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Am frühen Morgen trat Meister Lehakonos an eines der hohen Fenster seines Studierzimmers, dessen Holzsprossen in filigraner Arbeit eingefasst waren, öffnete es weit und sprach leise, doch mit klarer Stimme die magischen Worte: „Maheravo, Skukius!“ Mit diesem uralten Zauberwort rief er den Korvum-Raben Skukius herbei, um unverzüglich die Zaubergemeinschaft zu versammeln.
Skukius war nicht nur ein Meister der Lüfte, dessen Flüge lautlos und pfeilschnell waren, sondern auch ein unvergleichlicher Bote mit durchdringender Stimme und der Gabe, die Sprache der Zauberwesen zu beherrschen. Sein scharfer Verstand und sein charismatisches Wesen machten ihn zum idealen Übermittler in Zeiten, da Dringlichkeit und Präzision unabdingbar waren.
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Meister Lehakonos rief am Fenster Skukius, den Korvum-Raben, herbei.
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Während Meister Lehakonos auf das Erscheinen des Raben wartete, bereitete er sich gedanklich auf die bevorstehende Ansprache an die Gemeinschaft vor.
Bald darauf flog Skukius mit einem eleganten Schwung heran und landete mit beeindruckender Präzision auf dem Fensterbrett. Seine bunte Federkrone, ein prächtiges Merkmal, das ihn von seinen Artgenossen unterschied, wippte in rhythmischer Bewegung vor Aufregung. Es war offensichtlich, dass Skukius es genoss, ein solch wichtiger Verbündeter des alten Lehrmeisters zu sein. Denn jedes Mal, wenn er einen Botendienst erfüllte, widmete Meister Lehakonos ihm anschließend kostbare Zeit, um mit ihm über die Geheimnisse der Magie zu philosophieren.
Der alte Lehrmeister erinnerte sich lebhaft an den ersten Tag, an dem ihm die außergewöhnlichen Fähigkeiten dieses Vogels bewusst geworden waren.
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Meister Lehakonos unterrichtete die Magie der Schatten, als ihm Skukius im Baum auffiel.
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Es war während einer Unterrichtsstunde im schattigen Hain des Zentrums der Hellen Magie, als er einer Gruppe junger Zauberwesen die Grundlagen der Magie der Schatten näherbrachte.
Damals war ihm ein ungewöhnlich schwarzer Rabe mit schimmerndem Gefieder und der auffälligen Federkrone aufgefallen, der regungslos auf einem Ast saß und den Unterricht mit einer beinahe menschlichen Konzentration zu verfolgen schien. Mit geneigtem Kopf beobachtete der Vogel jede Bewegung des alten Lehrmeisters, als wolle er jedes Wort, jede Geste verstehen.
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Am darauffolgenden Tag wiederholte sich das Schauspiel. Der Rabe kehrte zurück, um erneut den Lektionen des alten Lehrmeisters zu lauschen. Es war ein seltsames Verhalten, selbst für die Korvum-Raben, die zwar als intelligent bekannt waren, doch niemals zuvor hatte man von einem ihrer Art gehört, der derart aufmerksam den Lehrstunden eines Magiers folgte.
Meister Lehakonos sprach unter seinen Kollegen über diese seltsame Begegnung.
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Jadoruc, ein beleibter und vorsichtiger Vykati, der sich der dunklen Magie verschrieben hatte, reagierte alarmiert.
„Einen Korvum-Raben, der Unterricht verfolgt?“, fragte er mit erhobenen Brauen. „Das ist keine gewöhnliche Erscheinung! Solch ein Verhalten deutet darauf hin, dass der Vogel von einem dunklen Magier als Spion gesandt wurde. Ihr solltet äußerste Vorsicht walten lassen und den Vogel vertreiben!“
Obgleich Meister Lehakonos den Ratschlägen Jadorucs in der Regel große Beachtung schenkte, erschien ihm die Sorge in diesem Fall überzogen.
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Jadoruc, der äußerst beleibte Vykati, war stets sehr misstrauisch.
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Dennoch beschloss er, den Raben einer Prüfung zu unterziehen, um dessen wahre Natur zu ergründen.
Am folgenden Tag ließ er absichtlich ein unverzichtbares Instrument, das Visoskop, zurück und nutzte die Gelegenheit, um den Vogel direkt anzusprechen.
„Ah, Korvum-Rabe“, sagte er und tat mit einer scheinbar beiläufigen Geste, als sei der Vogel ihm ganz zufällig aufgefallen. „Wie lautet dein Name?“
Der Rabe antwortete stolz: „Skukius.“
Meister Lehakonos fuhr fort: „Ich habe mein Visoskop vergessen. Du würdest mir eine große Hilfe sein, wenn du es mir bringen könntest.“
Doch anstatt eine korrekte Beschreibung zu liefern, skizzierte er absichtlich ein fehlerhaftes Bild des Instruments. Zudem hatte er an jenem Morgen bewusst zwei ähnliche Apparaturen auf seinem Arbeitstisch arrangiert, um Skukius auf die Probe zu stellen.
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Skukius holte trotz fehlerhafter Beschreibung das richtige Instrument.
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Mit bewundernswerter Präzision brachte der Rabe das richtige Instrument, ohne sich von der absichtlich irreführenden Beschreibung täuschen zu lassen. Dies bestätigte dem alten Lehrmeister, dass Skukius nicht nur ein aufmerksamer Zuhörer, sondern auch ein Wesen von außergewöhnlicher Intelligenz war. Meister Lehakonos verbarg sein Erstaunen, dankte dem Raben höflich und setzte die Lektion fort.
Als der Abend hereinbrach, rief der alte Lehrmeister den Korvum-Raben Skukius an das geöffnete Fenster seines Studierzimmers.
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Skukius, der überzeugt war, einen weiteren Botengang für den alten Lehrmeister übernehmen zu sollen, war überrascht, als Meister Lehakonos ihn bat, sich auf die Lehne eines Sessels niederzulassen. Ohne ein Wort schloss der Magier das Fenster hinter ihm, und für einen Moment stieg Unruhe in dem Vogel auf. Meister Lehakonos nahm Platz in einem gegenüberstehenden Sessel und musterte den Raben mit einem warmen, einladenden Lächeln. Er sprach nicht, sondern verharrte in stiller Ruhe, wohl wissend, dass es Zeit brauchen würde, bis Skukius sich in dieser ungewohnten Situation sicher fühlte.
Allmählich ließ die Anspannung des Vogels nach. Von seinem Sitzplatz aus ließ er seinen Blick durch das Studierzimmer schweifen, ein Reich des Wissens, erfüllt mit zahllosen Büchern, uralten Schriftrollen und faszinierenden magischen Artefakten. Ehrfurcht und Sehnsucht erfüllten Skukius: Wie gerne würde er all dies studieren, doch als Vogel schien ihm der Zutritt zu dieser Welt für immer verwehrt.
Ein leises Seufzen entfuhr ihm, und schließlich richtete er seinen Blick zurück auf den alten Lehrmeister, der ihn unverändert freundlich, jedoch nun mit einer spürbaren Intensität ansah.
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Skukius wurde erneut unruhig, bis Meister Lehakonos schließlich sanft die Stille durchbrach: „Mir ist aufgefallen, Skukius, dass du meinen Unterricht mit großer Aufmerksamkeit verfolgst.“
Der Vogel zuckte zusammen. Erinnerungen an die Abweisung anderer Magier, die seine Neugier als aufdringlich empfunden hatten, stürmten auf ihn ein.
Hastig schüttelte er den Kopf und rief: „Nein! Es war reiner Zufall, dass ich heute Morgen auf dem Baum saß, unter dem Ihr unterrichtet habt!“
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Meister Lehakonos wollte von Skukius wissen, warum dieser sich so für den Unterricht interessierte.
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Meister Lehakonos ließ sich von dieser Ausflucht nicht beeindrucken. Sein Lächeln blieb sanft, doch seine Worte waren klar und bestimmt: „Solch zahlreiche Zufälle, wie sie sich in den letzten Tagen ereignet haben, erscheinen mir doch recht unwahrscheinlich. Ich habe dich beobachtet, Skukius, und gesehen, wie du meinen Lektionen mit wachsendem Interesse folgst. Zudem hast du heute Morgen, trotz meiner absichtlichen Fehlinformation, das richtige Instrument gebracht. Warum hast du so große Angst, deine Neugier einzugestehen?“
Der Vogel schwieg einen Moment, unsicher, ob er dem Magier vertrauen konnte. Doch der Blick des alten Lehrmeisters war von Interesse und Milde geprägt, frei von Argwohn oder Zorn. Schließlich brach Skukius sein Schweigen und gestand: „Ich wünsche mir nichts sehnlicher, als Teil der Zaubergemeinschaft zu sein. Doch ich bin ein Vogel − mir ist es nicht möglich, die Magie zu erlernen.“
Meister Lehakonos schien überrascht. „Warum sollte dir das als Vogel verwehrt sein, wenn du magische Begabung besitzt?“, fragte er, seine Neugier offenkundig.
Skukius ließ die Schultern hängen und erwiderte niedergeschlagen: „Weil ich keine Hände habe. Ich sehe, wie ihr Magier eure Hände gebraucht: Ihr berührt Bäume, um sie zu heilen, den Boden, um seine Magie zu spüren, und Wasser, um dessen Fluss zu harmonisieren. Ohne Hände ist das unmöglich.“
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Meister Lehakonos plante, Skukius dem jugendlichen Rafyndor vorzustellen.
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Der alte Lehrmeister legte den Kopf leicht schief, ein nachdenkliches Lächeln umspielte seine Lippen. „Warum sollte das ein Hindernis sein?“, fragte er schließlich. „Deine Flügel können ebenso den Baum oder den Fluss berühren, und dein Schnabel dient dir als Werkzeug. Nichts spricht dagegen, dass du Teil unserer Gemeinschaft wirst − sofern du die Begabung mitbringst.“
Die Augen des Vogels weiteten sich ungläubig, während Meister Lehakonos fortfuhr: „Wenn du ernsthaftes Interesse an meinem Unterricht hast, so bist du herzlich eingeladen, daran teilzunehmen. Und um dir den Einstieg zu erleichtern, werde ich dir morgen zwei junge Zauberwesen vorstellen, die dir bei Bedarf zur Seite stehen.“
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Ein Schwall unbändiger Freude durchströmte Skukius. Kaum konnte er glauben, dass ihm, einem Korvum-Raben, ein solches Angebot gemacht wurde. Doch noch ehe er seine Dankbarkeit ausdrücken konnte, begann seine bunte Federkrone in einem leuchtenden, magischen Licht zu strahlen. Meister Lehakonos beobachtete das Schauspiel mit Staunen, während Skukius selbst erschrocken fragte: „Was war das?“
Der alte Lehrmeister neigte sich leicht vor und antwortete mit einem warmen Lächeln: „Mein lieber Skukius, es scheint, als trage deine Seele eine größere Magie in sich, als wir beide geahnt haben. Ich bin überzeugt, dass du ein würdiges und wertvolles Mitglied der Zaubergemeinschaft werden wirst.“
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Als Skukius nicht wusste, wohin mit seiner Freude, begann seine Federkrone zu strahlen und ein magisches Licht auszusenden.
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„Doch bevor ich dir die Teilnahme an meinem Unterricht gestatten kann“, fuhr Meister Lehakonos bedächtig fort, „musst du den Schwur des Lichts ablegen. Mit diesem Eid verpflichtest du dich, einzig der hellen Magie zu dienen und dich jeglicher dunklen Magie entschlossen entgegenzustellen. Bist du dazu bereit?“
Skukius nickte eifrig, seine Augen funkelten vor Entschlossenheit. Der alte Lehrmeister zog aus der obersten Schublade seines kunstvoll verzierten Schreibtisches ein goldenes, kreisrundes Amulett hervor. Es war mit konzentrischen Kreisen ausgeschmückt, in deren Zentrum eine schimmernde Kugel lag. Nachdenklich wog Meister Lehakonos das Amulett in seiner Hand, als ob er dessen Bedeutung und Macht erneut abwägen wollte.
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„Die jungen Zauberwesen“, sprach der Magier leise und nachdenklich, „müssen beim Schwur stets den Solaris-Glanzstein mit der Hand umschließen. Doch ich denke, wenn ich ihn dir umhänge, wird er eine ähnliche Wirkung entfalten.“ Ein sanftes Lächeln erhellte sein Gesicht, als er sich Skukius zuwandte.
Mit großer Sorgfalt legte der alte Lehrmeister die Kette um den Hals des Korvum-Raben und trat einen Schritt zurück, um ihn zu betrachten.
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Skukius sprach den Schwur des Lichtes, während der Solaris-Glanzstein um seinem Hals hing.
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Dann wies er ihn an: „Sprich mir nach: Inmitten des strahlenden Lichts und der Reinheit des Universums schwöre ich, Skukius, meinen Eid. Ich verpflichte mich feierlich, ausschließlich helle Magie zu wirken und unermüdlich gegen die Dunkelheit zu kämpfen. Mein Licht soll die Schatten vertreiben und Frieden sowie Harmonie in der Welt verbreiten − stets im Dienst des Gleichgewichts und des Wohls aller Wesen.“
Mit klopfendem Herzen und freudiger Erregung sprach Skukius die Worte nach, die Meister Lehakonos ihm in angemessener Langsamkeit vorsprach. In diesem Augenblick wurde der Korvum-Rabe feierlich in die Gemeinschaft der magischen Schüler aufgenommen.
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Am darauffolgenden Tag rief Meister Lehakonos die jungen Zauberlehrlinge Raffyndor und Pranicara zu sich. Diese beiden, mittlerweile jugendliche Magier, zeichneten sich durch eine besondere Begabung im Umgang mit Tieren aus. Ihnen übertrug er die Aufgabe, Skukius in die Grundlagen der Magie einzuführen und ihm mit Rat und Tat zur Seite zu stehen. Von jenem Tag an nahm der wissbegierige Korvum-Rabe seinen Platz im Unterricht zwischen Raffyndor, Pranicara und Lililja ein und widmete sich mit Hingabe dem Studium der „Magie der Naturverbundenheit“.
Die anderen Lehrmeister begegneten dieser Entscheidung von Meister Lehakonos mit einem Lächeln, das sowohl amüsiert als auch skeptisch war. Sie sahen in seinem Vorhaben, einen intelligenten Vogel zu unterrichten, eine charmante, wenn auch exzentrische Eigenheit des Hohenmagiers.
Jadoruc hingegen, der stets misstrauische Meister der dunklen Magiestudien, ließ sich nicht besänftigen. Wieder und wieder warnte er Meister Lehakonos eindringlich: „Dieser Korvum-Rabe ist gewiss ein Spion eines dunklen Magiers! Ihr solltet ihn besser fortjagen, bevor er Schaden anrichtet!“
Die Jahre vergingen. Skukius zeigte sich als lernbegierig und aufnahmefähig, stets bestrebt, die Geheimnisse der Magie zu ergründen. Doch selbst all die Weisheit, die er von Meister Lehakonos und dessen Schülern erlangte, vermochte seinen Durst nach Wissen nicht zu stillen. Als der alte Lehrmeister ihm schließlich vorschlug, ihn als seinen persönlichen Botenflieger zu engagieren und seine Dienste durch tiefgehende Gespräche über magische Themen zu belohnen, nahm Skukius das Angebot voller Freude an.
Und so fand sich der Korvum-Rabe nun auf dem Fenstersims des Studierzimmers wieder, seine leuchtende Federkrone wippte erwartungsvoll. Geduldig wartete er auf den Auftrag, den Meister Lehakonos ihm erteilen würde, und auf die versprochene Weisheit, die ihre Gespräche mit sich brachten.
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Skukius wartete auf seinen Auftrag.
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