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Noch vor dem ersten Licht des Tages stand Rafyndor erwartungsvoll an jener Stelle, an der Lililja für gewöhnlich ihre Morgenrunde begann. Die Aufregung über seine neu gewonnenen Erkenntnisse brannte in ihm wie ein loderndes Feuer, das nach Luft verlangte − er musste sich jemandem mitteilen, und zwar schnell, ehe er vor innerer Spannung platzte.
In der Ferne erspähte er Lililja, die in Gedanken versunken wirkte, während sie gemächlich ihren gewohnten Weg entlangschritt. Plötzlich hob sie den Kopf, bemerkte Rafyndor und blieb überrascht stehen. Ein strahlendes Lächeln erhellte ihr Gesicht, als sie ihm entgegenkam.
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Rafyndor wartete schon an der Stelle, an der Lililja ihre Morgenrunde begann.
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„Guten Morgen, Rafyndor!“, begrüßte sie ihn herzlich. „Ich nehme an, der Versuch gestern Abend war ein voller Erfolg?“
„Ein voller Erfolg, und mehr noch!“, platzte es aus ihm hervor, seine Begeisterung kaum zügelnd. „Ich habe endlich das Geheimnis der Blauschnäuzchen gelüftet! Sie fressen die Pilogi-Pflanzen nicht grundlos, obwohl diese ihnen Schaden zufügen. Mithilfe der Pflanzen sind sie in der Lage, dunkle Flüche zu unterdrücken!“
Lililjas Augen weiteten sich vor ungläubigem Staunen. „Die Blauschnäuzchen können dunkle Flüche unterdrücken?“, wiederholte sie, ihre Stimme von ehrfürchtiger Verwunderung getragen. „Und dazu benötigen sie die Pilogi-Pflanzen? Wie bist du zu dieser bahnbrechenden Erkenntnis gelangt?“
Mit leuchtenden Augen und bewegter Stimme schilderte Rafyndor die Geschehnisse des vergangenen Abends. Er erzählte, wie Arokando ihn mit meisterhaft inszenierter Ehrfurcht vorgestellt hatte, was bei einem der Nachbarn Respekt und bei dem anderen eine herablassende Haltung ausgelöst hatte. Diese ungleichen Reaktionen hatten unweigerlich zu einem Streit geführt. Er sprach von der Flucht der Blauschnäuzchen vor den beiden, was Arokandos Theorie bestätigt hatte, und schließlich von dem dramatischen Moment, als sich ein einzelnes Blauschnäuzchen − das gleiche, das sich an den Pilogi-Pflanzen vergangen hatte − eingemischt hatte. Rafyndor berichtete, wie dieses kleine Wesen bei jedem ausgesprochenen dunklen Fluch die Farbe seines blauen Schnäuzchens für einen Wimpernschlag in das charakteristische Orange-Gelb der Pilogi-Pflanze gewechselt hatte.
Lililja hörte ihm gebannt zu, von der Tiefe dieser Entdeckung sichtlich beeindruckt.
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Rafyndor dankte Lililja dafür, dass sie sich für Arokandos Verbleib an der Akademie eingesetzt hatte.
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Als Rafyndor seinen Bericht beendet hatte, richtete er sich zu voller Größe auf und sagte mit einem breiten Lächeln: „Ich bin dir unendlich dankbar, dass du dich damals für Arokando eingesetzt hast und ihm eine zweite Chance gewährt wurde. Hätte er sich nicht mit dunkler Magie beschäftigt, würden wir noch immer im Dunkeln tappen, was die Besonderheit der Blauschnäuzchen betrifft. Dieser Junge ist ein wahres Genie. Spätestens jetzt hätte ich selbst bei Meister Lehakonos vorgesprochen und um eine zweite Chance für ihn gebeten.“
Lililja erwiderte sein Lächeln, Wärme und Stolz spiegelten sich in ihrem Blick.
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Die Entscheidung des Rates, Arokando nicht aus der Gemeinschaft auszuschließen, hatte sich als richtig erwiesen − das war nun offenkundig. Rafyndors Worte bestätigten dies auf wunderbare Weise.
Die beiden verabschiedeten sich mit einer herzlichen Umarmung, bevor Lililja ihre Runde mit dem Morgenritual begann. Zuvor berichtete sie jedoch Mojalian von Rafyndors Entdeckung, der ebenso beeindruckt wie verwundert war.
Währenddessen eilte Rafyndor mit ungebrochener Energie zu Pranicara, entschlossen, auch sie in dieses unglaubliche Geheimnis einzuweihen.
Vor Pranicaras Tür bot sich ihm jedoch ein vertrautes Bild: Eine lange Schlange von Wesen hatte sich dort versammelt, alle suchend nach ihrem Rat und ihrer heilenden Kunst.
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Doch Rafyndor hatte weder die Geduld noch die Zeit, sich hinten anzustellen. Er straffte die Schultern, hob das Kinn und schritt mit der Entschlossenheit eines Mannes, der eine Mission von höchster Dringlichkeit zu erfüllen hatte, auf die Tür zu. Ein verärgertes Murren erhob sich hinter ihm, als er an den Wartenden vorbeizog, doch er ließ sich nicht beirren. Mit fester Faust klopfte er an die Tür.
Die Tür öffnete sich, und Pranicara erschien mit einem genervten Ausdruck im Gesicht. Doch bevor sie ihren Unmut äußern konnte, sprach Rafyndor mit ernster Miene: „Seelenheilerin, ich melde einen Notfall bei einem Tier und benötige dringend euren Rat.“
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Um nicht warten zu müssen, gab Rafyndor vor, dass er wegen eines Notfalls zu Pranicara wollte.
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Die Sorge, die sich augenblicklich in Pranicaras Gesicht breit machte, ließ jeden Hauch von Ärger verfliegen. Sie bedeutete ihm einzutreten. „Was ist geschehen?“, fragte sie mit aufrichtiger Besorgnis.
„Nichts Lebensbedrohliches, zumindest nicht unmittelbar“, antwortete Rafyndor, ein verlegenes Grinsen auf den Lippen. „Aber ich habe endlich herausgefunden, warum die Blauschnäuzchen sich ständig über die Pilogi-Pflanzen hermachen − und dass wir ihnen mit unseren Schutzmaßnahmen mehr geschadet haben, als wir ahnten.“
Pranicara musterte ihn, die Überraschung in ihren Augen sprach Bände. Sie ließ sich auf einen Stuhl sinken, deutete ihm an, ebenfalls Platz zu nehmen, und fragte mit ungläubigem Interesse: „Wie bist du zu dieser Erkenntnis gelangt?“
Rafyndor berichtete ihr von den jüngsten Ereignissen. Er erzählte, wie er dem reumütigen Angreifer Rangalos − nachdem dieser von dem kleinen Vasta-Sperling verziehen worden war − angeboten hatte, ihn in den Wald zu begleiten, um ihm die nonverbale Kommunikation der Tiere näherzubringen. Mit lebhaften Worten schilderte er, wie die Blauschnäuzchen instinktiv vor Arokando flohen, als hätten sie seine dunkle Magie gewittert, und wie sie die Pilogi-Pflanzen verschmähten, die er berührt hatte.
Pranicara hob ungläubig die Augenbrauen. „Die Blauschnäuzchen sind vor ihm davongerannt?“, unterbrach sie ihn ungläubig.
„Ja“, bestätigte Rafyndor mit Nachdruck. „Zunächst konnte ich es selbst nicht fassen, doch Arokando hat es mir gezeigt. Er selbst vermutete, dass die Tiere seine Verbindung zur dunklen Magie spürten. Das hat mich auf eine Idee gebracht, und wir beschlossen, es genauer zu untersuchen.“
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Rafyndor schilderte Pranicara seine Erkenntnisse über die Blauschnäuzchen.
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Rafyndor schilderte die Ereignisse des vergangenen Abends in allen Einzelheiten, von den dunklen Flüchen, die auf wundersame Weise ins Leere liefen, bis zu den faszinierenden Farbveränderungen des Blauschnäuzchens, das sich mutig eingemischt hatte.
Am Ende seiner Erzählung sagte er: „Ich bin zu dem Schluss gekommen, dass die Blauschnäuzchen die Pilogi-Pflanzen nicht aus bloßer Unvernunft fressen, sondern um sich vor dunklen Flüchen zu schützen – selbst wenn sie dabei Schaden nehmen.“
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Pranicara starrte ihn fassungslos an, ehe sie schließlich murmelte: „Wenn das, was du und der junge Goblin herausgefunden habt, tatsächlich der Wahrheit entspricht, dann haben wir diese Tiere mit unseren gut gemeinten Maßnahmen seit Jahrhunderten mehr gequält als geschützt. Wir müssen die Umhegung sofort niederreißen!“
Rafyndor hob beschwichtigend die Hand. „Noch nicht. Überstürztes Handeln könnte mehr Schaden anrichten, als wir jetzt wissen. Ich werde mit Meister Lehakonos sprechen und herausfinden, welchen Lehrmeister ich hinzuziehen kann, um Arokandos und meine Theorie gründlich zu untersuchen. Ich wollte dich nur vorab informieren, weil du ständig mit den erkrankten Blauschnäuzchen zu tun hast. Und ich möchte dir sagen, dass Arokando kein bösartiger Magier ist, auch wenn er Rangalo beinahe getötet hätte. Es war keine bewusste Tat, sondern eine Folge seiner Unerfahrenheit − und sein Bedauern darüber ist echt. Ironischerweise hat gerade dieser Makel, seine Verbindung zur dunklen Magie, uns zu dieser Entdeckung geführt. Wir, die wir uns für hellere Wesen halten, haben mit unseren guten Absichten anderen Geschöpfen unwissentlich Schaden zugefügt. Ob unser Handeln wirklich so viel besser war als das von Arokando, steht zur Diskussion.“
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Er erhob sich, entschlossen, Pranicara nicht länger von ihrer Arbeit abzuhalten. Diese stand ebenfalls auf, sichtlich bewegt, und umarmte ihn herzlich. „Danke, dass du mich sofort eingeweiht hast“, sagte sie und begleitete ihn zur Tür.
Um vor den wartenden Patienten den Eindruck zu wahren, verabschiedete sie ihn mit gespieltem Ernst: „Vergesst nicht, dem Tier dreimal täglich den Saft zu geben, Waldhüter, dann wird es bald wieder genesen.“
Rafyndor zwinkerte ihr zu, ehe er seinen Weg zum Anwesen von Meister Lehakonos fortsetzte.
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Zum Abschied umarmte Pranicara ihren Cousin und dankte ihm, dass er ihr seine Erkenntnisse mitgeteilt hatte.
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Dort, im Studierzimmer des Hohenmagiers, schilderte er dem alten Lehrmeister Arokandos Theorie und die bahnbrechenden Erkenntnisse des vergangenen Abends. Meister Lehakonos, dessen Augen trotz seines Alters stets vor Neugier und Weisheit funkelten, lauschte mit wachsendem Interesse, bis sich schließlich ein strahlendes Lächeln über sein Gesicht legte.
„Es scheint, als hätten wir eine weise Entscheidung getroffen, den jungen Goblin weiterhin am Unterricht teilhaben zu lassen“, sprach er mit einer Zufriedenheit, die seinen Worten Nachdruck verlieh. „Arokando ist offenbar ein außergewöhnliches Talent. Und wenn selbst ein Wesen wie der kleine Vasta-Sperling ihm vergeben hat, dann sollten wir uns ebenfalls nicht länger an seiner Verfehlung aufhalten. Ich bin gespannt, wie er sich entwickeln wird.“
Rafyndor, der die Zustimmung des weisen Lehrmeisters mit Erleichterung vernahm, fragte ihn, an wen er sich wenden müsse, um die Blauschnäuzchen genauer untersuchen zu lassen. Ohne zu zögern nannte Meister Lehakonos den Namen des Gelehrten, der für die Erforschung von Tierverhalten berühmt war, und Rafyndor verabschiedete sich mit einer tiefen Verbeugung.
Vor dem Anwesen hob Rafyndor zwei Finger an die Lippen und stieß einen melodischen Pfiff aus. Binnen Augenblicken erschien Skukius, der Korvum-Rabe, aus den Baumwipfeln und ließ sich elegant auf seinem Unterarm nieder.
„Skukius“, begann Rafyndor mit ruhiger Stimme, „kannst du mir zeigen, wo sich Meister Vatanos derzeit aufhält? Ich muss ihn dringend sprechen.“
Der Rabe nickte zustimmend, schlug einmal kräftig mit den Flügeln und erhob sich in die Luft. Rafyndor folgte ihm, geführt von dem schwarzen Schatten, der sich vor dem wolkenverhangenen Himmel abzeichnete.
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Rafyndor fand Meister Vatanos auf der Lehrwiese und berichtete ihm von seinen Erkenntnissen.
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Skukius führte Rafyndor schließlich zur Lehrwiese nahe der Akademie − einer offenen, weiten Fläche, die Meister Vatanos, ein Steppengeist, bevorzugte.
Der Gelehrte, trotz seines fortgeschrittenen Alters von fünfundsechzig Jahren eine beeindruckende Erscheinung, zeichnete sich durch die für sein Volk typische goldene Haarpracht und eine ebenso schimmernde Haut aus, die wie von der Sonne selbst durchdrungen schien. Seine gelben Augen, die von Neugier erfüllte Funken sprühten, wandten sich Rafyndor zu, als dieser nähertrat.
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Mit klarer Stimme berichtete Rafyndor von den Erkenntnissen des vergangenen Abends, wobei er Arokandos Theorie und die verblüffenden Zusammenhänge zwischen den Blauschnäuzchen und den Pilogi-Pflanzen ausführlich darlegte.
Meister Vatanos hörte aufmerksam zu, sein Blick wandelte sich von Verwunderung zu Begeisterung. „Das ist faszinierend“, rief er schließlich aus. „Natürlich werde ich unverzüglich eine Versuchsreihe entwickeln, um eure Theorie zu prüfen. Es wäre jedoch nur gerecht, dem Schüler, der diese Einsicht hatte, die Möglichkeit zu geben, als Assistent bei diesen Untersuchungen mitzuwirken. Wie lautet sein Name?“
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„Arokando“, entgegnete Rafyndor, „doch es gibt eine Sache, die Ihr wissen müsst. Er hat den Schwur des Lichts gebrochen, als er mit dunkler Magie hantierte − jedoch nicht aus Bosheit, sondern weil er etwas Gutes bewirken wollte.“
Meister Vatanos blinzelte überrascht und schwieg für einen Augenblick. Schließlich sprach er nachdenklich: „Das ist eine schwerwiegende Verfehlung. Doch sagt, hat der junge Goblin seine Tat bereut?“
„Ja, zutiefst“, bestätigte Rafyndor. „Er war entsetzt über seine eigene Handlung und zeigte aufrichtige Reue. Der kleine Vasta-Sperling, den er beinahe getötet hätte, hat ihm bereits vergeben.“
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Rafyndor berichtete Meister Vatanos von Arokandos dunklem Fluch gegen Rangalo und der daraus folgenden Erkenntnis über die Blauschnäuzchen.
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Ein Lächeln breitete sich auf den Lippen des alten Lehrmeisters aus. „Dann gibt es keinen Grund, ihm diese Chance zu verwehren. Ich werde Meister Jadoruc bitten, Arokando für die Dauer der Versuchsreihe von seinen anderen Verpflichtungen zu entbinden, damit er als Assistent tätig werden kann.“
Erleichtert und mit dem Gefühl, etwas Gutes bewirkt zu haben, verabschiedete sich Rafyndor von Meister Vatanos. Als diese Angelegenheit nun zu seiner Zufriedenheit geregelt war, kehrte er in den Wald zurück, wo bereits zahlreiche Aufgaben auf ihn warteten.
Am Nachmittag erschien Arokando mit einem breiten Lächeln, das förmlich mit der Wärme der Sonne zu konkurrieren schien. „Ich habe eine Assistenzstelle bei Meister Vatanos erhalten!“ , verkündete er voller Freude, während seine Augen vor Glück glitzerten. „Das habe ich nur dir zu verdanken, Rafyndor. Vielen, vielen Dank!“
Rafyndor schüttelte den Kopf und hob beschwichtigend eine Hand. „Nein, Arokando, dieser Erfolg gehört allein dir und deinem scharfsinnigen Verstand. Du hast ein Rätsel gelöst, das seit Jahrhunderten ungelöst blieb. Es ist daher mehr als verständlich, dass Meister Vatanos dich als Assistenten gewählt hat.“
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Arokando berichtete begeistert von dem Aufeinandertreffen der beiden Lehrmeister.
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Doch Arokandos Blick blieb unverändert dankbar, und mit aufgeregter Stimme erzählte er weiter: „Du wirst nicht glauben, was passiert ist! Als Meister Vatanos in der Gruppe nach mir gefragt hat, hat Meister Jadoruc laut verkündet, dass ich dunkle Magie angewendet hätte. Ich hätte vor Scham am liebsten im Boden versinken können! Aber weißt du, was Meister Vatanos geantwortet hat? Er sagte: ‚Ja, das war auch gut so, denn sonst wären wir bei den Erkenntnissen über die Blauschnäuzchen noch kein Stück weiter.‘ Du hättest Meister Jadorucs Gesicht sehen sollen − sein Kinn fiel ihm fast herunter! Und die anderen haben mich plötzlich voller Bewunderung angesehen. Ich kann kaum fassen, womit ich so viel Glück verdient habe, obwohl ich doch einen solchen Fehler begangen habe!“
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Rafyndor, gerührt von Arokandos aufrichtiger Freude, lächelte warm und teilte dessen Glück. Die Fortschritte des jungen Goblins und dessen neue Chancen erfüllten ihn mit einer tiefen Zufriedenheit.
Von diesem Tag an wurde Arokando zu einer vertrauten Gestalt im Wald. Täglich kam er, um Rafyndor bei seinen Arbeiten zu unterstützen, und erzählte dabei eifrig von seinen Erlebnissen und den Erkenntnissen, die er an der Seite von Meister Vatanos gewann. Zwischen dem erfahrenen Waldhüter und dem wissbegierigen Goblin entwickelte sich eine Freundschaft, die von Vertrauen und gegenseitiger Wertschätzung geprägt war. Während Arokando Rafyndor und seinen Fähigkeiten weiterhin bewundernd gegenüberstand, hatte er seine anfängliche Ehrfurcht und Scheu verloren, sodass zwischen ihnen eine lockere, aber tiefe Verbundenheit entstand.
Am Abend traf sich Rafyndor unverändert mit Lililja. Während ihrer Spaziergänge im sanften Licht des Sonnenuntergangs berichtete er ihr von seinen Arbeiten, den Ideen, die Arokando während ihrer gemeinsamen Zeit im Wald einfielen, und den Fortschritten, die Meister Vatanos zusammen mit seinem neuen Assistenten bei den Versuchen mit den Blauschnäuzchen machte.
Lililja lächelte Rafyndor an, voller Wärme und Zuneigung. Sie hatte ihn schon lange nicht mehr so glücklich gesehen. Es war offensichtlich, dass die Freundschaft mit Arokando ihm sichtlich guttat.
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Während dieser Abendgänge gehörte Rafyndor ihre ungeteilte Aufmerksamkeit.
Lililja hatte Mojalian gebeten, sich während dieser Stunden aus ihrem Geist zurückzuziehen, damit nichts sie ablenken konnte. Diese Zeit war allein für Rafyndor bestimmt − ein Moment der Ruhe und Vertrautheit, in dem ihre enge Bindung zueinander weiter wuchs und gefestigt wurde.
Lililja wusste, dass diese Gespräche und die Nähe zu Rafyndor nicht nur für ihn, sondern auch für sie selbst von unschätzbarem Wert waren.
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Während der Abendspaziergänge konzentrierte sich Lililja voll und ganz auf Rafyndor.
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Wenn Lililja abends zur Ruhe kam und sich in die weichen Umarmungen ihres Bettes schmiegte, suchte sie die Verbindung zu Mojalian. Dabei schloss sie stets die Augen und stellte sich vor, wie er an ihrer Seite schwebte, auf der Bettkante sitzend, wie ein stiller Wächter aus einer anderen Welt. Es erfüllte sie jedes Mal mit einem tiefen, warmen Gefühl von Geborgenheit.
„Weißt du“, begann Mojalian eines Abends nachdenklich, seine Stimme wie eine zärtliche Melodie in ihrem Geist, „vielleicht wäre ich dir auch ohne den Schleiersturm begegnet, wenn ich die Ausbildung abgeschlossen hätte, für die ich ursprünglich vorgesehen war.“
„Was meinst du damit?“ Lililjas Gedanken tasteten sich vorsichtig an seine Worte heran, denn sie konnte den verborgenen Kern seiner Andeutung noch nicht greifen.
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Mojalian erzählte, dass er einst Weisenmeister für Vanavistaria hätte werden sollen.
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„Eigentlich“, begann er mit ruhiger Stimme, „sollte ich Weisenmeister für Vanavistaria werden. Mein Auftrag wäre es gewesen, bei bedeutsamen Ereignissen den Kontakt zu eurer Welt herzustellen. Allerdings hätte das alte Portal auf eurer Welt, das noch immer existiert, diese Aufgabe erschwert. Es ist dasselbe Portal, das einst Resogurion nutzte, der letzte Weisenmeister, der eure Welt besucht hat. Hätte ich dieses Amt übernommen, wäre es an mir gewesen, einen Weg zu finden, das Portal aus eurer Welt zu entfernen, damit ich ein neues, funktionierendes hätte erschaffen können. Das wäre eine immense Herausforderung gewesen, aber wer weiß − vielleicht hätte ich auf diesem Wege schon damals mit dir Kontakt aufgenommen.“
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Lililja lachte leise, ein heiteres Lächeln in ihren Gedanken. „Mit mir? Aber Mojalian, du hättest mich doch gar nicht gekannt!“
„Oh, aber du wärst mein Ansprechpartner in Vanavistaria gewesen“, entgegnete Mojalian geheimnisvoll, und ein Hauch von Rätselhaftigkeit schwang in seinen Worten mit.
Lililja konnte nicht anders, als laut in sich hineinzulachen. Sie hielt seine Bemerkung für einen Scherz und ließ sich von ihrer Heiterkeit tragen. Doch dann fragte sie neugierig: „Was hat dich eigentlich davon abgehalten, Weisenmeister für Vanavistaria zu werden?“
Mojalians Ton wurde ernster, seine Worte schienen schwerer zu wiegen. „Am Ende meiner Ausbildung musste ich einen erfahrenen Weisenmeister auf eine Welt begleiten, die von einem Unda Palata angegriffen wurde. Es war eine Art Prüfung, um Erfahrungen im Kampf gegen diese Wesen zu sammeln.“
„Was ist ein Unda Palata?“ Lililja unterbrach ihn unwillkürlich, fasziniert und zugleich beunruhigt von diesem unbekannten Begriff.
Geduldig erklärte Mojalian: „Die Unda Palata sind mächtige, grausame Kreaturen, die von Bulotojok, einer Zerstörerwelt, stammen. Sie können von machthungrigen dunklen Magiern mit einem Fluch heraufbeschworen werden. Wer ein solches Wesen ruft, erhält unermessliche Macht über seine Welt − allerdings zu einem hohen Preis. Der Magier muss sich dem Unda Palata vollkommen unterwerfen. Scheitert er an einer Aufgabe, die der Zerstörer ihm auferlegt, wird er auf grausamste Weise bestraft. Es ist ein gefährliches Bündnis, weshalb die Unda Palata nur selten heraufbeschworen werden. Doch wenn es geschieht, ist das Unheil gewiss.“
Ein Schauder lief Lililja über den Rücken. „Das ist keine Geschichte, die man vor dem Einschlafen hören möchte“, bemerkte sie sanft.
„Verzeih mir“, antwortete Mojalian zerknirscht. „Ich wollte dich nicht erschrecken. Eigentlich wollte ich dir etwas anderes erzählen − über mich.“
„Dann erzähl lieber schnell weiter, damit ich diese düsteren Gedanken loswerde“, forderte sie ihn mit einem zärtlichen Lächeln auf, das er durch ihre Gedanken spüren konnte.
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„Natürlich“, sagte er und fuhr fort. „Wir reisten also zu jener Welt, die der Unda Palata heimsuchte. Gemeinsam mit dem anderen Weisenmeister versuchten wir, das Wesen zu vertreiben. Doch der Hüter des Lichts, der Wächter gegen die Dunkle Magie und Beschützer der Wesen seiner Welt, war bereits gefallen − getötet von der Bestie −, und ohne seine Unterstützung war unser Kampf beinahe aussichtslos. Letztendlich gelang es dem Weisenmeister, den Unda Palata zu vertreiben, aber ich selbst wurde schwer verletzt.“
Mojalian verstummte, und Lililja spürte die Last seiner Worte.
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Mojalian erzählte von seinem Erlebnis mit einem Unda Palata auf einer anderen Welt.
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Sie sagte nichts, ließ ihm Raum, seine Gedanken zu sammeln. Ihr Herz schmerzte bei dem Wunsch, ihn in den Arm zu nehmen, ihm ihre Nähe zu schenken, auch wenn dies in ihrer getrennten Existenz unmöglich war.
Nach einer Weile sprach Mojalian weiter, seine Stimme leise und voller Bedauern. „Ich habe den Kampf nur knapp überlebt. Als ich wieder genesen war, entschied ich mich, kein Weisenmeister zu werden. Die Angst vor einem weiteren Versagen, vor einer erneuten Begegnung mit einem Unda Palata, lähmte mich. Ich fühlte mich diesem Amt nicht gewachsen.“
Eine weitere Stille folgte, bis Mojalian tief einatmete und schließlich seufzte. „Deshalb bin ich Seelen-Drasta geworden. Ich wollte jenen helfen, die ihre eigenen inneren Dämonen − ihren persönlichen Unda Palata − mit sich herumtrugen, anstatt gegen die monströsen Kreaturen von Bulotojok zu kämpfen.“
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Lililja hörte in Mojalians Stimme heraus, dass er sich selbst verachtete.
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Lililja horchte auf und bemerkte mit Erschrecken, dass Mojalian sich selbst für seine Entscheidung verachtete. Sie spürte seine Unsicherheit und sein Zögern, seine Stille, die nach einer Reaktion verlangte.
Mit sanfter Stimme fragte sie: „Warum klingt es so bitter, wenn du darüber sprichst, anderen zu helfen?“
Mojalian zögerte, bevor er leise gestand: „Weil ich mich wie ein Feigling fühle, der anderen die Gefahr überlässt und sich selbst in Sicherheit wiegt.“
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Lililjas Herz zog sich zusammen. „Wenn ich könnte“, sagte sie mit einer Stimme voller Liebe und Tränen in den Gedanken, „würde ich dich jetzt in die Arme nehmen und dir sagen, dass du großartig bist und dass du dich nicht fürchten musst. Jeder trägt seinen eigenen Unda Palata mit sich herum. Du bist einem realen begegnet − einem, der Spuren hinterlassen hat. Aber Mojalian, lass ihn los. Sieh auf all jene, denen du geholfen hast, ihre eigenen Dämonen zu besiegen.“
Nach einer kurzen Pause fügte sie lächelnd hinzu, um die Schwere zu vertreiben: „Zumindest in Vanavistaria hast du so vielen Wesen geholfen, dass Pranicara und die anderen Seelenheiler komplett überfordert sind, dich zu ersetzen.“
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Lililja erzählte Mojalian von den vielen Patienten, die er den Seelenheilern von Vanavistaria beschert hatte.
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