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Mojalian

Als Meister Lehakonos mit Mojalian das Podium verließ, brach ein wahres Feuerwerk an Fragen über das Geisterwesen herein. Mojalian beantwortete jede davon mit unerschütterlicher Geduld und Präzision. Es lag in seiner Natur, sich mühelos auf eine Vielzahl von Gesprächspartnern und Themen gleichzeitig zu konzentrieren, ohne dabei den Faden zu verlieren.

Der alte Lehrmeister geleitete Mojalian schließlich zur kleinen Gruppe um Skukius, die unweit des Podiums verweilte.



Skukius konnte Mojalian nicht verstehen.

Während Mojalians Gedankenansprache hatte der Korvum-Rabe zunehmend verwirrt gewirkt. Seine scharfen Augen huschten von einem Zuhörer zum anderen, als suchten sie nach einer Erklärung für das, was vor sich ging. Schließlich hatte er sich zu Rafyndor umgedreht und leise gefragt: „Was ist hier los? Warum sagt niemand etwas?“

Bevor Rafyndor antworten konnte, hatte Lililja mit einem wissenden Lächeln die Erklärung übernommen: „Mojalian spricht in Gedanken zu uns. Da er deine Gedanken nicht erfassen kann, überrascht es mich nicht, dass du seine Worte ebenfalls nicht hören kannst.“

Skukius hatte daraufhin seinen typischen, skeptischen Blick aufgesetzt, als wolle er diese Erklärung nicht so recht akzeptieren. Doch Lililja hatte lediglich mit den Schultern gezuckt und sich wieder Mojalians Ansprache zugewandt.

Nun, da Meister Lehakonos und Mojalian zur Gruppe zurückkehrten, richtete Skukius sich direkt an das Geisterwesen. „Leider habe ich von deiner Rede kein einziges Wort verstehen können“, erklärte er bedauernd.

Mojalian sah sich ratlos in der Runde um. Wieder war es Lililja, die sich der Situation annahm, dieses Mal mit einem leisen Schmunzeln. „Ich glaube, wir haben ein kleines Problem“, begann sie. „Mojalian, wenn ich richtig liege, verstehst du unsere Worte nicht akustisch, sondern liest stattdessen unsere Gedanken während des Gesprächs, oder?“

Mojalian nickte zur Bestätigung. Lililja wandte sich an die Gruppe und erläuterte: „Da Mojalian nicht in der Lage ist, die Gedanken von Vögeln zu lesen, kann er Skukius nicht verstehen. Gleichzeitig kann Skukius nicht die Gedanken von Mojalian empfangen. Das bedeutet, dass die beiden ohne einen Vermittler keine Möglichkeit haben, miteinander zu kommunizieren.“

„Oh“, entfuhr es Skukius, während Mojalian ein bedauerndes Lächeln zeigte.

Eine unbehagliche Stille legte sich über die Gruppe, bis Meister Lehakonos das Schweigen schließlich brach. Mit einem aufmunternden Blick wandte er sich an Pranicara. „Pranicara, ich wollte dir Mojalian vorstellen. Er ist ein Seelen-Drasta von Valivisia, ein Wesen, das in die Seelen anderer zu blicken vermag und sich bemüht, Heilung zu bringen.“

Pranicara gab ein überrascht-leises „Oh“ von sich und schenkte Mojalian ein freundliches Lächeln.

Das Geisterwesen öffnete daraufhin seinen Geist für alle Anwesenden und sprach: Der Hohenmagier hat mir von deiner Berufung berichtet, Pranicara. Du kümmerst dich ebenfalls um die Seelen anderer Wesen. Es wäre faszinierend, mehr über deine Methoden zu erfahren, da du lediglich die äußere Erscheinung deiner Patienten betrachten kannst. Ich hingegen habe das Privileg, tief in ihre Seelen zu blicken und selbst die verborgensten Gedanken zu erkennen.



Mojalian und Pranicara verstanden sich als Kollegen.

Kaum hatte Mojalian dies gesagt, bemerkte er eine subtile Veränderung in der Herzfrequenz von Rafyndor. Obwohl er ihn nicht ansah, öffnete er seinen Geist allein für Rafyndor und sprach direkt zu ihm: Hab keine Angst. Ich verspreche dir, dass ich nicht nach deinen verborgenen Gedanken suchen werde. Deine Geheimnisse sind bei mir sicher.



Rafyndor konnte vor Mojalian nicht verbergen, dass er ein Geheimnis mit sich herumtrug.

Rafyndor wurde bleich, doch da Mojalian ihn nicht ansah, entging seine Reaktion den anderen. Mojalian ergänzte beruhigend: Ich spürte deine Unruhe, als ich mit Pranicara sprach. Es scheint, als gäbe es etwas, das du gerne für dich behalten möchtest. Sei versichert, dass ich es nicht ergründen werde.

Rafyndor fühlte sich zunehmend unbehaglich. Der Wunsch, dieser Situation zu entkommen, wuchs in ihm. Doch wie konnte er sich zurückziehen, ohne Verdacht zu erregen?

Da richtete Mojalian seine Worte an alle: Dürfen wir die Kristallhöhle verlassen? Ich würde gerne die frische, würzige Luft Vanavistarias atmen.

Rafyndor starrte Mojalian misstrauisch an. Hatte das Geisterwesen seine Gedanken etwa doch gelesen? Doch diese Frage verdrängte die Erleichterung, dass sich dieses Zusammenkunft nun auflöste.

Die kleine Gruppe setzte sich in Bewegung, geführt von Mojalian und Meister Lehakonos, während Pranicara und Lililja ihnen folgten, und ganz zuletzt Rafyndor und Skukius. Leise flüsterte Skukius seinem Gefährten zu: „Hat Mojalian dir etwas beunruhigendes gesagt? Du wirkst plötzlich wie erstarrt“

Rafyndor spürte ein dumpfes Pochen in seinem Kopf. Gab es kein Entkommen aus diesem unangenehmen Moment? „Ähm, nein“, stammelte er, „ich glaube, ich bin einfach etwas überarbeitet, und die Nervosität der letzten Tage fällt nun von mir ab.“

Skukius warf ihm einen misstrauischen Blick zu und setzte seine gewohnte skeptische Miene auf. Doch er schwieg. Auch Rafyndor hatte ein Recht auf seine Geheimnisse, dachte der Korvum-Rabe, und so hielt er sich zurück.

Mojalian hingegen blieb unaufhörlich Ziel unzähliger Fragen der Zauberwesen, die ihn auch nach dem Verlassen der Kristallhöhle weiterhin in ihren Gedanken bedrängten. Geduldig und mit der Intensität, die er meisterhaft kultiviert hatte, antwortete er auf jeden Einzelnen, tauchte tief in konzentrierte Gedankengespräche ein und stellte eine Verbindung zu jedem Fragenden her − alles gleichzeitig. Doch seine Begleiter nahmen von diesem unaufhörlichen Austausch nichts wahr, da Mojalians Kommunikation rein gedanklich und unsichtbar für sie war.

Endlich erreichten sie das Freie, die Gruppe stand nun vor der Kristallhöhle. Mojalian breitete seine majestätischen Flügel aus, als wollte er die Luft in seiner vollen Weite aufnehmen. Dann blickte er in die Runde und sprach in Gedanken zu den Anwesenden: Ich spüre eine sehr angenehme Vertrautheit zwischen euch vier, und bei einem Blick auf Skukius korrigierte er sich augenblicklich: Zwischen euch fünf.

Die anderen wechselten verwirrte Blicke. „Nun, vielleicht lässt sich das erklären“, versuchte Pranicara mit einem milden Lächeln, „Rafyndor und ich sind Cousin und Cousine. Lililja kennen wir schon von Kindesbeinen an, Skukius kam erst etwas später zu uns. Meister Lehakonos wiederum ist unser aller Lehrmeister, der uns in der ‚Magie der Naturverbundenheit‘ unterwiesen hat. Da wir uns alle schon lange kennen, bleibt eine gewisse Vertrautheit nicht aus.“


Mojalian spürte zwischen den fünf Wesen eine enge Vertrautheit.

Aber, entgegnete Mojalian nachdenklich, ihr könnt euch doch nur ansehen, was der andere tut, ohne zu wissen, was in ihm vorgeht, was er denkt oder fühlt. Wie könnt ihr also sicher sein, dass ihr einander vertrauen könnt?

Die Zauberwesen begannen langsam zu verstehen: Mojalian, als Geisterwesen, nahm die Dinge aus einer ganz anderen Perspektive wahr, und war nun bemüht, ihre Sichtweise zu begreifen.

Lililja antwortete schließlich mit Bedacht: „Das ist eine Frage der Erfahrung. Wir beobachten, wie jemand auf Äußerungen reagiert, und hören zu, was er daraufhin antwortet. Wir registrieren, ob der andere Zeit für uns hat, wenn wir jemanden zum Reden brauchen, und ob er unsere Geheimnisse bewahrt. Wir Materiellen achten genau darauf, wie uns jemand begegnet, und spüren instinktiv, ob er uns nahesteht oder nicht.“

Mojalian nickte nachdenklich. Das klingt für mich sehr komplex, bemerkte er, ich stelle mir vor, dass es gar nicht so einfach ist.



Mojalian berichtete von dem engen Kontakt zwischen Resogurion, einem Geisterwesen von Valivisia, und Tarodastrus.

Er wandte sich dann an Meister Lehakonos. Hohenmagier, sagte er mit einer Stimme, die für alle in Gedanken vernehmbar war, ich muss gestehen, dass mir der Name Vanavistaria nicht gänzlich unbekannt ist. Vor Jahrhunderten bestand regelmäßiger Kontakt zwischen Valivisia und Vanavistaria. Ich weiß jedoch nicht, inwieweit diese Geschichte bei euch bekannt ist. Einer unserer Weisenmeister, Resugurion, hatte einen besonders intensiven Austausch mit einem eurer Zauberwesen, einem Tarodastrus.

Meister Lehakonos horchte auf, überrascht und aufgeregt zugleich. So waren die Geschichten über Tarodastrus also keine Legenden, sondern entsprachen der Wahrheit!, dachte er fasziniert.

„Tarodastrus ist in unseren Geschichtsbüchern natürlich gut dokumentiert“, entgegnete der alte Lehrmeister, „doch der Name Resugurion hat sich nur als Legende erhalten. Ich muss gestehen, dass dieser Name in den Aufzeichnungen der Geschichte keinen Platz findet.“

Mojalian nickte, als hätte er dies bereits erwartet.

Das ist verständlich, erklärte er, Tarodastrus war ein Vykati, und er hielt seinen Kontakt zu Resugurion größtenteils geheim. Resugurion nahm zudem an, dass Tarodastrus in einigen Fällen dazu geneigt habe, die Geschichte in eine Weise zu gestalten, die den Verlauf der Ereignisse in einem etwas anderen Licht erscheinen ließ. Zumindest fügte Resugurion diese Anmerkung in seinen Erinnerungen an Vanavistaria hinzu.

Meister Lehakonos war fassungslos. Tarodastrus, der legendäre Sternenseher, der mit seinen Prophezeiungen so viele Weisen geführt hatte, ein Fälscher der Geschichte?



Meister Lehakonos war fassungslos, als er erfuhr, dass Tarodastrus Geschichtsfälschung betrieben haben sollte.

Unmöglich! Das konnte nicht wahr sein! Wenn wir uns nicht einmal auf unsere eigene Geschichte verlassen können, wie sollen wir dann die Zukunft gestalten?, dachte der alte Lehrmeister verzweifelt.

Mojalian spürte die panische Reaktion von Meister Lehakonos und beeilte sich, zu beruhigen: Hohenmagier, bitte nicht in Unruhe verfallen. Tarodastrus hat die Prophezeiungen, die er von Resugurion empfangen hat, genau so niedergeschrieben, wie sie ihm diktiert wurden. Er hat die Geschichte nicht maßgeblich verändert. Vielleicht neigte er eher dazu, seine eigene Rolle und die von Resugurion in der Entwicklung von Vanavistaria herunterzuspielen, aber die grundlegenden Fakten wurden laut Resugurion korrekt weitergegeben.

Meister Lehakonos atmete erleichtert auf. „Also stimmt es, dass es die Entzweiung der magischen Völker tatsächlich gegeben hat? Dass der dunkle Magier Vasodust angegriffen hat? Dass die Wiedervereinigung stattgefunden hat? Auch das Auffinden der Kristallhöhle durch Tarodastrus und die Etablierung der Höhle als Versammlungsort? Ist das alles wahr?“

Ja, das ist alles korrekt, bestätigte Mojalian ruhig, aber Tarodastrus hat wohl seine und Resugurions Rolle in der Geschichte etwas heruntergespielt.



Meister Lehakonos lud Mojalian zu sich ein, um mit ihm über die Geschichte Vanavistarias zu diskutieren.

Mit einem schiefen Lächeln wandte sich Meister Lehakonos an die anderen: „Ich glaube, wir beide werden uns zu gegebener Zeit noch einmal hinsetzen müssen, um die Geschichte Vanavistarias zu durchleuchten. Dieses Thema wird die anderen hier sicherlich langweilen.“

Jederzeit gern, antwortete Mojalian ebenfalls mit einem Lächeln.

„In den kommenden Tagen wirst du sicherlich viele Fragen beantworten müssen“, fuhr Meister Lehakonos fort, „also, wenn du Zeit hast, komm doch vorbei. Meine Tür steht dir offen.“

Die Fragen erreichen mich schon unaufhörlich, entgegnete Mojalian. Seitdem ich das Podium verließ, bin ich unaufhörlich damit beschäftigt, eine Vielzahl von Fragen zu beantworten.

„Du meinst“, platzte es plötzlich aus Rafyndor, „du kannst gleichzeitig mit allen Wesen hier gedanklich sprechen und dich dann noch auf unser Gespräch konzentrieren?“

Mojalian nickte. Wenn ich wollte, könnte ich mit ganz Vanavistaria gleichzeitig kommunizieren, sagte er, und als er die besorgten Mienen seiner Begleiter wahrnahm, fügte er schnell hinzu: Keine Sorge, das werde ich nicht tun. Ich erkläre es gern noch einmal: Ich bin nicht hier, um euch zu schaden. Es ist nicht in meiner Natur, zu zerstören. Ich bin ein Hüter, kein Zerstörer! Doch halte ich es für am besten, jede Frage direkt zu beantworten. Daher werde ich umgehend auf jede an mich gerichtete Bitte eingehen und geduldig demjenigen lauschen, der mir von seinen Sorgen zu berichten wünscht.

„Das ist eine Gabe von dir“, sagte Lililja, „die wir vielleicht lieber nicht zu sehr verbreiten sollten. Ich befürchte, sonst bekommt Jadoruc vielleicht noch einen Herzanfall.“



Mojalian hätte mit ganz Vanavistaria
gleichzeitig kommunizieren können, wenn
er gewollt hätte.

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