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Rafyndor hatte den gesamten Tag in einem Zustand angespannter Erwartung verbracht. Mojalian wollte ihm am Abend mitteilen, ob er Lililja endlich seine Gefühle offenbaren durfte und, noch viel entscheidender, wie sie darauf reagieren könnte. In seinem Inneren glomm die Hoffnung, dass Mojalian ihm auf diese quälenden Fragen eine klare Antwort geben würde. Doch die Ungewissheit zerrte an seinen Nerven. Seine Gedanken schweiften derart ab, dass er kaum imstande war, sich auf seine Arbeit zu konzentrieren. Was hatte Mojalian herausgefunden? War Lililja bereit gewesen, sich ihm so weit zu öffnen, dass er die ersehnten Antworten geben konnte?
Als die Sonne schließlich tiefer sank und sich in feurigen Farben am Horizont ausbreitete, legte Rafyndor seine Arbeit beiseite und bereitete sich auf das Treffen mit Lililja vor. Seine Gedanken kreisten unaufhörlich: Würde er ihr ansehen können, wie das Gespräch mit Mojalian verlaufen war? Die Nervosität legte sich wie ein Schleier um ihn, und er hoffte inständig, dass Lililja nichts davon bemerken würde.
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Als sich die Sonne dem Horizont näherte, schloss Rafyndor für heute seine Arbeit ab.
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Innerlich zerrissen und aufgewühlt erreichte er den verabredeten Treffpunkt. Doch wie so oft begann sie das Gespräch in der ihr eigenen, ruhigen Weise: „Wie war dein Tag?“
Die Vertrautheit dieser simplen Frage, mit der sie ihre Abendspaziergänge stets einzuleiten pflegte, nahm Rafyndor ein wenig von seiner Anspannung. Er erzählte ihr von den wesentlichen Ereignissen des Tages und fügte schließlich, mit einem Schmunzeln, eine kleine Anekdote hinzu: „Mougs Igel ist heute während der Jagd nach einer Phala-Fliege frontal gegen meinen Fuß gerannt. Du hättest sehen sollen, wie Moug im hohen Bogen flog und in einem Busch landete.“
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Ein Kopfschütteln begleitete seine Worte, während er hinzufügte: „Du glaubst nicht, welche Fluchsalven so ein Igelreiter beherrscht! Zum Glück hat sich der Igel nicht ernsthaft verletzt. Moug ist einfach wieder aufgestiegen und hat sofort die nächste Fliege verfolgt.“
Lililja lachte leise, ein glockenheller Klang, der Rafyndor ein wenig aufatmen ließ. Sie kannte Moug gut genug, um sich die Szene lebhaft vorzustellen. Als Rafyndor seine Schilderung beendet hatte, fragte er vorsichtig: „Und wie war dein Tag?“ Seine Stimme verriet nichts von der inneren Unruhe, die ihn bei dieser Frage durchflutete.
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„Äußerst interessant“, antwortete Lililja in ihrer ruhigen Art. „Mojalian hat mich heute den ganzen Tag begleitet. Wir haben überaus tiefgehende Gespräche geführt.“
Unvermittelt fühlte Rafyndor einen Stich von Eifersucht in seiner Brust, obwohl Mojalian ihm versichert hatte, sich nicht zwischen Lililja und ihn drängen zu wollen.
Er unterdrückte jedoch den Impuls, seine Bedenken auszusprechen. Stattdessen fragte er ebenso ruhig: „Worüber habt ihr gesprochen?“
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Lililja erzählte von Mojalians Begleitung den ganzen Tag über.
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„Über unsere unterschiedlichen Sichtweisen auf die Welt“, erklärte sie, und ein Leuchten erschien in ihren Augen. „Für ihn, als Geisterwesen, besitzt alles eine völlig andere Bedeutung als für uns Zauberwesen. Seine Perspektive ist faszinierend.“
Lililja schien in Gedanken versunken. Schließlich bückte sie sich kurz, um einen kleinen Kieselstein vom Boden aufzuheben. Sie hielt ihn Rafyndor hin und fragte: „Was siehst du?“
Er betrachtete den Stein einen Augenblick und antwortete dann mit einem Schulterzucken: „Einen Kiesel.“
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Lililja gab die Geschichte von dem Kieselstein wieder, wie sie diese von Mojalian gehört hatte.
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„Das sehe ich auch“, sagte Lililja lächelnd. „Aber Mojalian sieht darin eine ganze Geschichte: Er sieht, wie dieser Stein einst Teil eines gewaltigen Berges war, von einem Blitz während eines Sturms abgesprengt wurde und ins Tal rollte. Dort wurde er vom Wasser geschliffen, seine Kanten glätteten sich, und schließlich landete er hier, auf diesem Weg, vor unseren Füßen.“
Während Lililja sprach, sah Rafyndor das Leuchten in ihren Augen, und ein weiteres Mal durchzuckte ihn die schmerzliche Frage, was zwischen Mojalian und ihr vorgefallen war. So sehr hatte er Lililja selten beeindruckt und zugleich begeistert erlebt.
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Sein anfängliches Warten voller Nervosität wich einer anderen, weit aufgewühlteren Stimmung. War es möglich, dass Mojalian sein Wort gebrochen hatte? Dieser Gedanke ließ Rafyndor keine Ruhe und verstärkte die Unruhe, die bereits den ganzen Tag in ihm genagt hatte.
Lililja plauderte unbeschwert weiter über die faszinierenden Gegensätze in den Ansichten, die sie und Mojalian ausgetauscht hatten, und bemerkte dabei nicht, wie sich Rafyndors Stimmung zunehmend verfinsterte. Dieser hingegen nahm mit schmerzlicher Deutlichkeit wahr, wie sich die Kluft zwischen ihnen zu vertiefen schien. Normalerweise hätte Lililja längst gespürt, dass etwas nicht stimmte, hätte instinktiv erkannt, dass er sich innerlich von ihr entfernte. Warum blieb ihr das diesmal verborgen? Diese Frage nagte grimmig an seinem Geist, während seine Anspannung ins Unerträgliche wuchs.
Schließlich bemerkte Lililja doch die Veränderung. Irritiert blieb sie stehen und sah ihn mit Sorge an. „Was ist los, Rafyndor?“, fragte sie sanft, ihre Stimme von Besorgnis durchzogen. „Habe ich etwas Falsches gesagt?“
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Rafyndor zögerte, suchte nach Worten, die seinen inneren Aufruhr nicht verraten würden. Doch die Wahrheit war zu bitter, um ausgesprochen zu werden: dass Eifersucht in seinem Herzen wie ein heißes Feuer brannte, dass er Mojalian insgeheim dafür verfluchte, Lililja so zum Strahlen gebracht zu haben.
Offensichtlich hatte das Geisterwesen sich nicht an sein Versprechen gehalten, sich nicht zwischen sie zu drängen! Davon war Rafyndor überzeugt, während seine Gedanken in einem Sturm aus Vorwürfen und Verzweiflung tobten.
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Rafyndor begann Mojalian dafür zu hassen, dass er Lililja so glücklich gemacht hatte.
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Der gemeinsame Spaziergang nahm ein abruptes Ende. Sie kürzten die Strecke ab, und obwohl Lililja ihn immer wieder mit besorgten Blicken musterte, konnte Rafyndor nicht aus seiner düsteren Stimmung herausfinden. Ihre Sorge wurde mit jedem Schritt spürbarer, doch er verschloss sich weiterhin, unfähig, sich ihr zu öffnen.
Als sie schließlich am Ende des Weges angekommen waren, fiel die sonst so vertraute Umarmung ungewohnt kurz aus. Lililja überlegte für einen Moment, ihn zur Rede zu stellen und ihn zu zwingen, sein Schweigen zu brechen. Doch die Furcht, ihn dadurch nur weiter von sich zu treiben, hielt sie zurück. Stattdessen sah sie ihm tief in die Augen und sprach mit leiser, durchdringender Stimme: „Du verhältst dich so seltsam, Rafyndor. Bitte versprich mir, dass du nicht wieder wegläufst.“
Ein bitteres Lachen entrang sich seiner Kehle. „Darüber brauchst du dir keine Sorgen zu machen, Lililja“, erwiderte er mit grimmiger Stimme. „Ich entziehe mich meiner Verantwortung nicht noch einmal.“
Ohne ein weiteres Wort drehte er sich um und stapfte mit schwerem Schritt davon, die Wut in ihm brodelnd wie ein Sturm. Lililja sah ihm nach, ihre Gedanken voller Sorge. Etwas stimmte nicht mit Rafyndor − ganz und gar nicht! Noch lange nachdem er aus ihrem Blickfeld verschwunden war, verweilte sie dort, bevor sie langsam die wenigen Schritte zu ihrem Haus ging.
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Rafyndor unterstellte Mojalian im Nachhinein unlautere Absichten, als dieser sich von ihm die Erlaubnis holte, Lililja besser kennenlernen zu dürfen.
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Rafyndor hingegen murmelte leise Flüche vor sich hin, während er wütend zu seiner Hütte zurückkehrte. Seine Gedanken drehten sich im Kreis. Warum nur hatte er Mojalian am Vorabend erlaubt, Lililja besser kennenzulernen? Hatte das Geisterwesen diese Zustimmung nur gesucht, um ihn jetzt mit dem Bannstab zu fesseln? Wie hatte er nur so blind sein können? Die Gefahr, die von Mojalian ausging, hätte ihm längst klar sein müssen − hatte nicht schon die Begegnung vor zwei Abenden genügt, ihn selbst in einen Strudel aus Faszination und Verwirrung zu ziehen? Jadoruc hatte womöglich recht gehabt: Man durfte diesem Geisterwesen nicht trauen! Mojalian manipulierte, ohne dass man es bemerkte, wickelte einen mit einer unsichtbaren Macht um den Finger.
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In seiner Hütte angekommen, warf Rafyndor sich voller Zorn auf das Bett. Sein Atem ging schnell, und seine Gedanken überschlugen sich. Er zwang sich zur Ruhe, doch es fiel ihm schwer, den brodelnden Zorn zu besänftigen. Sollte er heute Abend tatsächlich Mojalian kontaktieren? War er bereit, dessen Stimme in seinem Geist zu hören? Zweifel nagten an ihm. Doch eines schwor er sich: Er würde künftig mit aller Kraft darauf achten, sich nicht erneut in den Bann des Geisterwesens ziehen zu lassen. Mojalian hatte ihn hintergangen, da war sich Rafyndor nun sicher. Und schlimmer noch, es hatte Lililja für sich eingenommen. Dieses Wesen war gefährlich − gefährlicher, als er es je geahnt hatte.
Zunächst war Rafyndor fest entschlossen, an diesem Abend Mojalian zu meiden. Doch die nagende Mischung aus brennender Neugier und lodernder Wut ließ ihm keine Ruhe. So rief er das Geisterwesen schließlich doch, mit einer bemühten Ruhe, die seine aufgewühlten Gefühle kaum zu bändigen vermochte. Mojalians Antwort ließ nicht lange auf sich warten.
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Wie ich hörte, hattest du heute einen angenehmen Tag, begann Rafyndor mit grimmigem Unterton.
Mojalian schwieg für einen Moment, zögerte spürbar, bevor er antwortete: Ich erkenne den Funken der Zornes in deiner Stimme, Rafyndor.
Ein bitteres Lachen entfuhr dem Waldgeist, während er scharf erwiderte: Habe ich etwa Grund dazu?
Wieder zögerte Mojalian, als versuche er, die Schwingungen in Rafyndors Stimme zu deuten, bevor er leise sprach: Das kann ich nicht beurteilen. Erkläre es mir.
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Mojalian spürte Rafyndors feindliche Stimmung ihm gegenüber und sprach ihn darauf an.
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Rafyndor schnaubte, und in seinen Gedanken schwang unverhohlene Bitterkeit mit: Lililja ist ganz und gar bezaubert von dir und deinen Geschichten. Dabei dachte ich, ich könnte dir vertrauen, als du mir versichertest, dass du nur ein wenig mehr über sie erfahren wolltest, um ihre Reaktionen besser zu verstehen.
Mojalian begann zu verstehen. Rafyndors Unsicherheit, seine Angst, Lililja könnte ihm durch ihre Faszination für das Geisterwesen entrissen werden, sprach aus jedem seiner Worte.
Was ist geschehen, dass dein Vertrauen so schnell ins Wanken geraten ist?, fragte Mojalian schließlich, seine Stimme von sanfter Vorsicht getragen.
Bilder des Tages flammten in Rafyndors Gedanken auf − der Glanz in Lililjas Augen, als sie von ihrem Gespräch mit Mojalian berichtete, ihre langsame Reaktion auf seine eigene, veränderte Stimmung, weil sie noch so in den Eindrücken ihrer Unterhaltung gefangen war. Diese Bilder schürten erneut seinen inneren Groll.
Ich verstehe, entgegnete Mojalian schließlich. Doch wir sprachen nicht nur von unseren unterschiedlichen Sichtweisen. Lililja brachte auch dich ins Gespräch.
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Mojalian berichtete, dass Lililja während des Gesprächs auch von Rafyndor erzählt hatte.
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Rafyndor, noch immer gefangen in seiner Wut, hörte diese Worte zunächst kaum. Doch allmählich drangen sie zu ihm durch, und er setzte sich abrupt auf, die Stirn in Nachdenklichkeit gelegt. „Sie hat von mir gesprochen? Was genau hat sie gesagt?“
Die Schärfe in seiner Stimme war einem Funken Hoffnung gewichen, und Mojalian nutzte den Moment, um sanft zu antworten: Sie sprach voller Bewunderung von deinem Einsatz für den Wald. Sie sagte, du würdest niemals zulassen, dass Zauberwesen sich dort niederlassen und die Harmonie stören. Sie bewundert deine Achtung vor jedem noch so kleinen Lebewesen und wie du dafür sorgst, dass jedes seinen Platz in diesem Gefüge findet. Du bist für sie ein Hüter der Ausgewogenheit − ein Wächter, der den Einklang aller Lebewesen sichert.
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Diese Worte ließen Rafyndor aufhorchen. Lililja bewunderte ihn? Sie schätzte, was er tat? Ein zartes, unwillkürliches Lächeln stahl sich auf seine Lippen, während er diesen Gedanken in seinem Herzen wog.
Mojalian, der die Veränderung in Rafyndors Stimmung spürte, fuhr behutsam fort: Rafyndor, unsere Gespräche waren völlig unverfänglich. Es war der Austausch an Gedanken, der sie so begeisterte, nicht meine Person. Du wirst wissen, wie leicht sie sich für neue Perspektiven und Erkenntnisse begeistern lässt. Denke nur an die Zeit eurer Ausbildung beim Hohenmagier − wie oft hat sie sich von dessen Lehren mitreißen lassen? Heute war es nicht anders.
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Rafyndor ließ diese Worte in sich wirken. Mojalians Einschätzung traf zu: Lililja hatte schon immer eine brennende Begeisterung für Neues gezeigt. Doch war es wirklich nur der Inhalt ihrer Gespräche, der sie so begeistert hatte? Oder lag es an Mojalian selbst?
Er versank in die Erinnerungen an Lililjas Erzählungen. Der Glanz in ihren Augen, der so unverkennbar gewesen war – wann genau war er aufgeleuchtet? War es, als sie von Mojalian selbst sprach? Oder von dessen Sichtweisen?
Während Rafyndor diese Gedanken prüfte, wartete Mojalian in geduldiger Stille.
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Rafyndor konnte sich daran erinnern, dass sich Lililja auch schon als Jugendliche für neue Dinge begeistern konnte.
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Schließlich erkannte Rafyndor, dass es tatsächlich die Inhalte gewesen waren, die Lililja so gefesselt hatten. In seiner Eifersucht hatte er unbewusst Mojalian selbst mit den Geschichten gleichgesetzt. Mit schwerem Herzen und einer Spur von Scham sprach er: Ich habe einen Fehler gemacht, Mojalian. Bitte verzeih mir.
Das tue ich bereits, erwiderte Mojalian sanft. Dann fügte er hinzu: Doch ich möchte, dass du eines begreifst: Deine Eifersucht entspringt deiner Unsicherheit. Du zweifelst daran, ob Lililja dich wirklich liebt. Aber darin darfst du nicht wanken. Auch wenn ihre Liebe vielleicht anders ist als deine, wird sie niemals zulassen, dass etwas oder jemand zwischen euch tritt. Du bist ihr wichtiger, als du dir vorstellst. Selbst wenn du ihr eines Tages deine Gefühle gestehen solltest, würde sich an ihrer Zuneigung zu dir nichts ändern.
Rafyndor ließ die Worte des Geisterwesens in seinem Herzen widerhallen. Für einen Augenblick schien die Dunkelheit in ihm einer leisen Hoffnung zu weichen.
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Mojalian versicherte Rafyndor, dass Lililja ihn liebte und nicht zulassen würde, dass sich irgendwer zwischen sie drängte.
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