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Arokando schaute immer wieder ängstlich zum großen Waldhüter hoch.
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Immer wieder glitten Arokandos ängstliche Blicke hinauf zu dem imposanten Waldhüter. Der große Waldgeist, mit seiner erhabenen Statur und seiner ruhigen Autorität, erfüllte den jungen Goblin mit einer Mischung aus Ehrfurcht und Unsicherheit. Schon allein die körperliche Präsenz des Waldhüters war überwältigend, doch es war vor allem das hohe Amt, das dieser bekleidete, das den kleinen Goblin in Ehrfurcht erstarren ließ.
Was mochte ein so ehrenwerter Beschützer des Waldes wohl von ihm denken − einem, der den Schwur des Lichtes gebrochen und sich der dunklen Magie bedient hatte?
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Doch trotz der tiefen Scham, die ihn erfüllte, empfand Arokando eine unbeschreibliche Erleichterung darüber, dass der kleine Vasta-Sperling gerettet worden war. Der Anblick des bunten Vogels, der auf dem Kopf des Waldhüters saß und sich dort sichtlich wohlfühlte, entlockte ihm ein zaghaftes Lächeln. Wie gern hätte er dem Tier gezeigt, wie leid ihm das alles tat. Niemals hatte er vorgehabt, dem Sperling ernsthaft zu schaden − der Gedanke daran erschreckte ihn noch immer. Wie war es nur so weit gekommen, dass er, ein Schüler des Lichtes, ein unschuldiges Wesen beinahe umgebracht hatte?
Die Zauberweisen würden ihn sicherlich vom Unterricht ausschließen, dachte Arokando mit niedergeschlagenem Blick. Und sie hätten jedes Recht dazu. Er hatte einst den Schwur des Lichtes abgelegt, ein öffentliches Gelöbnis, niemals dunkler Magie zu verfallen − und dennoch hatte er diesen heiligen Eid gebrochen.
Doch die Umstände, die ihn dazu getrieben hatten, lasteten schwer auf seinem Herzen. Die beiden Nachbarn, die sich unablässig mit dunklen Flüchen bekriegten, hatten nicht nur einander das Leben zur Hölle gemacht, sondern auch die gesamte Nachbarschaft in ihren Streit hineingezogen. Sie forderten von allen, sich für eine Seite zu entscheiden, doch Arokando wollte sich nicht einmischen. Er mochte beide und konnte ihre ständigen Feindseligkeiten nicht verstehen − zumal sie sich in der Regel um Nichtigkeiten stritten. Schließlich hatte er in seiner Verzweiflung beschlossen, ihre Gedanken zu manipulieren, um den Frieden wiederherzustellen.
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Mojalian, der große Vermittler, hatte die Streitenden stets durch geduldiges Zuhören und weisen Rat zur Vernunft gebracht. Unter seiner Führung waren die Konflikte beigelegt worden, doch kaum war er fortgegangen, waren die Zwistigkeiten erneut entbrannt, schlimmer noch als zuvor. Arokando seufzte schwer.
Seine Augen wanderten erneut zu dem Waldhüter hinauf, dessen scharfer Blick ihn aufmerksam musterte. Arokando spürte, wie sein Herz schneller schlug. Was musste der Hüter des Waldes von ihm halten − einem, der ein unschuldiges Tier verletzt hatte, das unter seinem Schutz stand? Der Goblin wurde unruhig und suchte verzweifelt nach einer Geste, die seine Reue ausdrücken könnte.
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Arokando dachte sehnsüchtig an die Zeit zurück, als Mojalian die beiden Streithähne miteinander versöhnt hatte.
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Der Waldhüter begann, in der Sprache der Vasta-Sperlinge mit dem kleinen Vogel zu sprechen. Der Klang dieser fremden Worte faszinierte Arokando. Wie gern hätte er diese Sprache gelernt, um dem Sperling selbst seine Entschuldigung auszusprechen und ihm zu sagen, wie sehr er bereute, was geschehen war.
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Rafyndor und Rangalo unterhielten sich in der Vogelsprache miteinander.
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Er lauschte aufmerksam, wie der Sperling leise zurückzwitscherte und der Waldhüter mit einem Schmunzeln antwortete. Arokando konnte nur ahnen, worüber die beiden sprachen, doch er hätte alles dafür gegeben, es zu verstehen. Der kleine Vogel beäugte ihn von seinem Platz auf dem Kopf des Waldhüters aus, bevor er plötzlich herabflog und sich auf den ausgestreckten Finger des Waldgeistes setzte.
Unwillkürlich betrachtete Arokando seine eigenen Finger und stellte sich vor, wie es wohl wäre, wenn der Sperling darauf Platz nehmen würde. Doch kaum bemerkte er, dass der Waldhüter ihn beobachtete, zog er hastig die Hand zurück und verbarg sie hinter seinem Rücken.
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Ein schwerer Kloß bildete sich in seiner Kehle, während er den Mut zusammennahm, den Waldhüter anzusprechen. Seine Stimme war leise, fast ein Flüstern: „Waldhüter, würdet Ihr dem kleinen Vasta-Sperling bitte mein tiefstes Bedauern übermitteln? Und ihm sagen, dass ich mir geschworen habe, niemals wieder dunkle Magie anzuwenden?“
Der Waldhüter zwitscherte die Botschaft in der Sprache der Sperlinge. Rangalo lauschte aufmerksam, wandte dann seinen durchdringenden Blick auf Arokando und musterte ihn eingehend. Der Waldhüter schien eine weitere Botschaft hinzuzufügen, denn ein Schmunzeln huschte über sein Gesicht, während Rangalo erneut kurz piepste.
Plötzlich sprach der Waldhüter mit seiner ruhigen, kraftvollen Stimme: „Strecke deinen Finger aus, Arokando.“
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Mit einer Mischung aus Unsicherheit und Neugier gehorchte der junge Goblin zögerlich, ließ seine kleine, zittrige Hand nach vorne gleiten. Und kaum hatte er es getan, da flatterte der Vasta-Sperling mit einem zarten Schwung auf seinen ausgestreckten Finger. Arokandos Herz machte einen freudigen Sprung, ein warmes Gefühl der Rührung breitete sich in seiner Brust aus. Der kleine Vogel, den er so schwer verletzt hatte, saß nun auf seiner Hand − ein Lebewesen, zart und doch voller Lebenskraft.
Behutsam hob Arokando seine andere Hand und berührte mit größter Vorsicht das Rückengefieder des Sperlings. Zu seiner Erleichterung schien das Tier die sanfte Geste zu genießen.
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Als Arokando den Zeigefinger ausstreckte, flatterte Rangalo darauf.
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„Es tut mir so unendlich leid“, flüsterte Arokando leise, fast ehrfürchtig, und seine Stimme bebte vor aufrichtiger Reue. „So unendlich leid, was ich dir angetan habe. Ich verspreche dir, ich werde alles versuchen, um es wiedergutzumachen.“
Der Waldhüter ließ ein amüsiertes Schmunzeln erkennen und sprach mit einem Anflug von Heiterkeit: „Ich glaube, Rangalo hat dir bereits verziehen. Doch sei gewarnt: Rangalo ist ein kleiner Schelm. Wenn er dich erst einmal ins Herz geschlossen hat, wird er dich mit seinen Streichen in den Wahnsinn treiben.“
Ein strahlendes Lächeln breitete sich auf Arokandos Gesicht aus. „Er darf so viel Unsinn treiben, wie er will“, rief er aus, seine Stimme von einer tiefen Freude erfüllt. „Ich bin einfach nur glücklich, dass er überhaupt noch in der Lage ist, Unsinn zu machen.“
Rangalo, dachte Arokando bei sich, so heißt du also. Ja, der Name passt perfekt zu dir!
Während die Beratung der Zauberweisen andauerte, möglicherweise von hitzigen Diskussionen begleitet, wurde Arokando zunehmend unruhig. Was mochte dies bedeuten? Waren sie sich uneins? Oder schien ihm die Dauer nur so lang, weil die Antwort ihm so schwer auf der Seele lastete?
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Arokando war sich sicher, dass er vom Unterricht ausgeschlossen würde.
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Eigentlich war das Urteil doch klar: Er hatte den Schwur des Lichtes gebrochen und damit sein Recht auf den Unterricht verwirkt. Doch wenn dies so offensichtlich war, warum zögerte das Urteil so lange?
Inzwischen streichelte Arokando nun auch vorsichtig das Gefieder an der Brust des kleinen Vogels. Auch diese Geste schien dem Sperling wohlzutun, denn er ließ es sich ohne Widerstand gefallen. Arokando strahlte vor Freude und betrachtete den Vogel voller Zuneigung.
Schließlich nahm er all seinen Mut zusammen und richtete sich scheu an den Waldgeist: „Darf ich Euch eine Frage stellen, Waldhüter?“
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Der große Waldgeist nickte.
„Wo habt Ihr die Sprache der Tiere gelernt?“ Arokandos Stimme klang ehrfürchtig, und seine Augen glänzten vor Neugier.
Der Waldhüter lächelte nachsichtig und erwiderte mit seiner ruhigen Stimme: „Man kann diese Sprache nicht erlernen. Es ist eine Gabe, die einigen Waldgeistern von Geburt an gegeben ist.“
Eine tiefe Enttäuschung machte sich auf Arokandos Gesicht breit. „Ah, ich verstehe“, sagte er schließlich mit gedämpfter Stimme. In Gedanken sprach er jedoch weiter: Dann werde ich dir, Rangalo, wohl niemals selbst sagen können, wie sehr ich mich seit jenem Tag gequält habe. Wie groß die Schuldgefühle waren, die mich seither begleitet haben.
Er spürte plötzlich, wie der Waldhüter ihn wieder mit scharfem Blick musterte, und die Beobachtung ließ ihn nervös werden. Unruhig fragte er sich, was der Hüter wohl über ihn dachte. Doch bevor er diesen Gedanken weiterverfolgen konnte, richtete der Waldhüter erneut einige Worte in der Sprache der Sperlinge an Rangalo. Der kleine Vogel lauschte aufmerksam und antwortete mit einem kurzen Zwitschern. Arokando glaubte, dass die beiden sich über ihn unterhielten, denn Rangalo richtete nun einen prüfenden Blick auf ihn, der beinahe durchdringend war.
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Dann geschah etwas, womit Arokando nicht gerechnet hatte: Der Vasta-Sperling flatterte von seinem Finger empor und ließ sich sanft auf seinem Kopf nieder. Von dort rutschte er geschickt zu seinem großen, abstehenden Ohr hinab und kuschelte sich schließlich in die Ecke, wo das Ohr mit dem Kopf zusammentraf. Das kitzelte so sehr, dass Arokando fröhlich auflachen musste.
„Hey, das kitzelt!“, rief er mit einem Ton, der seine Freude nicht verbergen konnte.
Doch Rangalo hatte noch nicht genug.
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Rangalo rutscht auf Arokandos Ohr hinunter und kuschelte sich in die Ecke.
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Der kleine Vogel flatterte weiter und schlüpfte in den Schal des Goblins, wo er sich in dessen Nacken niederließ. Auch dies kitzelte, noch stärker als zuvor, und Arokando konnte sich vor Kichern kaum halten.
„Na, du bist ja ein kleiner Frechdachs!“, rief er lachend.
Schließlich kroch Rangalo wieder aus dem Schal hervor, setzte sich mit kecker Eleganz auf Arokandos Kopf und betrachtete ihn von dieser erhöhten Position aus. Glücklich hielt der junge Goblin ihm erneut den Finger hin, und ohne zu zögern, hüpfte der kleine Sperling darauf.
Freudestrahlend begann Arokando, ihn wieder sanft zu streicheln, und sein Herz war von einem tiefen Frieden erfüllt, wie er ihn lange nicht mehr gespürt hatte.
Rangalo zwitscherte in die Richtung des Waldhüters, dessen Blick sich daraufhin mit einer unerwarteten Sanftheit auf den jungen Goblin legte.
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Rafyndor bot Arokando an, ihm im Wald bei Arbeiten zu helfen und ihm die nonverbale Kommunikation mit Tieren beizubringen.
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„Arokando“, begann er in ruhigem Ton, „wenn du möchtest, lade ich dich ein, mich bei meinen Arbeiten im Wald zu begleiten. Vielleicht ergibt sich dabei die Gelegenheit, dir zu zeigen, wie du mit Rangalo kommunizieren kannst − selbst ohne seine Sprache zu verstehen.“
Überrascht starrte Arokando den Waldhüter an. Meinte er das ernst? Er, der Lichtschwurbrecher, der beinahe ein unschuldiges Lebewesen zugrunde gerichtet hatte, sollte die Chance erhalten, an der Seite des ehrwürdigen Waldhüters zu arbeiten? Mehr noch − sollte er gar lernen, eine Verbindung zu Rangalo herzustellen?
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Diese Worte klangen so unwahrscheinlich, dass Arokando einen Moment lang glaubte, der Waldhüter mache sich womöglich einen Scherz auf seine Kosten.
Doch der Blick des mächtigen Waldgeistes blieb unverändert, und es war keine Spur von Spott in seinem Gesicht zu erkennen. Stattdessen ergänzte er mit einem leichten Lächeln: „Rangalo meinte, es könnte sich lohnen, mehr Zeit mit dir zu verbringen.“ Die Worte des Waldhüters schienen aufrichtig, frei von jeder Doppeldeutigkeit.
Arokando wandte sich dem kleinen Vasta-Sperling zu, der ihn von seinem Finger aus mit wachen Augen betrachtete. Dieses winzige Geschöpf, dem er so großen Schmerz zugefügt hatte, sprach sich nun für ihn aus?
Eine Welle des Glücks durchströmte Arokando, doch die Intensität seiner Gefühle verschlug ihm die Worte. Statt zu antworten, nickte er nur eifrig und strahlte den Waldhüter voller Dankbarkeit an, während er Rangalo zärtlich weiter über das weiche Gefieder streichelte. „Oh ja, das will ich auf jeden Fall!“, murmelte er schließlich, seine Stimme kaum mehr als ein Flüstern.
Wenig später wurde Arokando zurück in das Studierzimmer gerufen. Rangalo flatterte auf den Finger des Waldhüters, der den jungen Goblin mit einem aufmunternden Zwinkern verabschiedete. Mit sorgenvollem Blick und schwerem Herzen, aber glücklicher Hoffnung trat Arokando ins Studierzimmer ein. Rafyndor und Rangalo blieben zurück.
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„Du hast ihm schnell verziehen“, bemerkte Rafyndor mit einer leichten, sachlichen Note in seiner Stimme.
Rangalo zuckte mit den Flügeln und antwortete mit schelmischem Zwitschern: „Mein Leben ist viel zu kurz, um jemandem lange böse zu sein − besonders, wenn ich ihn ärgern darf.“
Ein amüsiertes Schmunzeln glitt über das Gesicht des Waldhüters. „Nun, in nächster Zeit wirst du ausreichend Gelegenheit haben, ihn zu ärgern“, sagte er mit einem Hauch von Humor. „Ich habe ihm angeboten, mir im Wald zu helfen. So kannst du deinen Unsinn künftig nicht nur an mir auslassen.“
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Rafyndor wunderte sich, dass Rangalo dem Goblin so schnell verziehen hatte.
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Es dauerte nicht lange, bis sich die Tür des Studierzimmers erneut öffnete. Arokando trat hinaus − und auf seinem Gesicht lag ein breites, glückliches Lächeln, das heller strahlte als der Schein einer Laterne in der Dämmerung. Augenblicklich flatterte Rangalo ihm entgegen, ließ sich auf seinem Kopf nieder. Lachend hielt Arokando ihm den Finger hin, sodass der kleine Sperling mit einem Schwung darauf springen konnte.
„Es scheint besser gelaufen zu sein, als du erwartet hattest?“, fragte Rafyndor, ein warmes Lächeln auf den Lippen.
„Oh ja“, rief Arokando freudig und nickte eifrig. „Ich bin nicht vom Unterricht ausgeschlossen worden! Man hat mir eine zweite Chance gegeben. Natürlich werde ich nun besonders genau beobachtet, und wenn wieder dunkle Magie gewirkt wird, werde ich sicherlich der Erste sein, der verdächtigt wird. Aber das ist nur gerecht. Wichtig ist, dass ich weitermachen darf!“
Seine Stimme war erfüllt von Dankbarkeit und Zuversicht, und nach kurzem Zögern fügte er schüchtern hinzu: „Darf ich Euch trotzdem im Wald helfen?“
Rafyndor schmunzelte und nickte. „Natürlich. Mein Angebot war nicht an Bedingungen geknüpft. Es war keine bloße Alternative, falls du den Unterricht verlassen müsstest. Im Übrigen war es mir bereits klar, dass dir eine zweite Chance gewährt würde − nicht zuletzt, weil die Hüterin der Natur und der Magie selbst im Rat sitzt. Ihre Bitte an dich, die Geschehnisse aus deiner Perspektive zu schildern, war ein deutliches Zeichen dafür, dass sie dir wohlgesonnen ist.“
Mit einem Anflug von Stolz fügte er hinzu: „Die Hüterin ist eine starke Elfe. Ihre Weisheit und Entschlossenheit sind bewundernswert. Es hätte mich wahrlich gewundert, hätte sie sich im Rat nicht durchgesetzt.“
Während Rafyndor sprach, flatterte Rangalo erneut auf Arokandos Kopf, kroch spielerisch an seinem Ohr entlang und ließ sich schließlich wieder auf seinem Finger nieder. Der junge Goblin lachte leise und begann erneut, ihn sanft zu streicheln. Sein Lächeln sprach Bände − ein Ausdruck schierer Freude und einer Hoffnung, die tief in seinem Inneren wieder erblüht war.
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Rafyndor ahnte im Vorfeld, dass sich Lililja für Arokandos Verbleib an der Akademie einsetzen würde.
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