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Zeit


Meister Lehakonos hatte den Zauberwesen vor zehn Tagen vom Portal erzählt und sie losgeschickt, es zu suchen.
Am Morgen nach seinem Gespräch mit Mojalian hatte Meister Lehakonos erneut die Zauberwesen in der Kristallhöhle versammelt. Mit ruhiger Stimme, die dennoch die Dringlichkeit seiner Worte erkennen ließ, berichtete er von einem Portal, das irgendwo in den Weiten Vanavistarias verborgen liegen musste.

Seine Beschreibung war präzise, wenngleich das Ziel unerreichbar schien: Es handele sich um eine materielle Struktur, verborgen auf einem magischen Knotenpunkt, schwer auffindbar und möglicherweise umgeben von magischen Feldern mit einer ungewöhnlichen Signatur.

Mit dieser knappen Weisung entließ er die Zauberwesen, die sich daraufhin in alle Himmelsrichtungen zerstreuten, entschlossen, die Weiten Vanavistarias zu durchkämmen. Zehn Tage waren seitdem ins Land gegangen, doch niemand hatte auch nur den leisesten Anflug einer seltsamen magischen Signatur aufgespürt. Langsam begann Meister Lehakonos an der Aussicht auf Erfolg zu zweifeln, ein Gefühl der Resignation legte sich wie ein schwerer Mantel auf seine Schultern.

Trotz allem gab es einen Silberstreif am Horizont: Die Stimmung im Land gegenüber Mojalian hatte sich spürbar entspannt. Es schien, als sei das Geisterwesen selbst maßgeblich für diesen Wandel verantwortlich. Der alte Lehrmeister vermutete, dass Mojalian weiterhin unermüdlich im Gespräch mit den Zauberwesen stand − ein beeindruckendes Unterfangen, das Meister Lehakonos mit leiser Bewunderung erfüllte.

Diese Fähigkeit Mojalians, mit zahllosen Wesen gleichzeitig zu kommunizieren, ohne den Faden zu verlieren, schien ihm fast übernatürlich. Allein der Gedanke daran ließ ihn staunen. Für ihn war es bereits eine Herausforderung, ein Gespräch zu führen, wenn ringsum andere Stimmen auf ein Thema fielen, das ebenfalls sein Interesse weckte. Wie unendlich komplex musste es sein, Dutzende, vielleicht Hunderte solcher Dialoge gleichzeitig zu führen?

Nun ja, dachte Meister Lehakonos schließlich und atmete tief durch, selbst wenn wir dieses Portal nicht finden sollten, so bleibt uns immerhin ein kleiner Trost: Mojalian ist hier nicht länger Ziel der Anfeindungen, die ihn zu Beginn umgaben. Ein leises, melancholisches Lächeln glitt über sein Gesicht, bevor er sich wieder den Aufgaben des Tages widmete.

Mojalian selbst vermochte die Dinge nicht mit dem gleichen Optimismus zu betrachten wie der Hohenmagier. Die pulsierenden, vielstimmigen Gedanken seiner Heimatwelt fehlten ihm schmerzlich.

Hier, in dieser materiellen Welt, hatte er sein Wort gegeben, seinen Geist vor den inneren Regungen anderer zu verschließen. Daher erreichten ihn nur noch jene Gedanken, die ihn selbst betrafen oder sich um die verborgensten Sorgen und Konflikte der Zauberwesen drehten.

Seine Rolle als Seelen-Drasta war inzwischen überaus gefragt, und mit unerschütterlicher Geduld lauschte er den Wesen, die bei ihm Rat suchten. Ihre Sorgen waren oft von entwaffnender Trivialität, aus seiner Perspektive beinahe kindlich in ihrer Einfachheit. Dennoch boten sie ihm wertvolle Einblicke in die Seelen dieser magischen Geschöpfe, ohne dass er sich in ihre Seelen versenken musste.



Mojalian hörte geduldig allen Wesen zu, die ihn ansprachen und lernte, wie Pranicara ihre Arbeit machte.

Mit der Zeit begann er, Pranicaras Arbeit in einem neuen Licht zu sehen. Er verstand allmählich die feinsinnige Kunst, mit der die Zauberwesen Vertrauen aufbauten, und die Bedeutung der leisen, oft unscheinbaren Gesten, die ihre Bindungen stärkten. Es war lehrreich und faszinierend zugleich, doch die Sehnsucht nach seiner eigenen Welt ließ ihn nicht los.

Ein Lichtblick waren die morgendlichen Begegnungen mit Lililja. Ihre Gespräche erstreckten sich über die unterschiedlichsten Themen, während er sie aufmerksam bei ihren magischen Riten beobachtete. Oft erklärte sie ihm mit leuchtenden Augen die Bedeutung ihrer Handlungen, schilderte, welche zentrale Rolle diese für ihre Heimatwelt spielten. Einmal hatte er in ihrem Beisein versucht, die Magie des Baumes der Magie zu erspüren, doch es war ihm nicht gelungen. Seine flügelgleichen Glieder glitten durch die Materie des Baumes, ohne die geringste Resonanz zu verspüren. Lililja hatte laut und herzlich über seine vergeblichen Bemühungen gelacht. Obwohl ihn sein Scheitern irritierte, konnte er sich ihrem ansteckenden Lachen nicht entziehen und fand sich bald selbst schmunzelnd wieder.

Rafyndor hatte einst gesagt, Lililja sei von einer geradezu magnetischen Faszination − und Mojalian musste sich eingestehen, dass er dies mittlerweile ebenso empfand. Ihre unerschöpfliche Liebe zur Natur und zu allen Lebewesen strahlte eine Wärme aus, die ihn tief berührte.



Lililja und Rafyndor hatten Mojalian mit Mikon bekannt gemacht, aber die beiden Wesen konnten nicht miteinander kommunizieren.

Gemeinsam mit Rafyndor hatte sie ihm einen kleinen Blattwichtel namens Mikon vorgestellt. Doch wie bei dem Korvum-Raben hatte er auch bei diesem Wesen keine Möglichkeit gefunden, eine Verbindung herzustellen − ein Umstand, der ihn zunehmend frustrierte.

Die Mittagsstunden verbrachte Mojalian häufig an der Seite Pranicaras. Er begleitete sie auf ihren Gängen und ließ sich von ihrer einzigartigen Art der Kommunikation mit den Bewohnern Vanavistarias und den Tieren inspirieren. Je tiefer er in ihre Arbeit eintauchte, desto mehr wuchs seine Bewunderung für die subtilen Kräfte, die sie beherrschte. Besonders die Magie der Pflanzen faszinierte ihn. Dass sie nicht nur heilen, sondern auch tiefgreifende Veränderungen bewirken konnten, war ihm zuvor nie bewusst gewesen.

Am Nachmittag suchte er oft Rafyndor im Wald auf. Dieser führte ihn zu verborgenen Höhlen, in denen Tiere bei Unwetter Schutz fanden, stellte ihm allerlei kleine Lebewesen vor − mit denen Mojalian ebenfalls nicht kommunizieren konnte − und ließ sich gelegentlich über einen kleinen, bunten Vogel namens Rangalo aus, der ihn regelmäßig neckte. Gemeinsam sprachen sie oft über die Harmonie des Waldes, und nicht selten lenkten ihre Gespräche sich dann auf Lililja.

Lililja nahm in Rafyndors Gedanken einen bedeutenden Platz ein. Mojalian war erleichtert, dass das Missverständnis, er könnte sich zwischen die beiden drängen, endlich ausgeräumt war. Doch Lililja, die nun um Rafyndors Gefühle wusste, achtete darauf, ihm keine falschen Hoffnungen zu machen. Sie hatte Mojalian anvertraut, dass sie bei ihren Erzählungen aus den morgendlichen Gesprächen mit ihm vorsichtiger geworden sei. Sie beschränkte sich darauf, nur sporadisch von ihren gemeinsamen Stunden zu berichten und vermied es, ins Detail zu gehen − eine Rücksichtnahme, die ihrem feinfühligen Wesen entsprach.

Mit Jadoruc fand Mojalian keinen Einklang, und er hatte den leisen Verdacht, dass dies ein unveränderlicher Zustand bleiben würde. Der beleibte Vykati verweigerte ihm jede Form des Vertrauens. Mojalians Art der Kommunikation schien Jadoruc unangenehm, ja fast unerträglich. Wann immer es möglich war, vermied er den direkten Austausch mit dem Geisterwesen. Musste er Mojalian jedoch zwingend eine Botschaft übermitteln, tat er dies indirekt, indem er einen anderen Schriftgelehrten als Vermittler nutzte. Mojalian nahm dies mit einer Mischung aus Resignation und Akzeptanz hin. Es war ihm klar, dass er nicht jedermanns Gunst gewinnen konnte.

In den Nächten durchstreifte Mojalian das Land, unermüdlich auf der Suche nach dem verborgenen Portal.

Während in seiner Heimat Valivisia das Leben niemals stillstand − Geisterwesen kannten keinen Schlaf −, wirkte Vanavistaria mit Einbruch der Dunkelheit wie in eine träge, lautlose Starre gefallen. Die rege Betriebsamkeit des Tages schwand mit dem letzten Licht der Sonne, und auch seine Rolle als Seelen-Drasta wurde in diesen Stunden kaum noch beansprucht.

Doch die Stille der Nacht brachte Mojalian keinen Trost.



Nachts streifte Mojalian weiterhin allein durch Vanavistaria auf der Suche nach dem Portal.

Vielmehr schien sie ihm ein gnadenloser Spiegel zu sein, der seine innersten Gedanken und sein tief empfundenes Heimweh unerbittlich hervorbrachte. Während des Tages konnte er seine Sehnsucht hinter den vielstimmigen Gesprächen und den Aufgaben verbergen, doch nachts drängten sich die Fragen auf, die er nicht abschütteln konnte.



Mojalian haderte nachts oft mit seinem Schicksal, das ihn ungefragt nach Vanavistaria gebracht hatte.

Warum hatte der Schleiersturm ihn hierher geführt? Mojalian fand keinen Sinn in seiner Anwesenheit in Vanavistaria.

Wäre er Weisenmeister geworden, wie ursprünglich vorgesehen, so hätte sich vielleicht eine Bestimmung offenbart. Doch stattdessen hatte er sich dem Weg des Seelen-Drasta verschrieben, einem Wächter und Heiler für die Seelen anderer Geisterwesen − eine Aufgabe, die hier keinerlei Notwendigkeit hatte. Mit Pranicara und anderen erfahrenen Seelenheilern besaß Vanavistaria bereits alles, was es brauchte, um in diesem Bereich für seine Bewohner zu sorgen.

Nach seiner Genesung hatte Mojalian bewusst entschieden, die Ausbildung zum Weisenmeister nicht fortzusetzen, denn er hatte keinerlei Wunsch verspürt, in dieser Welt zu sein. Warum also hatte ihn der Schleiersturm dennoch hierhergetragen? Die Frage schien ihm ein Rätsel, dessen Lösung unerreichbar war.

Oftmals, wenn solche Gedanken ihn überwältigten, verspürte Mojalian eine bedrückende Schwere, die an die Ränder der Schwermut reichte. In diesen Momenten war die Versuchung groß, einen seiner drei neuen Freunde in Gedanken zu wecken − jemanden, mit dem er sprechen konnte, um den Schatten seiner Zweifel zu zerstreuen. Doch er wusste, dass die Materiellen ihren Schlaf benötigten, um zu überleben. Ohne Schlaf, so hatte Pranicara ihm erklärt, würden sie krank und schwach werden. Also unterdrückte er dieses Verlangen und setzte seine nächtlichen Wanderungen fort, schweigend und allein.

Inmitten dieser inneren Unruhe gab es jedoch einen Lichtblick, der ihn durch die dunklen Stunden trug: das Versprechen des Morgens. Wenn der Horizont langsam vom ersten Licht durchbrochen wurde, verspürte Mojalian eine unbestimmte Freude − eine Sehnsucht nach dem Augenblick, in dem Lililja erscheinen würde.

Es faszinierte ihn, wie sie in den Strahlen der aufgehenden Sonne zu einem Teil des Lichts wurde. In diesen Momenten, wenn Lililja vor der Sonne stand, schien ihre wahre Natur unausweichlich offenbart. Sie war nicht nur eine Hüterin des Lichts − sie war das Licht. Es durchdrang sie, wurde durch sie vervielfacht, und Mojalian fragte sich immer wieder, wie es möglich war, dass niemand in Vanavistaria dies je erkannt hatte. Doch für ihn war es unverkennbar: Lililja und die Sonne waren eins, und ihre strahlende Präsenz ließ selbst die Schatten in Mojalians Seele für einen Augenblick verblassen.



Morgens wurde Lililja eins mit der Sonne,
dann strahlte die Sonne durch sie hindurch.

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