zurück StartseiteDer Planet AgibaraniaWesen und OrteTitelseiteInhaltsverzeichnis3d) Dunkle Magie


Dunkle Magie

Lililja war erfüllt von einem stillen Glück. Seit nunmehr drei Wochen konnte sie an sämtlichen magisch bedeutsamen Orten mit Mojalian in Gedanken kommunizieren. Die Verbindung war nicht länger auf den Baum der Magie beschränkt. Es war, als ob er ihr trotz der Dimensionen, die sie trennten, näher war als je zuvor. Doch so nah sie sich ihm auf dieser geistigen Ebene auch fühlte, die körperliche Nähe, die ihr zunehmend schmerzlich fehlte, war für immer unerreichbar. Dieser Verlust wog schwerer, als sie sich selbst einzugestehen wagte.

Erst vor wenigen Tagen hatte sie Mojalian gefragt, ob es nicht doch einen Weg gäbe, ihn nach Vanavistaria zurückzubringen − oder ob es ihr vielleicht möglich wäre, selbst nach Valivisia zu reisen. Seine Antwort hatte eine Traurigkeit getragen, die sie tief berührte: Leider ist weder das eine noch das andere möglich. Das Portal erlaubt ausschließlich Geisterwesen, es zu passieren. Und selbst das ist nur eingeschränkt möglich, da euer Portal beschädigt wurde. Es kann Wesen nur von Vanavistaria fortführen, nicht aber zurückbringen.

Diese Erklärung hinterließ in Lililja eine Leere, die sie kaum in Worte fassen konnte. Die Erkenntnis, dass sie und Mojalian für immer getrennt bleiben würden, war ein bitterer Schlag, auch wenn sie es längst geahnt hatte. Kein noch so inniger Wunsch würde diese Tatsache ändern können.



Lililja genoss es, dass sie und Mojalian sich nun an allen magisch bedeutsamen Stellen unterhalten konnten.

Und doch war auch Mojalian offensichtlich dankbar für die erweiterte Möglichkeit ihrer Kommunikation. Immer wieder begrüßte er sie an den magischen Orten mit einem schelmischen Ich habe dich vermisst!, sobald sie sich ihm in Gedanken näherte. Diese Momente voller Leichtigkeit und Vertrautheit ließen sie ihre täglichen Runden in neuer Tiefe genießen. Mojalian war erneut an ihrer Seite − nicht in Körper, aber in Geist.

Gemeinsam tauschten sie Gedanken aus, wie sie es früher getan hatten, und die magischen Knotenpunkte wurden zu stillen Zeugen ihrer innigen Gespräche.

Auf ihre Frage, warum Nanistra ihr plötzlich ein Lächeln schenkte, hatte Mojalian jedoch ausweichend geantwortet. Er ahnte, dass Nanistras Verhalten eine Reaktion auf die Tatsache war, dass Lililja die Hüterin des Lichtes war − eine Offenbarung, die er ihr bislang verschwiegen hatte. Tarodastrus hätte jede Erwähnung des Hüters des Lichtes aus den Geschichtsaufzeichnungen getilgt, hatte Nanistra ihm einst anvertraut, weil er sein Leben lang unter der Bürde dieses Amtes gelitten hätte. Wenn diese Rolle tatsächlich eine solche Last war, wollte Mojalian Lililja davor bewahren, bis es unumgänglich war, ihr die Wahrheit kundzutun.

Noch hatten die Zauberweisen keinen Magier ausfindig machen können, der sich dunkler Magie bediente, und der Magiefluss war inzwischen in seine gewohnten Bahnen zurückgekehrt. Lililja schöpfte allmählich wieder Zuversicht. Es schien, als habe jener Magier nur einen flüchtigen Versuch unternommen, und das dunkle Phänomen war nicht von Dauer gewesen. Doch diese Ruhe sollte nicht lange währen.

Als Lililja an der Sonnenwiese ankam und ihre Hand in den kristallklaren Bach tauchte, spürte sie mit einem Mal erneut eine Veränderung im Magiefluss. Ein beklemmendes Gefühl breitete sich in ihr aus. Dunkle Magie war abermals gewirkt worden. Diesmal löste es keinen Schock in ihr aus, doch die Erkenntnis traf sie dennoch mit beunruhigender Wucht.

Mojalian!, rief sie erschrocken in Gedanken. Ich spüre wieder einen veränderten Magiefluss!

Ist er ähnlich schwach wie beim letzten Mal?, fragte Mojalian sofort, seine Stimme vor Sorge tief und ernst. Oder hat er sich verstärkt?



Lililja stellte erneut eine Veränderung des Magieflusses fest, dieses Mal aber deutlicher als beim letzten Mal.

Er ist deutlich stärker als zuvor!, erwiderte Lililja. Beim letzten Mal war es so subtil, dass ich es beinahe übersehen hätte. Doch diesmal ist die Veränderung unübersehbar.

Mojalian schwieg einen Moment, bevor er schließlich antwortete, seine Stimme schwer vor Besorgnis: Das ist mehr als nur beunruhigend. Es bedeutet, dass jemand den Schwur des Lichtes gebrochen hat, um dunkle Magie für seine Zwecke zu nutzen. Sei auf der Hut, Lililja. Sei wachsam!



Lililja wurde von Nanistra erneut mit einem Lächeln begrüßt.

Lililja zögerte nicht und begab sich eilig zum Anwesen von Meister Lehakonos, um ihn von der erneuten Anwendung dunkler Magie zu unterrichten. Beim Betreten des Hauses wurde sie abermals von Nanistra mit einem warmen, ungewohnt freundlichen Lächeln empfangen. Mit derselben bemerkenswerten Herzlichkeit, die sie bereits beim letzten Mal gezeigt hatte, kündigte die Dienerin Lililjas Anliegen dem Hohenmagier an.

Als sich die Tür hinter Nanistra geschlossen hatte, sprach Meister Lehakonos, sichtlich irritiert, während er Lililja mit einem nachdenklichen Blick musterte: „Es scheint, als habe sie dich in ihr Herz geschlossen, Lililja. Du bist die Einzige, die sie mit solch einer Liebenswürdigkeit zu mir führt.“

Lililja zuckte mit den Schultern, das Kopfschütteln andeutend, um ihre eigene Ratlosigkeit auszudrücken. Auch sie konnte sich Nanistras auffallende Verhaltensänderung nicht erklären. Doch sie verlor keine Zeit und wandte sich sogleich dem eigentlichen Grund ihres Besuchs zu: „Meister Lehakonos, es wurde erneut dunkle Magie angewandt, und dieses Mal ist der Magiefluss so stark verändert, dass ich befürchte, jemand hat mehr als nur damit experimentiert. Der Schwur des Lichts wurde eindeutig gebrochen, und die dunkle Magie wurde mit einer bewussten Absicht eingesetzt.“

Die Worte trafen Meister Lehakonos wie ein Donnerschlag. Er erbleichte und fuhr erschrocken zusammen: „Das ist beunruhigend. Wir müssen die Zauberweisen unverzüglich informieren und darüber beraten, wie wir vorzugehen haben.“

Wie schon beim letzten Vorfall wurde Skukius mit der Aufgabe betraut, die Zauberweisen von der beunruhigenden Entwicklung zu unterrichten. Ohne zu zögern, breitete der Korvum-Rabe seine Schwingen aus und machte sich auf den Weg. Er suchte jeden Magier persönlich auf und überbrachte die Botschaft mit seiner klaren, unmissverständlichen Stimme: „Meister Lehakonos bittet Euch dringend zu sich!“ Dank seines instinktiven Orientierungssinns gelang es ihm mühelos, die Zauberweisen ausfindig zu machen. Nachdem er die Nachricht an den letzten von ihnen überbracht hatte, erfüllte ihn die Genugtuung, seinen Auftrag erfolgreich ausgeführt zu haben.

Er wandte sich nun wieder seinem ursprünglichen Vorhaben zu und flog zurück in den Wald, wo Rafyndor verweilte. Zuvor hatte er den Waldhüter besucht, ihm seine Hilfe angeboten und sich nach möglichen Aufgaben erkundigt. Doch Rafyndor hatte abgesehen von den üblichen Pflegearbeiten nichts Dringendes für ihn zu tun. Also hatten sie sich eine Weile über Belanglosigkeiten unterhalten, bis der Ruf von Meister Lehakonos ihn ereilte.

Nun, da seine Aufgabe erfüllt war, fand er sich also erneut auf dem Rückweg zu Rafyndors Arbeitsstätte. Doch plötzlich hielt er inne. Etwas hatte seine Aufmerksamkeit erregt − ein flüchtiger Schimmer von Farbe auf einem der Waldpfade. Neugierig kehrte er um und flog näher heran, um zu prüfen, was dort lag.

Als er erkannte, was er vor sich hatte, durchfuhr ihn ein Schock, der ihn bis ins Mark erschütterte. „Rangalo!“, rief er entsetzt. Vor ihm lag der kleine Vasta-Sperling, eine breite Brandwunde zog sich quer über seine Brust. Seine Atmung war kaum wahrnehmbar. „Rangalo!“, wiederholte Skukius, diesmal mit einem verzweifelten Unterton. „Du kannst hier nicht liegen bleiben!“ Doch der Vasta-Sperling regte sich nicht.



Skukius hatte während seines Fluges einen Hauch von etwas Buntem auf dem Weg unter sich wahrgenommen.

Von Panik ergriffen, überlegte Skukius fieberhaft, was zu tun war. Seine Federkrone begann in einem magischen Licht zu leuchten, doch er achtete nicht darauf. Behutsam umschloss er Rangalo mit einem seiner kräftigen Krallenfüße und flog so schnell er konnte zur Hütte von Pranicara, die gerade vor der Tür einen Elfen verabschiedete, der bei ihr Rat gesucht hatte. Vor der Hütte drängten sich bereits weitere Wesen, die ihre Hilfe suchten. Doch Skukius ignorierte die Wartenden, schoss durch die offene Tür und legte den reglosen Körper des Vasta-Sperlings vorsichtig auf Pranicaras Tisch.

„Du musst ihm helfen!“, rief er verzweifelt, die Worte beinahe schreiend. „Rangalo stirbt sonst!“



Der panische Skukius legte den verletzten Rangalo auf Pranicaras Tisch.

Pranicara, die den Ernst der Lage sofort erfasste, wandte sich mit einem entschuldigenden Lächeln an einen Moorgeist, der gerade eintreten wollte, und schob ihn sanft zurück nach draußen. Sie schloss die Tür, um ungestört arbeiten zu können, und näherte sich dann besorgt dem kleinen Vogel. Skukius, dessen Federkrone immer noch vor Panik hell erstrahlte, hatte sich auf eine Stuhllehne geflüchtet und trippelte nervös hin und her.

„Ich habe ihn gefunden, er hat kaum noch geatmet!“, stieß er hervor, seine Stimme vor Aufregung überschlagend. „Ich wusste nicht, was ich tun sollte, also habe ich ihn hergebracht. Du musst ihm helfen!“

„Beruhige dich, Skukius“, sagte Pranicara mit fester, aber sanfter Stimme. „Wenn du dich nicht in den Griff bekommst, steckst du mit deiner Magie noch meine ganze Hütte in Brand.“

Diese Worte hatten den gewünschten Effekt. Skukius hielt inne, seine Federkrone erlosch, und er starrte Pranicara irritiert an.

„Lass mich deinen kleinen Freund untersuchen“, sagte Pranicara und beugte sich mit einer sanften, aber bestimmten Bewegung über den Vasta-Sperling. Rangalo atmete noch immer schwach. Als ihr Blick die Wunde erfasste, entglitt ihr ein leiser Schreckensruf. Ein dunkler Fluch hatte das Wesen befallen! Wer, bei aller Magie, hatte ihm solch ein Leid zugefügt? Doch dann bemerkte sie mit Erstaunen, dass sich die Wunde bereits zu schließen begann. Ein Vorgang, der üblicherweise nicht mit den Nachwirkungen eines dunklen Fluchs einherging − solche Verletzungen heilten nur selten und schon gar nicht so schnell.

Ihre Augen richteten sich nachdenklich auf Skukius. Der Vogel spürte die Schwere ihres Blickes und wurde unruhig. Warum fixierte sie ihn so?

„Ich habe ihm nichts getan!“, platzte es aus ihm heraus. „Ich habe ihn nur gefunden, das schwöre ich!“

„Entspann dich, Skukius“, sagte Pranicara in beruhigendem Ton. „Ich unterstelle dir nicht, ihm Schaden zugefügt zu haben. Ich versuche lediglich, herauszufinden, ob du ihn vielleicht geheilt hast.“



Pranicara untersuchte Rangalo und
überlegte, ob Skukius den verletzten
Vasta-Sperling geheilt hatte.

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