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Entdeckungen


Lililja überlegte, warum sich Rafyndor an diesem Abend so merkwürdig verhalten hatte.
Schlaf wollte Lililja in dieser Nacht nicht finden. Sie lag wach in ihrem Bett, unfähig, die Gedanken zu verscheuchen, die unablässig um Rafyndor kreisten. Sein Verhalten an diesem Abend hatte sie zutiefst irritiert. Eine kühle Distanziertheit hatte ihn umgeben, die ihr fremd war, und das gerade jetzt, wo sie glaubte, dass sich zwischen ihnen alles wieder eingerenkt hatte.

Immerhin, dachte sie mit einem Hauch von Erleichterung, hatte er versprochen, sich nicht erneut zurückzuziehen. Allein dieses Versprechen war ein kleiner Trost. Doch etwas hatte sich zugetragen, das ihn abermals von ihr entfernt hatte. Etwas, das sie nicht verstand.

Sie versuchte, ihr Gespräch am Abend zu rekonstruieren, in der Hoffnung, eine Erklärung zu finden. Angestrengt ging sie im Geiste durch, was sie ihm erzählt hatte. Es war von ihren Unterhaltungen mit Mojalian die Rede gewesen − von dessen Sicht auf die Dinge, von den Geschichten, die er ihr anvertraut hatte. Während sie sprach, hatte sie bemerkt, wie Rafyndors Stimmung sich veränderte, dunkler wurde, bis schließlich eine schroffe Distanz zwischen ihnen herrschte.

Was war es gewesen? Sie ließ die Erzählungen Revue passieren: ihre Gespräche über die unterschiedlichen Perspektiven auf die Natur, die Auseinandersetzungen über die Artefakte, die Geschichte des Steins... Ja, genau dort hatte sich etwas verändert. Nach der Geschichte des Steins war er immer stiller geworden, hatte sich zusehends von ihr zurückgezogen. Es war ihr nicht sofort aufgefallen, doch jetzt, in der stillen Analyse der Nacht, erschien es ihr eindeutig.

„Aber was nur“, flüsterte sie verzweifelt in die Dunkelheit, „was an dieser Geschichte hätte ihn so erzürnen können?“

Sie drehte sich auf die Seite und starrte in die Schatten des Zimmers, ihre Gedanken unablässig auf ihn gerichtet. „Was ist bloß los mit dir, Rafyndor? Was ist dein Problem?“, murmelte sie frustriert. Solche unerklärlichen Stimmungsschwankungen kannte sie nicht von ihm.

Plötzlich kam ihr ein Gedanke. Könnte es etwas damit zu tun haben, was er ihr nicht zu sagen vermochte? Es gab da etwas, das er wiederholt angedeutet hatte − ein Geheimnis, das ihn bedrückte. Einmal hatte er Skukius ausrichten lassen, er müsse seine Gedanken ordnen und könne dabei keine Hilfe von ihr annehmen. Ein anderes Mal, als sie ihn gefragt hatte, ob Mojalian in seiner Seele etwas Verstecktes finden könnte, war er sogar rot geworden. Sie musste schmunzeln, als sie an seine Verlegenheit zurückdachte.

Doch dieser Gedanke brachte sie auch nicht weiter. Mit einem Seufzen warf sie sich auf die andere Seite des Bettes.

„Gut“, sagte sie schließlich zu sich selbst, „dann gehen wir es systematisch an.“ Sie versuchte, ihre Erinnerungen zu ordnen.

„Das erste Mal, dass du dich so merkwürdig verhalten hast, war am Mondspiegelteich“, flüsterte sie, als würde das Aussprechen der Worte ihr helfen, klarer zu denken. „Wir sprachen über den bevorstehenden Schleiersturm und die Aufgaben, die er mit sich bringen würde. Du hattest Angst, dass die Völker sich spalten könnten. Das hast du mir später gesagt. Diese Angst nehme ich dir ab, Rafyndor, das passt zu dir. Aber warum konntest du nicht mit mir darüber sprechen?“



Lililja erinnerte sich, dass ihr Rafyndors merkwürdiges Verhalten als erstes am Mondspiegelteich aufgefallen war.

Sie grübelte, doch eine zufriedenstellende Antwort wollte ihr nicht einfallen. Er hatte sich damals auch Pranicara nicht anvertraut, sondern nur Skukius. Bis Pranicara ihn schließlich zurückgebracht hatte.

Lililja erinnerte sich an den Moment ihrer Wiedervereinigung. Sie hatte ihn stürmisch umarmt, und er hatte ihre Wange mit einer sanften Geste gestreichelt. „Es geht mir gut“, hatte er damals gesagt.

Um die Szene vollständig ins Gedächtnis zu rufen, legte sie nun selbst die Hand an ihre Wange, genauso wie er es getan hatte. Und plötzlich wurde ihr etwas klar: Es war eine zärtliche Geste gewesen, wie sie sie von ihm noch nie zuvor erlebt hatte. Erst jetzt, in der Stille der Nacht, erkannte sie die Bedeutung dieses Augenblicks.



Lililja überlegte, ob sich Rafyndor möglicherweise in sie verliebt hatte und deswegen so seltsam reagierte.

Lililja setzte sich abrupt auf. Könnte es sein, dass Rafyndor plötzlich andere Gefühle für sie entwickelt hatte − Gefühle, die über die einer vertrauten Gefährtin oder Schwester hinausgingen?

Sie versuchte, sich an die Tage nach jener Begebenheit zu erinnern. Sie hatten damals so intensiv an der Sicherung des Zentrums der Hellen Magie gearbeitet, dass sie kaum Zeit für anderes gehabt hatten. Doch so sehr sie auch suchte, sie konnte sich nicht daran erinnern, dass Rafyndor sich da anders verhalten hätte als sonst.

Nein, damals war er wieder der Rafyndor gewesen, den sie kannte, vertraut und zuverlässig.

Erst später, nach dem Schleiersturm, schien sich etwas in ihm verändert zu haben. Lililja dachte an seine rätselhafte Bemerkung, dass er ein Geheimnis habe, das er ihr nicht anvertrauen könne. Mojalian hingegen hatte er es offenbar erzählt. Ein zarter Gedanke formte sich in ihrem Geist: Wenn er sich tatsächlich in sie verliebt hatte, dann wäre dies womöglich der Schlüssel zu seinem zurückhaltenden Verhalten. Ja, das könnte passen, überlegte sie. Rafyndor war viel zu unsicher, um solche Gefühle offen zuzugeben. Es lag in seinem Wesen, auf ein Zeichen von ihr zu warten, einen ersten Schritt, der ihm die Furcht nehmen würde.

Dieser Gedanke schien immer mehr Sinn zu ergeben. Es würde auch erklären, warum er errötete, als sie ihn auf sein Geheimnis ansprach, und warum er heute Abend so distanziert war, nachdem sie unablässig von ihren Gesprächen mit Mojalian geschwärmt hatte.

Lililja schlug sich die Hand vor die Stirn, als die Erkenntnis in ihr aufging: Ach, du liebe Magie, was hatte sie nur getan!

Da lief vielleicht ein schwer verliebter Rafyndor neben ihr her, und sie hatte den ganzen Abend nichts anderes getan, als von einem anderen Wesen zu erzählen! Ach, Rafyndor, dachte sie voller Bedauern, glaubst du wirklich, ich könnte mich innerhalb eines Tages in ein Geisterwesen verlieben, das nichts sehnlicher wünscht, als diesen Ort so schnell wie möglich wieder zu verlassen? Sie schüttelte langsam den Kopf, ein sanftes Lächeln auf den Lippen. Doch zugleich musste sie zugeben, dass eine solche Unsicherheit genau zu Rafyndor passte − so war er eben, stets leicht aus dem Gleichgewicht zu bringen.

Immerhin, dachte sie mit neuem Mut, hatte sie nun eine mögliche Erklärung für sein seltsames Verhalten gefunden. Sie würde in den kommenden Tagen aufmerksam seine Reaktionen beobachten, um sich Gewissheit zu verschaffen. Doch ansprechen wollte sie ihn darauf keinesfalls. Es wäre ihm mit Sicherheit höchst peinlich, und vielleicht würde er sich dann tatsächlich wieder von ihr abwenden − genau das wollte sie verhindern. Sie kannte Rafyndor gut genug, um zu wissen, dass er seine Gefühle tief in seinem Herzen verborgen hielt, wo niemand sie erahnen konnte.

Niemand außer einer Ausnahme, fiel ihr plötzlich ein. Mojalian. Rafyndor hatte erwähnt, mit dem Geisterwesen darüber gesprochen zu haben. Und sie war sicher, dass Mojalian diskret bleiben würde.

Mit einem leisen Seufzen schloss Lililja die Augen und dachte: Mojalian, hörst du mich?

Die Antwort kam prompt: Ja, Lililja?

Ich habe heute etwas Schreckliches angestellt, gestand sie reuevoll.



Lililja wollte Mojalian vorwarnen, dass Rafyndor auf ihn wütend sein könnte.

Was ist geschehen?, fragte Mojalian, in seiner Stimme lag sanftes Interesse.

Ich vermute, dass Rafyndor sich in mich verliebt hat, was mir jedoch erst jetzt bewusst wurde. Und bei unserem Abendspaziergang, den wir so oft miteinander machen, habe ich ununterbrochen von dem Gespräch zwischen dir und mir geschwärmt. Ich fürchte, er ist deswegen ziemlich schlecht auf dich zu sprechen.

Mojalians Stimme in ihren Gedanken war ruhig und gelassen, als er antwortete: Sei unbesorgt, Lililja. Wir haben das bereits geklärt. Es ist alles wieder in Ordnung.

Lililja lächelte, während sie die Augen öffnete. So so, dachte sie schmunzelnd, damit hast du mir gerade indirekt bestätigt, was ich ohnehin schon vermutet habe.

In ihren Gedanken sah sie Mojalian lächeln, ein Ausdruck leiser Heiterkeit, der sie seltsam beruhigte.



Mojalian bestätigte indirekt Lililjas
Verdacht, dass sich Rafyndor in sie
verliebt hatte.

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