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Als Lililja und Rafyndor von Nanistra, die die Elfe wie gewohnt mit einem Lächeln empfing, zu Meister Lehakonos geführt wurden, trafen sie bereits auf eine größere Versammlung der Zauberweisen. Diese blickten sichtlich verwirrt auf, als Nanistra, in einer für sie ungewöhnlich freundlichen Weise, verkündete: „Lililja ist eingetroffen, Hohenmagier“, nur um dann mit einem mürrischen Zusatz hinzuzufügen: „und ein Gast.“
Ein stummes Raunen ging durch die Reihen, als alle Blicke neugierig und fragend auf Meister Lehakonos gerichtet wurden.
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Beim Hohenmagier war schon eine große Gruppe Zauberweisen anwesend.
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Doch der Hohenmagier zuckte lediglich mit den Schultern und schüttelte den Kopf. Wie auch zuvor blieb ihm ein Rätsel, warum Nanistra gerade bei Lililja eine Ausnahme von ihrer sonst so mürrischen Art machte.
Rafyndor trat vor und wiederholte mit ruhiger Stimme die Aussage Rangalos, wobei er auch betonte, dass der kleine Vasta-Sperling bereit sei, seinen Angreifer zu identifizieren. Die versammelten Zauberweisen hörten aufmerksam zu, ihre Mienen wechselten zwischen Nachdenklichkeit und Unruhe.
Auf Geheiß von Meister Lehakonos wurde Skukius entsandt, den jungen Goblin Arokando in das Studierzimmer zu bringen. In der Zwischenzeit flatterte Rangalo durch das weit geöffnete Fenster herein, da Skukius nun keine Zeit mehr hatte, sich um ihn zu kümmern. Der Sperling ließ sich mit einer eleganten Bewegung auf Rafyndors ausgestrecktem Zeigefinger nieder und blickte mit neugierigem Zwitschern in die Runde.
Die Zauberweisen musterten den kleinen Vogel ebenso aufmerksam, wie er sie betrachtete. Schließlich zwitscherte Rangalo unvermittelt: „Der dicke Magier schaut mich ziemlich böse an.“
Rafyndor musste unwillkürlich schmunzeln. In der Sprache der Vasta-Sperlinge antwortete er leise: „Das ist Jadoruc. Er hegt ein grundsätzliches Misstrauen gegenüber Vögeln wie dir.“
Behutsam holte Rafyndor das Schälchen und die Flasche mit dem kalten Kemulitee hervor, goss eine kleine Menge der beruhigenden Flüssigkeit hinein und hielt es Rangalo entgegen. „Es wird gerade dein mutmaßlicher Angreifer herbeigeholt“, erklärte er sanft.
Rangalo hüpfte auf den Rand des Schälchens und nahm einige Schlucke, bevor er mit einem Satz auf Rafyndors Kopf flatterte. Dort suchte er Schutz, verbarg sich zwischen den weichen Locken des Waldhüters und schien nicht gewillt, sein neues Versteck so bald wieder zu verlassen.
„Rangalo“, sprach Rafyndor beruhigend, „du bist hier sicher. Du musst dich nicht verstecken.“ Doch der kleine Sperling rührte sich nicht, sondern verharrte in seinem Versteck, das er offensichtlich bevorzugte.
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Lililja amüsierte sich über Rangalos Versteck.
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Lililja beobachtete die Szene mit einem Schmunzeln. „Stört es dich sehr, dass er auf deinem Kopf sitzt?“, fragte sie mit einem Augenzwinkern.
Rafyndor schüttelte behutsam den Kopf.
„Dann lass ihn dort oben bleiben“, meinte sie nachdenklich. „Es könnte nicht gerade ungünstig sein, wenn Arokando, sollte er tatsächlich der Angreifer sein, nicht weiß, dass sein Zeuge noch lebt. An seiner Reaktion auf unsere Anschuldigung wird sich zeigen, wie er zu seiner Missachtung des Schwurs steht.“
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Rafyndor nickte bedächtig, seine Miene spiegelte die Ernsthaftigkeit der Situation wider.
„Wenn du kannst, zwitscher mir ganz leise zu, ob er es ist oder nicht“, wandte sich Rafyndor nun an Rangalo, „damit Arokando nicht mitbekommt, dass du hier bist.“
Rangalo zwitscherte leise zurück: „In Ordnung.“ Ein flimmerndes, kaum hörbares Gepiepse entglitt ihm, das einzig von Lililja und Rafyndor vernommen wurde.
Nanistra klopfte an die Tür, öffnete sie mit einem knappen Ruck und schlurfte in ihrer gewohnt mürrischen Art in das Studierzimmer. Ohne große Umschweife verkündete sie lediglich: „Ein Gast.“
Hinter ihr trat ein junger Goblin ein, den Kopf gesenkt, die Schultern schwer von einer Last, die nur er zu tragen schien. Seine gesamte Erscheinung sprach von Erschöpfung und innerem Unfrieden.
Rafyndor, der mit wachem Geist die Szene beobachtete, bemerkte sofort, wie Rangalo, der sich in seinem Haar verborgen hielt, augenblicklich erstarrte. Kein Laut, kein Zwitschern war von dem kleinen Sperling zu hören. Rafyndor wusste augenblicklich, dass dieser Goblin derjenige sein musste, der Rangalo solch unsägliches Leid zugefügt hatte. Ohne ein Wort zu verlieren, begegnete er Lililjas Blick und nickte ihr kaum merklich zu. Lililja, die die stumme Botschaft verstand, beugte sich leicht zu Meister Lehakonos hinüber und flüsterte ihm die Erkenntnis zu.
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Der Hohenmagier richtete sich langsam auf, seine Stimme war ernst, als er sprach: „Arokando, gegen dich werden schwerwiegende Anschuldigungen erhoben.“ Sein Blick bohrte sich in die Augen des jungen Goblins, der unsicher auf seine eigenen Füße starrte. „Unsere Hüterin der Natur und der Magie hat eine Störung im Fluss der Magie gespürt − eine Anwendung dunkler Künste, die darauf hindeutet, dass jemand den Schwur des Lichtes gebrochen hat.“
Kaum hatte Meister Lehakonos geendet, senkte Arokando noch tiefer den Kopf. Bevor die Frage, die unausweichlich folgen musste, laut wurde, nickte er bereits, seine Schultern schwer von Reue.
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Arokando, der junge Goblin, gab seine Verfehlung ohne große Ausreden zu.
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„Ja“, begann er leise, seine Stimme kaum mehr als ein Flüstern. „Ich habe den Schwur gebrochen... und einen kleinen Vasta-Sperling getötet. Es war niemals meine Absicht, ihm solches Leid zuzufügen. Doch ich habe die dunkle Magie unterschätzt, und deshalb ist dieses kleine, bunte Wesen gestorben. Es tut mir unendlich leid.“
Seine Worte hallten durch den Raum, schwer und ehrlich, während er mit traurigen, offenen Augen in die Gesichter der Zauberweisen blickte. Es war Lililja, die nach einem kurzen Moment der Stille sanft fragte: „Kannst du uns erzählen, was geschehen ist?“
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Arokando erzählte von seinen streitsüchtigen Nachbarn.
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Arokando atmete tief ein, als müsse er all seinen Mut zusammennehmen, bevor er antwortete.
„Meine Nachbarn haben sich schon immer fürchterlich gestritten. Früher war es so schlimm, dass sie einander mit dunklen Flüchen bedrohten. Dann aber erschien das Geisterwesen in Vanavistaria, und mit ihm kehrte für eine Weile Ruhe ein. Die Streitereien verstummten gänzlich, solange Mojalian bei uns war.“
Er hielt inne, seine Worte von einem leisen Seufzen unterbrochen.
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„Doch seit Mojalian uns wieder verlassen hat, sind die Streitigkeiten zurückgekehrt. Die ersten Flüche wurden wieder ausgesprochen, und ich dachte, ich müsste etwas unternehmen, um dem Einhalt zu gebieten. So kam ich auf die Idee, Gedankenmanipulation zu versuchen, um die beiden zu beruhigen.“
Ein bitteres Lächeln huschte über sein Gesicht, als er mit leiser Stimme fortfuhr: „Doch ich hatte keine Erfahrung mit der dunklen Magie. Um zu üben, begann ich mit Steinen. Ich dachte, wenn ich die Farbe eines grauen Steins ändere und ihn in Grün, Blau oder Rosa schimmern lasse, würde niemand Verdacht schöpfen. Tatsächlich gelang es mir.“
Seine Augen flackerten, und er fuhr zögerlich fort: „Doch am nächsten Tag fand ich um jeden der Steine, die ich manipuliert hatte, kleine Blumenkränze. Es war... unheimlich. Ich zerstörte sie sofort, aber jeden Morgen waren sie aufs Neue da. Ich wurde nervös, hatte Angst, dass jemand meine dunkle Magie entdecken würde. So beschloss ich, die Ursache dieser Kränze aufzuspüren.“
Erneut legte sich eine Pause über den Raum, während Arokando tief Luft holte, sichtlich bemüht, seine aufkommenden Tränen zu unterdrücken. Seine Stimme wurde heiser, als er weitersprach: „Gestern, noch vor Sonnenaufgang, habe ich dann einen Vasta-Sperling dabei erwischt, wie er einen Blumenkranz um einen meiner Steine legte. Ich geriet in Wut. In meiner Panik und Angst, entdeckt zu werden, schoss ich einen dunklen Fluch auf ihn ab. Ich wollte ihn nur erschrecken... ihn vertreiben. Aber ich habe nicht bedacht, wie mächtig diese Magie ist.“
Seine letzten Worte waren kaum mehr als ein Hauch, seine Stimme zitterte, als er fortfuhr: „Ich wollte ihm niemals schaden... Es tut mir so unendlich leid.“
Am Ende ließ er den Kopf hängen, seine Schultern sanken herab, als sei die Last der Schuld zu groß, um sie weiter zu tragen. Sein Geständnis erfüllte den Raum mit einer schweren Stille, und die versammelten Zauberweisen tauschten vielsagende Blicke. Lililja spürte, dass Arokando die Tragweite seiner Tat zutiefst bereute.
Rafyndor wiederholte die Aussage des jungen Goblins leise in der Sprache der Vasta-Sperlinge. Kaum waren die Worte ausgesprochen, spürte er, wie Rangalo begann, sich aus den schützenden Locken seines Haares zu kämpfen. Zunächst duckte sich der kleine Sperling zögernd, doch dann fasste er Mut und setzte sich, für alle sichtbar, auf Rafyndors Kopf. Ein leises, aber bestimmtes Tschilpen entrang sich seiner Kehle, ein Laut, der sogleich die Aufmerksamkeit des Goblins auf sich zog.
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Arokando sah irritiert umher, auf der Suche nach der Quelle des Geräusches.
Als sein Blick schließlich auf Rangalo fiel, der sich auf Rafyndors Haupt niedergelassen hatte, weiteten sich seine Augen vor Staunen. Einen Augenblick später füllten sie sich mit Tränen. „Er... er lebt?“, fragte er unsicher, seine Stimme kaum mehr als ein Flüstern.
Rafyndor wandte sich an Meister Lehakonos, suchte dessen Zustimmung, bevor er antwortete. Der Hohenmagier nickte knapp.
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Arokando war überglücklich, als er sah, dass der kleine Vasta-Sperling, von dem er angenommen hatte, er hätte ihn getötet, munter auf Rafyndors Kopf tschilpte.
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„Ja“, begann Rafyndor, seine Stimme ruhig und klar, „er wurde rechtzeitig von einem Korvum-Raben gefunden. Dieser war imstande, mit Hilfe heller Magie den dunklen Fluch zu brechen und die Wunde zu heilen.“
Während Rafyndor sprach, beobachtete Lililja aufmerksam Jadorucs Reaktion. Sie bemerkte, wie sich dessen Augen weiteten, als ihn die Nachricht erreichte. Die Neuigkeit musste ihn zutiefst erschüttern. Doch nicht nur Jadoruc − auch in den Gesichtern der anderen Zauberweisen spiegelte sich großes Erstaunen wider.
Arokando hingegen konnte seine Tränen nicht zurückhalten. Sie liefen ihm ungehindert über die Wangen, während er schließlich mit bebender Stimme hervorbrachte: „Ich bin so froh, dass es dem Vasta-Sperling gut geht.“ In seinen Worten lag eine tiefe, aufrichtige Erleichterung, die niemand im Raum anzweifeln konnte.
Es war Meister Lehakonos, der nun wieder das Wort ergriff, seine Stimme ernst und klar wie zuvor. „Arokando, du hast nun am eigenen Leib erfahren, welch schlimme Folgen die Anwendung dunkler Magie nach sich ziehen kann. Dir ist sicherlich bewusst, dass der Bruch des Schwurs normalerweise den Ausschluss vom Unterricht zur Folge hat.“
Arokando nickte, seine Traurigkeit offensichtlich. Doch in seinem Blick lag auch eine Spur von Akzeptanz, als hätte er sein Schicksal bereits angenommen.
„Ist es dein Wunsch, den Unterricht zu verlassen?“, fragte Meister Lehakonos, seine Stimme unverändert streng, auch wenn ein Hauch von Bedauern mitschwang.
Doch diesmal war Arokandos Antwort entschieden. Er schüttelte den Kopf mit Nachdruck, während sein Blick immer wieder zu Rangalo wanderte, der still und reglos auf Rafyndors Kopf saß.
„Gut“, sprach der Hohenmagier schließlich und ließ seine Worte einen Moment im Raum nachhallen. „Dann möchte ich dich bitten, dich vorerst draußen zu gedulden, während wir beraten.“
Er wandte sich dann an Rafyndor: „Waldhüter, ich ersuche auch Euch, das Zimmer zu verlassen.“
Rafyndor nickte gehorsam. Mit Rangalo, der weiterhin unbeweglich auf seinem Kopf verweilte, und dem jungen Goblin an seiner Seite verließ er das Studierzimmer. Gemeinsam warteten sie auf dem Gang, während drinnen die Zauberweisen über das Schicksal des reumütigen Schülers berieten.
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Rafyndor und Rangalo warteten mit Arokando auf dem Flur.
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