüche gleichzeitig gewirkt, wird nur einer von ihnen neutralisiert. Der zweite jedoch folgt einer eigentümlichen Flugbahn − er kreist dreimal in spektakulären Bögen um das Blauschnäuzchen, als suchte er nach einem neuen Ziel, und saust dann unweigerlich auf den nächstgelegenen Jeripilz zu.“
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„Auf einen Jeripilz?“ Rafyndor runzelte die Stirn.
„Ja. Meister Vatanos glaubt, dass die Flüche gezielt in diese Pilze gelenkt werden, weil sie für die Blauschnäuzchen hochgiftig sind. Sie scheinen also, wenn sie einen Fluch schon nicht völlig abwehren können, wenigstens etwas zu vernichten, das ihnen selbst Schaden zufügen könnte.“
Rafyndor nickte beeindruckt. „Eine faszinierende Entdeckung!“
Arokando lächelte leicht, wurde dann jedoch wieder ernst. „Allerdings darf sich in unmittelbarer Nähe eines Blauschnäuzchens kein anderes Wesen aufhalten, wenn es einen Fluch abwehrt. Sonst trifft der Fluch ungebremst das nächststehende Lebewesen. Interessanterweise scheinen die Blauschnäuzchen dies instinktiv zu wissen − sobald dunkle Magie in der Luft liegt, halten sie einen gewissen Abstand voneinander. Wir haben das mit Pachavara-Flüchen getestet − also leichten, harmlosen dunklen Flüchen, die sich durch das Wort ‚Pachavara‘ sofort wieder auflösen lassen. So konnten wir ihre Wirkung untersuchen, ohne bleibenden Schaden zu riskieren.“
Rafyndor hob überrascht eine Braue. „Ich wusste gar nicht, dass es solche reversiblen dunklen Flüche gibt.“
„Sie werden ausschließlich zu Studienzwecken eingesetzt“, erklärte Arokando geduldig. „Sogar helle Magier dürfen sie aussprechen, weil sie den Magiefluss nicht dauerhaft beeinflussen. Allerdings müssen alle, die an solchen Experimenten teilnehmen, zuvor eine Verpflichtungserklärung unterzeichnen − die Anwendung außerhalb offizieller Studien würde als dunkle Magie gewertet.“
„Das heißt also… du dürftest einen solchen Fluch nicht einmal aus Spaß gegen mich wirken?“ Rafyndor schmunzelte herausfordernd.
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„Absolut nicht!“ Arokando schüttelte entschieden den Kopf. „Die Regeln sind strikt. Mein eigener Fluch, der meine Steine verfärbt hat, war ebenfalls ein Pachavara-Fluch − doch weil er nicht im Rahmen einer genehmigten Studie gewirkt wurde, hatte er dennoch Auswirkungen auf den Magiefluss.“
„Ah, ich verstehe.“ Rafyndor inspizierte die Rinde eines Baumes, seine Finger glitten aufmerksam über die raue Oberfläche, während er auf Anzeichen von Krankheiten achtete. Neugier flammte in seinen Augen auf. „Und was für Flüche habt ihr euch während eurer Studie so gegenseitig um die Ohren gehauen?“
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Arokando erklärte, dass es sich bei seinen Steinversuchen um Pachavara-Flüche gehandelt hatte.
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Arokando lachte leise. „Nun, wir haben uns unter anderem abstehende Haare verpasst, Kratznägel wachsen lassen, uns mit Mauldampf gesegnet und einander schmerzlose blaue Veilchen verpasst.“ Er grinste breit bei der Erinnerung.
Rafyndor konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen. „Klingt ganz so, als hättet ihr dabei eine Menge Spaß gehabt.“
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Beim Bericht über die Pachavara-Flüche musste Arokando schmunzeln.
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„Oh ja“, bestätigte Arokando lachend, wurde dann jedoch wieder ernst. „Doch jenseits aller Heiterkeit − wenn mehr als zwei Flüche gleichzeitig gewirkt werden, treffen die übrigen ungehindert ihr Ziel. Das bedeutet, dass die Blauschnäuzchen uns nur dann eine wirksame Unterstützung sein können, wenn die Anzahl der Angreifer nicht mehr als doppelt so hoch ist wie ihre eigene.“
Rafyndor nickte nachdenklich. „Und doch“, sagte er schließlich, „wenn sie bereit sind, sich in den Kampf gegen die dunkle Bedrohung zu stellen, werden sie wertvolle Verbündete sein.“
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„Daran besteht kein Zweifel“, erwiderte Arokando mit fester Stimme.
Rafyndor überlegte einen Moment, wie er das Gespräch auf Lililja lenken könnte, ohne allzu offensichtlich zu wirken. Schließlich entschied er sich für eine indirekte Herangehensweise. „Habt ihr heute über die Bedrohung gesprochen, die in naher Zukunft über Vanavistaria hereinbrechen soll?“, fragte er beiläufig.
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Arokando nickte, ein schelmisches Grinsen auf den Lippen.
„Oh ja“, erwiderte er. „Die Gerüchte reißen nicht ab. Es heißt, der Hauchzauberdunst sei verhext worden − und angeblich stecken die Hüterin der Natur und der Magie sowie die alte Hausmagd des Hohenmagiers dahinter.“
Rafyndor erstarrte. Für einen kurzen Moment schien die Welt um ihn herum stillzustehen. Lililja − seine Lililja − die ohnehin schon die ungeheure Last ihres Amtes zu tragen hatte, sollte nun auch noch beschuldigt werden, an einer finsteren Manipulation beteiligt zu sein?
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Arokando erzählte von dem Gerücht, dass Lililja und Nanistra den Hauchzauberdunst manipulieren wollten.
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„Wer verbreitet solchen Unsinn?“, fuhr er Arokando an, seine Stimme bebte vor Zorn. Seine smaragdgrünen Augen funkelten gefährlich.
Der junge Goblin wich unwillkürlich einen Schritt zurück. Noch nie hatte er den Waldhüter derart aufgebracht erlebt. „Das erzählt man sich eben“, erwiderte er vorsichtig. „Ist es denn falsch?“
„Lililja würde niemals − niemals! − etwas tun, das irgendeinem Wesen Schaden zufügt!“, rief Rafyndor unbeherrscht. Die schiere Ungerechtigkeit dieser Anschuldigungen versetzte ihn in Rage. Man hatte sie nicht einmal gefragt, ob sie Hüterin des Lichtes sein wollte, und nun wurde sie auch noch vorverurteilt, noch bevor überhaupt etwas geschehen war?
Arokando betrachtete ihn nachdenklich. „Du magst sie wirklich sehr, nicht wahr?“, stellte er schließlich fest, mit einem Anflug von Erstaunen in der Stimme.
Rafyndor atmete tief durch, zwang sich zur Ruhe. Die Wut in seinem Inneren loderte noch immer, doch er ließ sie nicht weiter auf Arokando niederprasseln.
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Rafyndor war erbost über die Gerüchte, die schon jetzt über Lililja erzählt wurden.
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„Ich kenne sie fast mein ganzes Leben lang“, sagte er schließlich leise. „Lililja setzt sich stets für die ein, die klein und schwach sind. Du hast es doch selbst erlebt − dass du nach deiner dunklen Magie weiter am Unterricht teilnehmen durftest, hast du in erster Linie ihr zu verdanken. Und nun behauptet man, sie sei eine Bedrohung für Vanavistaria?“
Arokando zögerte, als wisse er nicht, ob er weiter so offen sprechen sollte. Rafyndors Wutausbruch hatte ihn verunsichert. Doch dann erinnerte er sich daran, wie viel er dem Waldhüter verdankte − nicht nur die Arbeit im Wald, sondern letztlich auch seine Assistenzstelle bei Meister Vatanos. Er konnte ihm keine Antwort schuldig bleiben.
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„Sei mir nicht böse“, begann er vorsichtig, „aber es heißt, die Hüterin sei verrückt geworden. Man sagt, sie halte sich für auserwählt, ganz Vanavistaria zu führen.“
Ein eiskalter Stich durchfuhr Rafyndors Brust. Abermals drohte Zorn in ihm aufzukochen, doch er hielt ihn zurück. Arokando war nicht der Verbreiter dieser infamen Gerüchte − er war lediglich der Überbringer. Und eigentlich, so wurde ihm klar, sollte er sogar dankbar sein, dass er davon erfahren hatte. Nun wusste er, womit Lililja in den kommenden Tagen zu kämpfen haben würde.
Ein grimmiges Feuer loderte in seinem Inneren auf. Wenn die Welt sich gegen sie stellte, würde sie ihn an ihrer Seite wissen. Wenn man sie anfeindete, würde er sich vor sie stellen. Er hatte sich viel zu lange darauf verlassen, dass Lililja ihn beschützte. Nun war es an ihm, ihre Stütze zu sein.
Rafyndor zwang sich zu einem Lächeln, doch es erreichte seine Augen nicht. „Nein, Arokando“, sagte er leise, mit einer Traurigkeit in der Stimme, die nicht zu überhören war, „Lililja ist nicht verrückt geworden. Vielmehr ist sie Opfer eines alten Irrtums − oder vielleicht einer absichtlichen Verschleierung.“
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Er seufzte und fuhr fort: „Der berühmte Sternenseher Tarodastrus ließ einst sämtliche Hinweise auf den Hüter des Lichtes aus den Geschichtsbüchern tilgen. Ansonsten wäre uns von Anbeginn klar gewesen: Im Angesicht einer ernsthaften Bedrohung ist es der Hüter des Lichtes, der die Führungsrolle übernehmen muss. Muss − nicht will. Hätte Tarodastrus diese Wahrheit nicht vor der Welt verborgen, wüssten wir längst, dass Lililja seit ihrer Geburt zu diesem Schicksal bestimmt war. Niemand würde sich nun über ihre Rolle wundern, und die abwegigen Gerüchte, die man über sie verbreitet, hätten keinen Nährboden gefunden.“
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Rafyndor erklärte, dass durch Tarodastrus’ Eingreifen in die geschichtlichen Aufzeichnungen die Informationen über die Hüterin des Lichtes fehlten.
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Er schwieg für einen Moment, als müsse er sich sammeln, bevor er weitersprach: „Lililja selbst hat sich diese Bürde nie gewünscht. Sie würde diese Verantwortung liebend gern einem anderen überlassen − irgendjemandem, der sich als Held berufen fühlt. Doch das Schicksal hat es anders bestimmt. Wenn der Angriff kommt, wird sie sich vor alle stellen, wird die dunklen Flüche auf sich ziehen, um Vanavistaria zu schützen. Sie hat keine Wahl.“
Arokando starrte ihn an, sichtlich hin- und hergerissen. Diese Worte widersprachen allem, was er gehört hatte.
Rafyndor bemerkte das Zögern des jungen Goblins und ließ nicht zu, dass Zweifel zwischen ihnen wuchsen. „Heute Morgen fand eine Versammlung der Zaubergemeinschaft statt“, fuhr er ruhig fort. „Nanistra, die alte Hausmagd des Hohenmagiers, ist eine Nachfahrin Tarodastrus′. Sie hat die Inschrift vor der Kristallhöhle ergänzt − mit dem längst vergessenen Wissen, dass Tarodastrus selbst ein Hüter des Lichtes war. Und sie erzählte uns, dass es seit Anbeginn der Welt stets einen Hüter gab, der dazu ausersehen war, unsere Welt vor den Schatten dunkler Magie zu bewahren.“
Er holte tief Luft, bevor er weitersprach: „Seit der Wiedervereinigung der magischen Völker gab es keine ernsthafte Bedrohung mehr, und so geriet das Amt des Hüters in Vergessenheit. Doch nun scheint sich eine dunkle Macht zu regen, und Nanistra konnte nicht länger schweigen. Sie trat aus dem Schatten, offenbarte das Geheimnis − und mit ihm Lililjas wahre Bestimmung. Lililja selbst weiß dies auch erst seit zwei Tagen. Du kannst dir vorstellen, was das für sie bedeutet.“
Rafyndors Blick war ernst, beinahe flehend. „Deshalb traf mich deine Erzählung über diese bösartigen Gerüchte so sehr. Lililja hat genug Last zu tragen − sie sollte nicht auch noch mit Verleumdung kämpfen müssen.“
Arokando schwieg einen Moment, dann fragte er zögerlich: „Aber... könnte es nicht sein, dass Nanistra sich das alles nur ausgedacht hat? Dass sie... übergeschnappt ist?“
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Rafyndor lud Arokando ein, ihn zum Treffpunkt mit Lililja zu begleiten, damit er mit eigenen Augen sähe, dass sie die Hüterin des Lichtes war.
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Rafyndor ließ ein bitteres Lachen hören. „Glaub mir, ich wünschte, es wäre so“, erwiderte er seufzend. „Ich wäre der Erste, der an ihrer Geschichte zweifeln würde, wenn es nur die leiseste Hoffnung gäbe, dass sie sich irrt. Aber du sollst dich selbst überzeugen. Komm heute Abend mit, wenn ich Lililja treffe. Dann wirst du mit eigenen Augen sehen, dass Nanistra die Wahrheit gesprochen hat.“
Arokando zögerte, doch die Neugier hatte ihn längst gepackt. Schließlich nickte er.
Den restlichen Tag verbrachten sie damit, gemeinsam im Wald zu arbeiten, während die Sonne langsam ihren Bogen über den Himmel zog.
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Erst als sie sich hinter den Baumwipfeln neigte und die Schatten länger wurden, machten sie sich auf den Weg zu jenem Ort, an dem Rafyndor Lililja allabendlich traf.
Sie trafen früher ein als gewöhnlich. Lililja war noch nicht da.
„Ich bitte dich, dich im Schutz der Büsche zu verbergen“, sagte Rafyndor leise, doch bestimmt. „Beobachte sie, wenn sie kommt. Sieh genau hin. Ich werde ihr wie immer entgegengehen.“
Arokando nickte und duckte sich in das dichte Laubwerk. Er musste nicht lange warten. Schon nach wenigen Augenblicken erschien die Hüterin der Natur und der Magie am vereinbarten Treffpunkt. Ihre Gestalt wirkte in der sanften Dämmerung beinahe unwirklich, und ihr warmes Lächeln galt einzig und allein dem Waldhüter.
Dann, als die Sonne den Horizont berührte, geschah etwas, das Arokando den Atem raubte. Unfähig, sich zu rühren, beobachtete er, wie das goldene Licht die Hüterin umfing, als gehöre es ihr. Die Strahlen schienen in sie einzudringen, sich in ihrem Innersten zu sammeln − nur um heller, strahlender, wärmer wieder aus ihr herauszutreten. Für einen flüchtigen, aber unbestreitbaren Moment war Lililja eins mit der Sonne selbst.
Erst als die Sonne weiter sank und das Licht sich sanft von ihr löste, ließ der Bann nach. Doch die Hüterin blieb unverändert − ruhig, gelassen, mit demselben sanften Lächeln auf den Lippen. Sie trat an Rafyndor heran, legte ihm eine Hand auf den Arm und fragte leise: „Geht es dir besser, Rafyndor?“
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Der Waldhüter nickte. Dann wandte er sich in Richtung der Büsche und winkte Arokando, aus seinem Versteck zu treten.
Der junge Goblin zögerte. Was er gerade gesehen hatte, war so überwältigend, dass er nicht wusste, wie er darauf reagieren sollte. Mit vorsichtigen Schritten trat er aus dem Schatten der Blätter hervor und näherte sich den beiden Wartenden.
Lililja runzelte leicht die Stirn und warf Rafyndor einen fragenden Blick zu.
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Nachdem Arokando gesehen hatte, dass Lililja mit der Sonne verschmolz, ging er schüchtern auf die beiden Wartenden zu.
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„Man erzählt bereits bösartige Lügen über dich, Lililja“, sagte Rafyndor mit leiser Traurigkeit. „Deshalb wollte ich, dass Arokando mit eigenen Augen sieht, was du bist − wer du bist. Jeder, der dich kennt, wird über diese Gerüchte lachen. Aber die Fremden, die dich nie gesehen, nie mit dir gesprochen haben – bei ihnen könnten diese Lügen Wurzeln schlagen. Ich mache mir große Sorgen um dich.“
Arokando trat näher, sein Blick unverwandt auf Lililja gerichtet. Es war keine Angst darin, sondern Staunen − und eine leise Bewunderung.
Rafyndor musterte ihn aufmerksam. „Glaubst du immer noch, dass Nanistra oder Lililja den Verstand verloren haben?“, fragte er ruhig.
Der junge Goblin schüttelte langsam den Kopf.
Ein Lächeln huschte über Rafyndors Gesicht. „Dann verstehst du nun vielleicht, warum mich deine Worte heute Nachmittag so aufgewühlt haben. Die Gerüchte sind nicht nur Lügen − sie sind gefährlich. Ich würde mich freuen, wenn du den Mut fändest, sie zumindest in deiner Gruppe richtigzustellen.“
Arokando nickte, doch in seinem Inneren nagten Zweifel. Würde es ihm gelingen? Wäre er nicht mit Rafyndor so vertraut, hätte er das Schauspiel, das sich vor seinen Augen abgespielt hatte, für einen raffinierten Zaubertrick gehalten − eine Hexerei, um die Sinne zu täuschen. Doch warum sollte er jenen trauen, die Lililja nie begegnet waren, deren Worte nur leere Echos aus dunklen Gassen waren, wenn Rafyndor, sein Freund, ihm die Wahrheit zeigte?
Er hatte es mit eigenen Augen gesehen. Die Hüterin war eins mit der Sonne geworden. Es mochte fremdartig sein − unbegreiflich vielleicht − doch es war echt.
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Arokando nahm sich vor, gegen die Gerüchte vorzugehen, die Böses über Lililja erzählten.
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Ja, nun verstand er Rafyndors Zorn. Wie konnten sie es wagen, eine solche Bürde auf diese zierliche Elfe zu legen, und dann nichts Besseres zu tun, als sie mit Bosheit zu überziehen?
Arokando ballte die Fäuste. Er würde versuchen, gegen die Lügen anzukämpfen.
Er wusste, dass Gerüchte schwer zu bändigen waren − dass sie, einmal in die Welt gesetzt, ein Eigenleben entwickelten, das sie fast unbezwingbar machte. Und je boshafter sie waren, desto tiefer gruben sie sich in die Gedanken der Wesen.
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Aber er würde es zumindest versuchen.
Mit diesem Entschluss verabschiedete er sich von Rafyndor und Lililja und trat, die Gedanken schwer und doch entschlossen, den Heimweg an.
Oh ja − er würde es versuchen!
Lililja betrachtete Rafyndor noch immer mit verwirrtem Blick. Hatte er soeben gesagt, er sorge sich um sie? Und hatte er wirklich den jungen Goblin gebeten, gegen die boshaften Gerüchte über sie vorzugehen? Das war nicht der gleiche Waldgeist, den sie am Morgen noch verzweifelt und in sich zusammengebrochen zurückgelassen hatte − nicht das zitternde Häufchen Sorgen, das ihr in ohnmächtiger Trauer entglitten war. Dies war ein anderer Rafyndor, ein neuer, selbstbewussterer, den sie in dieser Form noch nie zuvor gesehen hatte. Was war geschehen?
Rafyndor bemerkte ihre Verwunderung und lächelte sie sanft an. Ohne zu zögern, legte er den Arm um ihre Schultern, eine Geste von so unaufdringlicher Selbstverständlichkeit, dass sie ihm folgen musste, als er gemächlich losging.
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„Nachdem du fort warst“, begann er leise, „wurde mir bewusst, wie selbstsüchtig ich mich dir gegenüber verhalten habe. Du trägst eine so schwere Last − und ich, anstatt dich zu unterstützen, habe dir das Leben nur zusätzlich erschwert. Doch du warst immer die Stärkere von uns beiden, immer diejenige, die sich um alles kümmerte. Nie wäre mir in den Sinn gekommen, dass auch du eines Tages jemanden brauchen könntest, der für dich einsteht. Doch nun, Lililja, glaube ich, dass die Zeit gekommen ist, dass der kleine Waldgeist sich endlich schützend vor seine Beschützerin stellen muss.“
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Rafyndor erklärte, dass Lililja immer die Stärkere von ihnen beiden gewesen sei, aber er ab jetzt ihr Beschützer sein wollte.
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Seine Stimme wurde fester. „Diese Gerüchte, die jetzt schon ihre Schatten werfen, noch bevor überhaupt etwas geschehen ist, sind nur der Anfang. Sie zeigen, welch schwere Zeiten auf dich zukommen werden. Und das Letzte, was du nun gebrauchen kannst, ist ein klagender, zaudernder Waldgeist an deiner Seite.“
Er blieb stehen und drehte sich ihr zu. Der Abendwind strich sanft durch das Blätterwerk über ihnen, während er ihr mit tiefer Ernsthaftigkeit in die Augen sah.
„Lililja, was auch geschehen mag − du sollst wissen, dass ich an deiner Seite sein werde. So, wie du es fast mein ganzes Leben lang für mich warst.“ Dann zog er sie an sich, umfing sie mit seinen Armen und hielt sie fest.
Lililja verharrte für einen Moment in Überraschung, überwältigt von seinen Worten, von der plötzlichen Umarmung. Doch dann, als sie die Wärme seiner Nähe spürte, als sie erkannte, dass er es ernst meinte, dass er tatsächlich für sie da sein wollte, fiel eine unsichtbare Last von ihr ab. Die Anspannung, die sie so lange in sich getragen hatte, begann zu weichen.
Mit dieser Erleichterung jedoch kamen auch die Tränen. Sie, die so tapfer geblieben war, als Rafyndor heute Morgen zusammengebrochen war, konnte sie nun nicht länger zurückhalten. Doch es war nicht mehr nötig, die Fassade aufrechtzuerhalten. Sie musste sich nicht mehr verstellen, nicht mehr den Anschein unerschütterlicher Stärke wahren. Sie durfte sich eingestehen, was sie lange schon spürte: dass sie Angst hatte. Dass die Verantwortung, die auf ihren Schultern lastete, sie schier erdrückte.
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In Rafyndors starken Armen brach Lililja zusammen.
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Ein Schluchzen entrang sich ihrer Kehle, dann noch eines − und schließlich gab sie sich ihren Gefühlen hin.
Rafyndor sagte nichts. Er hielt sie nur fest. Stark, verlässlich, schweigend − und doch war in dieser Stille eine tiefere Sprache, eine stille Versicherung: Ich bin hier. Ich werde immer hier sein.
So standen sie eine lange Zeit, mitten auf dem Pfad, umgeben vom sanften Rauschen des Waldes. Erst als ihre Schluchzer allmählich abklangen, lockerte Rafyndor behutsam die Umarmung und sah ihr in die verweinten Augen, sein Lächeln sanft, voller Zärtlichkeit.
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„Fühlst du dich nun etwas freier?“, fragte er leise.
Lililja nickte nur, wagte ein schwaches Lächeln.
„Möchtest du noch ein wenig mit mir spazieren gehen?“, fragte er ebenso sanft.
Wieder nickte sie.
Er legte erneut den Arm um ihre Schultern, und während sie langsam weiter durch das Zentrum der Hellen Magie schlenderten, empfand Lililja etwas, das sie lange nicht mehr gespürt hatte: ein Gefühl von Wärme, von Geborgenheit. Bei diesem neuen Rafyndor fühlte sie sich sicher.
Und zum ersten Mal seit langer Zeit glaubte sie, dass sie dieser gewaltigen Bürde nicht allein würde standhalten müssen.
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Lililja fühlte sich bei Rafyndor geborgen.
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