zurück StartseiteDer Planet AgibaraniaWesen und OrteTitelseiteInhaltsverzeichnis1g) Rückzug


Rückzug

Rafyndor schlief in dieser Nacht nicht viel. Er wälzte sich hin und her und versuchte, Herr seiner Gefühle zu werden. Doch Lililja drängte sich immer wieder in den Vordergrund seiner Gedanken.

Was war geschehen, dass sich seine Gefühle für sie plötzlich so gewandelt hatten. Aber hatten sie sich tatsächlich gewandelt? Hatte er nicht schon länger solche Gefühle für sie und sie einfach nur ignoriert aus Angst, es würde sich etwas an ihrer Freundschaft ändern?

Wenn er ehrlich zu sich war, musste er sich eingestehen, dass sein erster Gedanke am Morgen nach dem Aufwachen schon seit langem Lililja galt und er sich den ganzen Tag darauf freute, sie abends zu treffen.

Rafyndor konnte nicht schlafen. Dauernd musste er an seine neu entdeckten Gefühle für Lililja denken.

Wann immer er sie tagsüber überraschend gesehen hatte, war sein Herz aufgegangen und seine Laune hatte sich beträchtlich gehoben. Wie konnte er diese Anzeichen seiner Liebe nur so ignoriert haben, dass die Erkenntnis ihn dermaßen aus dem Gleichgewicht gebracht hatte?

Ununterbrochen grübelte er darüber nach, wie er sich von nun an ihr gegenüber verhalten sollte. In kurzen, zuversichtlichen Momenten war er überzeugt, ihr seine Liebe gestehen zu können, doch kaum war der Moment vorüber, kehrte seine Unsicherheit zurück. Nein, er würde die Freundschaft zu ihr nicht gefährden, indem er ihr von seinen Gefühlen erzählte! Aber wie sollte er sie vor ihr verheimlichen? Sie kannte ihn doch, wie sonst niemand ihn kannte. Sie würde mit Sicherheit etwas bemerken! Und dann?

Rafyndor stand seufzend auf. Es hatte keinen Zweck. Er konnte nicht schlafen. Er musste sich erst klar werden, was nun geschehen sollte. Gedankenlos schnappte er sich seine Werkzeuge, die er als Waldhüter immer mit sich führte, und verließ seine Hütte. Ziellos schlenderte er in den Wald hinein, in Gedanken versunken, die sich um Lililja und sein Verhältnis zu ihr drehten.

Der Mond schien hell in dieser Nacht und er hatte keine Probleme, sich seinen Weg durch den dichten Wald zu bahnen. Wie nur sollte er Lililja wieder gegenübertreten können und so tun, als sei alles wie immer?

Den Rest der Nacht schlenderte Rafyndor im Wald herum, von seinen Gedanken gefangen. Langsam begann der Tag zu grauen. Was würde er Lililja am Abend erzählen? Bis gestern hatte er sich stets auf die Abende gefreut, auf die Zeit, die er mit ihr verbringen durfte. Doch nun war er unsicher, die Angst, sich ihr aus Versehen zu offenbaren, überwog seine Freude, seine Zeit mit ihr zu teilen. Was sollte er tun?

Missmutig stieß er einen Stein aus dem Weg, woraufhin sofort eine Schimpftirade folgte. Ein Pilzgnom hatte sich hier breitgemacht und beanspruchte den Platz für sich.



Ein Pilzgnom beschwerte sich lautstark über Rafyndors Unachtsamkeit.

„Was für eine Unverschämtheit!“, brauste das kleine Wesen auf. „Ich war hier der erste und kann mit Fug und Recht behaupten, dass der Stein zu meinem Besitz gehört! Wie kommst du dazu, mein Eigentum durch die Gegend zu kicken?“

Rafyndor tauchte aus seiner düsteren Gedankenwelt auf und kehrte in die Gegenwart zurück. Er ging in die Hocke und sagte entschuldigend: „Oh, verzeih mir, Gig, ich war in dunklen Gedanken versunken. Welcher Stein war es, den ich hier so unverschämterweise von deinem Grundstück geschossen habe?“

Rafyndor schaute sich suchend um. Gig zeigte mit herrischer Mine auf einen kleinen Kiesel. Rafyndor hob ihn auf und legte ihn wieder genau an den Platz zurück, an dem er vorher gelegen hatte. „Passt das so?“, fragte er den Pilzgnom.

Gig kniff die Augen zusammen und knurrte zustimmend.

„Ich bitte nochmals um Verzeihung“, sagte Rafyndor und stand wieder auf. Er machte einen langen Schritt, um das Grundstück Gigs nicht noch einmal zu verletzen. Pilzgnome konnten unangenehm werden, wenn sie das Gefühl hatten, man achtete ihre Besitzansprüche nicht.

So unerfreulich diese Begegnung am frühen Morgen auch gewesen war, sie hatte Rafyndor zumindest wieder in die Gegenwart katapultiert. Er musste seinen Verpflichtungen als Waldhüter nachgehen, und die waren reichlich!



Gig nahm Rafyndors Entschuldigung griesgrämig an.

Heute konzentrierte er sich voll und ganz auf seine Arbeiten. Sobald sich ein Gedanke an Lililja einschleichen wollte, suchte er bewusst nach einer Aufgabe, die seine ganze Aufmerksamkeit bedurfte. So hielt er seine Gedanken unter Kontrolle und vermied es, an den kommenden Abend zu denken.

Im Mittag aß er schnell einige Nüsse der Akharota-Esche und trank einen großen Schluck vom Rasada-Ahorn, indem er einen der Redanara-Zweige abbrach, der viel von dem durstlöschenden Saft des Baumes enthielt. Er setzte sich dabei bewusst nicht auf einen Felsen, um zu rasten, so wollte er verhindern, dass sich seine Gedanken wieder verselbstständigen konnten. Im Anschluss ging er sofort wieder seinen Arbeiten nach.

So verging der Nachmittag und die Sonne neigte sich dem Horizont entgegen. Normalerweise würde er jetzt seine Arbeiten für heute beenden und sich auf das Treffen mit Lililja einstellen, doch er wusste nach wie vor nicht, wie er sich ihr gegenüber verhalten sollte.

Er hielt kurz inne, überlegte, dann pfiff er laut auf den Fingern. Dies rief stets Skukius zu ihm.

Geräuschlos, wie es in seiner Natur lag, kam Skukius umgehend angeflogen.



Rafyndor ließ sich durch Skukius bei Lililja entschuldigen.

„Kannst du mich heute bitte bei Lililja entschuldigen?“, bat Rafyndor den Korvum-Raben. „Ich bin heute mit meinen Arbeiten nicht fertig geworden und ich muss noch einige Bimara-Buchen versorgen, an denen sich wieder dieses merkwürdige Tier zu schaffen gemacht hat.“

Das war zwar nicht ganz richtig − die Versorgung der Bimara-Buchen hätte er auch durchaus auf morgen verschieben können − aber es war auch nicht vollkommen falsch. Schließlich machte sich dieses Tier immer noch über die Rinde der Bimaras her.

Skukius schien zu ahnen, dass das nicht ganz der Wahrheit entsprach, denn er kniff ein Auge zusammen, während er das andere besonders weit öffnete. Das tat er immer, wenn er auf etwas mit äußerster Skepsis reagierte. Aber er war ein zu enger Freund, als dass er eine Aussage offen in Zweifel zog. So flog Skukius also davon, um Lililja die Nachricht von Rafyndor zu bringen.

Rafyndor atmete erleichtert auf. An diesem Abend musste er sich nicht weiter mit seinem Problem beschäftigen. Allerdings befiel ihn jetzt ein schlechtes Gewissen. Daher machte er sich nun tatsächlich daran, die Bimara-Buchen, die von dem merkwürdigen Tier angefallen waren, sehr fürsorglich mit der Rinde der Paventa-Birke zu verbinden.

Bis tief in die Nacht hinein arbeitete er − bis ihn die Müdigkeit einholte. Der fehlende Schlaf der letzten Nacht setzte ihm zu. Müde schleppte er sich in seine Waldhütte, warf sich auf sein Bett und schlief augenblicklich ein.

Am Morgen erwachte er, als die Sonnenstrahlen an seiner Nase kitzelten. Er hatte länger geschlafen als er wollte und spürte, dass er verspannt war. An einen Traum konnte er sich nicht erinnern. Also hatte er tief und fest wie ein Stein geschlafen.

Er setzte sich hin und sofort kam ihm Lililja wieder in den Sinn. Es kam zwar nicht oft vor, dass Rafyndor Lililja versetzen musste, aber es war schon ab und an vorgekommen. Somit würde sie noch keinen Verdacht schöpfen, da war er sich sicher.



Am Morgen wachte Rafyndor verspannt auf.

Ach Lililja, warum konnte er nicht mit ihr über dieses Problem sprechen? Mit allen anderen Sorgen war er stets zu ihr gegangen und sie hatte ihm aufmerksam zugehört und sich an einer Lösung beteiligt. Aber dieses Mal? Er fühlte sich allein mit seinem riesengroßen Problem. Wie gern würde er ihr sagen, was er für sie empfand! Aber wie sollte er das anstellen?

Er stützte seinen Kopf in seine Hand. Er vermisste ihre Anwesenheit, ihre fürsorglichen Blicke, die leichten Berührungen. Allerdings war er sich nicht sicher, ob er sie wirklich ertragen konnte, ohne sich zu verraten.

Rafyndor stand auf, streckte sich, nahm sein Werkzeug und verließ die Hütte. Wie gestern auch, richtete er seine volle Aufmerksamkeit auf seine Arbeiten und vermied es, an den Abend zu denken. Heute gelang es ihm jedoch nicht mit der gleichen Vehemenz, Lililja aus seinen Gedanken zu verbannen. Immer wieder schlichen sich Gedanken an ihre sanfte Stimme, ihr langes, goldenes Haar und die tiefen blauen Augen in seinen Kopf, und er unterbrach zwischenzeitlich seine Arbeiten, um sich diesen Tagträumen hinzugeben. Doch dann kam die Unsicherheit zurück, und er vertrieb die Gedanken wieder aus seinem Hirn. Er konnte ihr nicht sagen, was er für sie empfand! Es war unmöglich!

Dieses Mal nahm er sich im Mittag die Zeit für eine Rast auf einem Felsen. Kaum hatte er sich gesetzt, kam Skukius angeflogen und setzte sich auf einen Ast in der Nähe. Rafyndors Gewissen meldete sich wieder.

Als ob Skukius etwas ahnte, fragte er ein wenig spitzbübisch: „Und? Triffst du dich heute Abend wieder mit Lililja?“



Rafyndor beschäftigte sich intensiv mit einer Akharota-Nuss.

Rafyndor sah ihn nicht an, sondern beschäftigte sich ausgiebig mit einer Akharota-Nuss. „Mal sehen“, antwortete er ausweichend, „kommt drauf an, ob mich heute Abend noch irgendwas hier bindet.“

Er konnte es zwar nicht sehen, war sich aber sicher, dass Skukius wieder das eine Auge zusammengekniffen und das andere weit geöffnet hatte. Eine unangenehme Stille entstand.

Schließlich hielt Rafyndor es nicht mehr aus. Er stand auf und sagte kurz angebunden: „Ich muss weiter machen. Schön, dass du mir Gesellschaft geleistet hast.“

Dann drehte er sich um und ging schnellen Schrittes in den Wald hinein. Skukius sah ihm sehr skeptisch hinterher.

Den ganzen Nachmittag über vermied Rafyndor seine Gedanken schweifen zu lassen. Er konzentrierte sich wieder voll und ganz auf seine Aufgaben, und als die Sonne sich dem Horizont näherte, überlegte er hektisch, wie er das Treffen mit Lililja umgehen könnte. Eigentlich wollte er sie sehen, ihre Berührungen spüren, ihre Augen auf sich gerichtet fühlen − aber er hatte Angst, dass er sich ihr gegenüber verraten würde. Es ging nicht! Er konnte sie nicht treffen!

Wenn er sich aber wieder entschuldigte, würde sie vielleicht Verdacht schöpfen und zu ihm kommen, um zu erfahren, was los sei. Das durfte nicht geschehen! Er konnte ihr nicht begegnen! Er konnte auch nicht in seine Hütte zurückkehren. Denn dort würde sie ihn sicherlich als erstes suchen!

Rafyndor kannte sich im Wald aus wie kein anderer. Er kannte viele Höhlen, Lichtungen, heimliche Verstecke. Irgendwohin würde er sich zurückziehen können. Aber was sollte er Lililja sagen? Sie einfach so am Treffpunkt stehen zu lassen, wäre nicht richtig. Schließlich pfiff er wieder auf seinen Fingern und Skukius kam angeflogen.




Als sich die Sonne dem Horizont näherte, suchte Rafyndor hektisch nach einer Ausrede.

„Was soll ich ihr heute sagen?“, fragte dieser, bevor Rafyndor auch nur den Mund geöffnet hatte. Das brachte Rafyndor aus dem Konzept und er begann ein wenig zu stottern. „Sag ihr, ähm, sag ihr… Ach was solls? Sag ihr, ich hätte noch zu tun und könnte sie heute nicht treffen“, beendete er den Satz ein wenig unwirsch. Skukius setzte wieder seinen skeptischen Blick auf. Dann flog er davon.

Rafyndor tat es umgehend leid, wie er mit Skukius umgegangen war und nahm sich vor, sich beim nächsten Mal sofort bei ihm zu entschuldigen. Schließlich konnte der Korvum-Rabe ja nichts dafür, dass der Waldgeist mit seinen Gefühlen haderte.

Statt sich in Richtung seiner Hütte zu begeben, lief Rafyndor weiter in den Wald hinein. Sein Ziel heute Nacht war eine Höhle in der Nähe der großen Jada-Eiche, auf die Lililja nach dem Abenteuer mit dem Regenbogen geklettert war. In dieser Höhle würde er heute Nacht sicher schlafen können, ohne befürchten zu müssen, dass Lililja ihn besuchen kam.


In der Höhle brauchte Rafyndor keine Angst
vor einem spontanen Besuch von Lililja
zu haben.

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