zurück StartseiteDer Planet AgibaraniaWesen und OrteTitelseiteInhaltsverzeichnis1m) Rückkehr


Rückkehr

Auf dem Weg zurück zur Gemeinschaft unterhielten sich Pranicara und Rafyndor angeregt über Lililja. Rafyndor fühlte sich endlich wieder frei, als hätte ein schwerer, erdrückender Stein, der lange auf seiner Seele gelastet hatte, sich in Staub aufgelöst. Es war Pranicara gewesen, die diesen Stein mit ihren Worten regelrecht zerschmettert hatte.

Inmitten seines inneren Chaos hatte er nicht wirklich begriffen, dass seine größte Sorge nicht etwa darin bestand, wie er mit seinen Gefühlen für Lililja umgehen sollte. Vielmehr hatte ihn die Angst gequält, sie könnte etwas von diesen Gefühlen bemerkt haben. Doch Pranicaras Versicherung, dass Lililja vollkommen ahnungslos sei, ließ seine Ängste wie Nebel im Morgengrauen schwinden.

Pranicara jedoch war nicht zufrieden damit, ihm nur den Rücken zu stärken. „Du solltest Lililja von deinen Gefühlen erzählen“, drängte sie mit Nachdruck.



Rafyndor wollte Lililja nichts von seinen neu entdeckten Gefühlen für sie erzählen.

Rafyndor schüttelte entschieden den Kopf. „Nein“, sagte er bestimmt, „es soll alles so bleiben wie früher. Ich will mit ihr spazieren gehen, mit ihr lachen und ihre Gesellschaft genießen, so wie es immer war. Wenn ich ihr jetzt von meinen Gefühlen erzähle, wird sich alles verändern. Ich kann nicht abschätzen, wie oder was – aber es wird anders sein. Das möchte ich nicht riskieren.“

Pranicara musterte ihn mit einem nachsichtigen Lächeln und zuckte schließlich die Schultern. „Du musst selbst wissen, was du willst“, gab sie nach. „Ich werde mich bei euch nicht einmischen.“

Sie wechselte das Thema mit der Direktheit, die ihrer Art entsprach. „Sag mal, Rafyndor, was war eigentlich der Auslöser dafür, dass dir deine Gefühle für Lililja so plötzlich bewusst geworden sind?“

Rafyndor zögerte, suchte nach Worten, doch schließlich gestand er: „Meister Lehakonos hatte in der Kristallhöhle von den Aufgaben des Schleiersturms gesprochen und davon, wie die magische Gemeinschaft einst im Streit über die Auslegung dieser Aufgaben auseinandergerissen wurde. Als ich dann abends mit Lililja am Mondspiegelteich saß, stellte ich mir vor, sie könnte sich eines Tages von mir abwenden, vielleicht sogar gegen mich stehen. Der Gedanke war so unerträglich, dass ich kaum noch klar denken konnte.“

Pranicara blieb wie angewurzelt stehen, ihre Augen weiteten sich vor Überraschung. Einen Moment lang schien sie nach Worten zu ringen, doch schließlich schüttelte sie nur den Kopf und erklärte fassungslos:



Die Entzweiung der magischen Völker, von der Meister Lehakonos gesprochen hatte angesichts des bevorstehenden Schleiersturms und der Aufgabe, die dieser mit sich bringen würde, beschäftigte Rafyndor nach wie vor.

„Du bist wirklich ein Schattenschreck, Rafyndor! Wie kannst du nur glauben, dass Lililja sich jemals von uns abwenden würde? Nur weil die Elfen und die Waldgeister vielleicht irgendwann nicht mehr miteinander sprechen? Du magst Lililja lieben, aber kennst du sie wirklich?“

Rafyndor war mittlerweile klar geworden, wie absurd sein Gedankengang gewesen war. „Vielleicht hast du recht“, räumte er ein, „aber die Gefahr der Entzweiung besteht dennoch. Es ist nicht unmöglich. Meister Lehakonos hat uns daran erinnert, dass die magischen Völker Vanavistarias schon einmal entzweit wurden. Woher willst du wissen, dass es diesmal anders sein wird?“

Pranicara legte ihm sanft die Hand auf den Arm und sagte mit ruhiger Überzeugung: „Schau dir doch einmal unsere Führer an. Da ist unser Hohenmagier Meister Lehakonos, der selbst Korvum-Raben an seinem Unterricht teilnehmen lässt, obwohl die anderen Magier ihn dafür insgeheim belächeln. Ein Mann, der selbst wilden Waldgeistern mit unbändigen Gedanken die ‚Magie der Naturverbundenheit‘ geduldig beibringt – glaubst du wirklich, er würde zulassen, dass die Gemeinschaft der Magier sich spaltet?“

Rafyndor schüttelte langsam den Kopf.



Lililja kümmerte sich sogar um die eher unbedeutenden Blattwichtel.

„Dann betrachte Lililja“, fuhr Pranicara fort, „unsere Hüterin der Natur und der Magie, die selbst die kleinsten Blattwichtel nach ihrem Wohlergehen fragt. Glaubst du wirklich, sie würde die Aufgabe des Schleiersturms über das Wohlergehen dieser kleinen Wesen stellen?“

Rafyndor schüttelte erneut entschieden den Kopf.

„Und schließlich“, fuhr Pranicara mit einem warmen Lächeln fort, „sieh dich selbst an: den Obersten Waldhüter von Vanavistaria, der Pilzgnomen mit ihren absurden Besitzansprüchen aus dem Weg geht, weil er sie so akzeptiert, wie sie sind. Einen Hüter, der weiß, wie man einen Korvum-Raben, der sich in der Welt der Magie oft allein fühlt, glücklich macht, indem er ihm einen kleinen gefiederten Gefährten zur Seite stellt.“

Sie deutete auf Skukius und Rangalo, die munter vor ihnen herflogen, einander fröhlich mit Kunststücken beeindruckten und dabei ununterbrochen miteinander schwatzten.

„Kannst du dir vorstellen, dass dieser Waldhüter die Aufgabe des Schleiersturms über die Verbundenheit mit seinen kleinen Freunden stellt?“

Rafyndor lächelte und nickte schließlich. „Du hast recht, Pranicara. Die Gefahr der Entzweiung ist verschwindend gering. Ich weiß nicht, warum ich mir solche Sorgen gemacht habe.“

Pranicara grinste triumphierend. „Weil du schon immer ein kleiner Schattenschreck warst, Rafyndor. Und genau deshalb haben wir dich so unglaublich lieb.“

Rafyndor lachte leise, zog seine Cousine in eine herzliche Umarmung und dankte ihr für ihre klaren Worte. „Gut, dass Skukius sich nicht an sein Versprechen gehalten hat“, bemerkte er schließlich schmunzelnd. Die Welt erschien ihm plötzlich wieder voller Licht und Möglichkeiten.



Rafyndor war schon immer eher ängstlich gewesen.

Der Pfad führte Pranicara und Rafyndor zielstrebig zum Anwesen des Hohenmagiers. Auf Drängen Pranicaras hatte sich Rafyndor entschlossen, sich bei Meister Lehakonos für seine unerwartete Abwesenheit zu entschuldigen und Rechenschaft über die letzten Tage abzulegen.

„Ich vermute, Meister Lehakonos hat Lililja und mir unsere Erklärungen nicht ganz abgenommen“, hatte die Waldgeistfrau angemerkt. „Es wäre klug, wenn du ihm selbst versicherst, dass du wieder Herr der Lage bist.“



Vor dem Anwesen diskutierten Meister Lehakonos, Jadoruc und Lililja noch einige wichtige Punkte.

Als sie aus dem schmalen Durchgang traten und die Lichtung erreichten, auf der das ehrwürdige Anwesen des Hohenmagiers stand, fiel ihr Blick auf drei Gestalten, die vor dem Eingang in ein Gespräch vertieft waren. Dort standen Meister Lehakonos, Jadoruc und Lililja − offenbar noch in Diskussionen vertieft nach dem täglichen Treffen der dreizehn Zauberweisen, das seit der Ankündigung des Schleiersturms nach der Mittagspause stattfand.

Lililja entdeckte die beiden Waldgeister, die sich nähernd aus dem Schatten der Bäume traten. Einen Moment lang schien sie innezuhalten, dann unterbrach sie unvermittelt das Gespräch, entschuldigte sich hastig bei den beiden Magiern und rannte Rafyndor entgegen.

Ohne Zögern fiel sie ihm um den Hals und umschlang ihn fest, als wollte sie sicherstellen, dass er nicht noch einmal entschwand. Über ihre Wangen liefen Tränen der Erleichterung, während sie ihn ohne Worte umarmte.

Rafyndor war überwältigt. Trotz Pranicaras wiederholter Zusicherungen, Lililja mache sich lediglich Sorgen um ihn, hatte ihn die Befürchtung nicht losgelassen, sie könne ihm sein plötzliches Verschwinden übelgenommen haben. Doch hier war sie nun, ihre Zurückhaltung und ihren Rang vergessend, und ihre Umarmung sprach mehr als alle Worte. Tief berührt legte er seine Arme um sie und hielt sie sanft.

„Lililja, ich bin wieder da“, sagte er leise, während er zärtlich ihre Wange streichelte. „Pranicara hat mir geholfen, meine Gedanken zu ordnen. Es geht mir wieder gut.“

Lililja verharrte einen Moment in der Umarmung, genoss die vertraute Nähe, bis das Bewusstsein ihrer Rolle und der Zuschauer sie plötzlich erfasste. Behutsam löste sie sich aus seinen Armen, strahlte ihn jedoch weiterhin an, ein warmer Glanz in ihren Augen.

„Lass uns heute Abend wieder unseren Spaziergang machen, Rafyndor“, schlug sie vor. „Wir treffen uns an der gewohnten Stelle. Dann können wir in Ruhe reden, einverstanden? Jetzt muss ich mich noch um einige Details zusammen mit Meister Lehakonos und Jadoruc kümmern.“

Mit einer fließenden Geste strich sie ihre Kleidung glatt, richtete ihr Haar und wischte die letzten Tränen aus ihrem Gesicht. Sie schenkte Rafyndor ein letztes Lächeln, nickte Pranicara dankend zu und wandte sich dann, ihre Haltung von einer würdevollen Gelassenheit geprägt, den beiden Magiern zu. Als Hüterin der Natur und der Magie trug sie ihre Verantwortung mit Anmut, und jeder ihrer Schritte sprach von der Würde ihrer Position.



Lililja fragte Rafyndor, ob sie sich am Abend wieder an der üblichen Stelle treffen wollten.

Pranicara und Rafyndor blieben respektvoll an Ort und Stelle, aus der Ferne die drei Magier beobachtend, während Lililja sich wieder in die Diskussion vertiefte. Rafyndor wollte unbedingt noch Meister Lehakonos aufsuchen, um die längst überfällige Entschuldigung endlich auszusprechen.

Währenddessen ließ Jadoruc seinen Blick nachdenklich auf Lililja ruhen, eine kaum merkliche Falte auf der Stirn, die seinen kritischen Gedanken Ausdruck verlieh. Meister Lehakonos hingegen lächelte, ein leises, schmunzelndes Lächeln, das von Erinnerungen sprach. Vor seinem inneren Auge tauchte das Bild eines kleinen Wirbelwinds auf − Lililja als Kind, wie sie einst durch die Wälder gestreift war, den Stimmen der Bäume lauschte und mit unbeirrbarer Hingabe verschreckte Waldgeister aus ihrer Starre befreite.

Für einen flüchtigen Moment sah er sie wieder, wie sie mit ausgebreiteten Armen dem kleinen Rafyndor hinterherlief, ein unbeschwertes Lachen auf den Lippen, das von einer Freude kündete, die selbst die dunkelsten Sorgen zerstreuen konnte.


Für einen kurzen Moment hatte Lililja wieder
Wesenszüge gezeigt, die sie als Kind
gehabt hatte.

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