zurück StartseiteDer Planet AgibaraniaWesen und OrteTitelseiteInhaltsverzeichnis3m) Die Nachfahrin Tarodastrus′


Die Nachfahrin Tarodastrus′

Nanistra bereitete eine Kanne Tee vor, ordnete drei Tassen auf einem Tablett an und hob es mit zitternder Gelassenheit. Langsam schlurfte sie vor Lililja her, die ihr auf dem Weg zum Studierzimmer von Meister Lehakonos folgte. Dort angekommen, klopfte Lililja sanft an die schwere Holztür, wartete einen Herzschlag und trat ein.

„Hohenmagier“, begann Nanistra, ihre Stimme fest und eindringlich, während sie darauf wartete, dass Meister Lehakonos von seinen Aufzeichnungen aufsah. „Die Hüterin des Lichtes und ich müssen dringend mit Euch sprechen.“

Ohne eine Antwort abzuwarten, bewegte sie sich in das Zimmer, stellte das Tablett mit dem Tee auf den schlichten Holztisch und ließ sich mit bemerkenswerter Selbstverständlichkeit in den Sessel des Hohenmagiers sinken. Lililja schloss die Tür hinter sich und wandte sich mit flehentlichem Blick an ihren alten Lehrmeister, ehe sie sich ebenfalls an den Tisch setzte.



Nanistra kündigte dem Hohenmagier an, dass die Hüterin des Lichtes und sie mit ihm reden müssten.

Meister Lehakonos war sichtlich aus dem Konzept gebracht. Er erhob sich langsam von seinem Schreibtisch, trat zum Tisch, setzte sich auf einen der Holzstühle und nahm, ohne ein Wort des Protests, die dampfende Tasse entgegen, die Nanistra ihm wortlos reichte. Einen Moment lang blinzelte er verwirrt, als müsse er aus einem Traum erwachen, bevor er murmelte: „Ähm, ja... Nun, bitte, ich höre.“

Nanistra setzte ihre Tasse behutsam ab, straffte die Schultern und begann mit ungewohnter Eindringlichkeit zu sprechen: „Als Ihr damals hier einzogt, Hohenmagier, habe ich Euch nicht alles über mich erzählt. Ich bin eine Nachfahrin von Tarodastrus, dem Sternenseher, und kenne die gesamte Geschichte Vanavistarias, wie sie sich im Zeitalter der leuchtenden Sterne zutrug. Das Geisterwesen Mojalian hat es sofort erkannt, als er mich das erste Mal sah. Er bemerkte, dass die magische Signatur meiner Augen jener meines Vorfahren gleicht. Ich bat ihn jedoch inständig, dieses Wissen für sich zu behalten, und er hat es mir geschworen. Gleichzeitig vertraute er mir an, dass Lililja die aktuelle Hüterin des Lichtes sei.“

Die Worte hingen schwer im Raum, während Nanistra kurz inne hielt, ehe sie mit leiserem, aber nicht minder bestimmtem Ton fortfuhr: „Tarodastrus war ebenfalls Hüter des Lichtes. Doch er litt zeitlebens unter der erdrückenden Verantwortung dieses Amtes. Deshalb entfernte er sämtliche Hinweise auf dieses Amt aus den Geschichtsaufzeichnungen.“

„Das ist also die Geschichtsfälschung, von der Mojalian sprach“, murmelte Meister Lehakonos, während sich ein Ausdruck des Verstehens auf seinem Gesicht abzeichnete.



Nanistra saß im Sessel des Hohenmagiers und erzählte von ihrem Vorfahren Tarodastrus.

„In der Tat“, bestätigte Nanistra. „Das Amt des Hüters des Lichtes ist ein angeborenes Vermächtnis. Es wird bei der Geburt übertragen − immer dann, wenn ein Hüter stirbt, geht die Verantwortung auf das nächste Kind über, das innerhalb der hellen Zaubergemeinschaft geboren wird. Meine Familie führte eine Zeit lang heimlich Buch über die Linie der Hüter, um sicherzustellen, dass der Hüter im Notfall seine Aufgabe wahrnehmen konnte. Doch irgendwann schlich sich ein entscheidender Fehler in diesen Aufzeichnungen, und die Linie konnte nicht mehr verfolgt werden. Es war Mojalian, der vor seiner Abreise sicherstellte, dass ich wusste, wer die aktuelle Hüterin ist.“

Meister Lehakonos richtete seinen Blick nun auf Lililja, die mit gerunzelter Stirn an ihrer Tasse nippte. Nachdenklich betrachtete er sie, als würde er versuchen, die mächtige Magie, von der Nanistra sprach, in ihren Augen zu erkennen. Schließlich wandte er sich wieder an die alte Hausmagd.

„Aber was bedeutet es, Hüterin des Lichtes zu sein?“, fragte er mit deutlicher Verwunderung.

Nanistra schob ihre Tasse ein wenig beiseite, faltete die Hände vor sich und erklärte mit ruhiger Eindringlichkeit:

„Die Hüterin des Lichtes verfügt über eine machtvolle helle Magie. Doch diese Magie entzieht sich ihrer Kontrolle. Sie kann nicht nach Belieben darauf zugreifen; sie wird vielmehr dann aktiviert, wenn sie dringend benötigt wird. Sollte Vanavistaria jemals von einem dunklen Magier bedroht werden, wird die Hüterin des Lichtes zur Anführerin und mit ihrer Magie die übrigen Wesen vor den Angriffen des Bösen schützen.“



Nanistra klärte Meister Lehakonos und Lililja über das Amt der Hüterin des Lichtes auf.

Lililjas Finger verkrampften sich um die Tasse, als Nanistras Worte in ihrem Inneren widerhallten. Plötzlich tauchten die Worte auf, die Mojalian einst zu ihr gesagt hatte, als er Abschied nahm: Auf dir ruht eine große Verantwortung, Lililja. Hüte dich selbst − und alle, die dir lieb sind.

Er hatte die Wahrheit geahnt − oder bereits gewusst. Und nun verstand sie auch, warum er damals gezögert hatte, alles offen auszusprechen. Eines Tages werde ich dir sagen, was ich damit meinte. Aber noch ist die Zeit nicht gekommen. Es ist noch nicht wichtig.

Jetzt war es wichtig geworden. Und mit dieser Erkenntnis lastete die Bedeutung seiner Worte schwer auf ihrer Seele.

„Mojalian hat mir anvertraut“, begann Lililja zögernd, ihre Stimme ruhig, doch von einer inneren Anspannung getragen, „dass Vanavistaria einer düsteren Bedrohung entgegenblickt. Der Hauchzauberdunst wird bald über unser Land ziehen, doch mit sich eine mächtige dunkle Magie bringen. Der Weisenmeister von Valivisia hat diese beunruhigenden Signale empfangen, allerdings waren sie zunächst so zwiespältig, dass er Zeit benötigte, um sie richtig zu deuten. Nun ist es gewiss: Eine große Gefahr naht, und deshalb hat Mojalian mir heute die Tragweite der Verantwortung offenbart, die auf meinen Schultern lastet.“

„Heute?“, unterbrach Meister Lehakonos sie, sichtlich irritiert. „Ist Mojalian zurück in Vanavistaria?“

Ein leises Lächeln huschte über Lililjas Gesicht, während sie den Kopf schüttelte. „Nein, Hohenmagier. Seit mehreren Monaten stehe ich mit ihm in gedanklichem Kontakt. Wir können uns jederzeit miteinander austauschen.“



Lililja berichtete von ihrer geistigen Verbindung zu Mojalian, die sie seit einigen Monaten hatte.

Der alte Lehrmeister warf ihr einen prüfenden Blick zu, als versuche er, die Wahrheit in ihren Worten zu ergründen. Schließlich wandte er sich an Nanistra, doch diese nickte bestätigend. „Und wie ist das möglich?“, fragte er, seine Stirn in tiefe Falten gelegt.

„Ganz genau weiß Mojalian es auch nicht“, erklärte Lililja. „Er vermutet, dass es unsere tiefe Sehnsucht nach einander ist, die diese Verbindung geschaffen hat. Aber“, fügte sie mit einem flehentlichen Unterton hinzu, „ich bitte Euch eindringlich, dieses Band vor anderen geheim zu halten. Bislang weiß niemand außer Euch und Nanistra davon.“

„Auch nicht Rafyndor?“, hakte Meister Lehakonos ungläubig nach.

Lililjas Miene verhärtete sich, und ihre Stimme wurde fest. „Insbesondere nicht Rafyndor. Er würde zusammenbrechen, wenn er erführe, dass mein Herz längst einem anderen gehört.“

Meister Lehakonos nickte langsam, ein leises Seufzen in seiner Haltung verborgen. Ja, das war nur allzu wahrscheinlich. Rafyndor und Lililja waren unzertrennlich, seit sie sich kennengelernt hatten. Sollte Mojalian sich nun zwischen sie gestellt haben, so würde das Rafyndor aus der Bahn werfen.

„Ich verspreche, dieses Wissen wird bei mir sicher bleiben“, sagte der Hohenmagier schließlich. Nachdenklich strich er sich über den Bart, während er das Gehörte zusammenfasste: „Also steht Vanavistaria eine mächtige dunkle Bedrohung bevor, und du, Lililja, als Hüterin des Lichtes, bist dazu bestimmt, dieser Gefahr entgegenzutreten?“

Nanistra und Lililja nickten beinahe synchron.

„Doch über die Natur dieser Bedrohung wisst ihr noch nichts?“, fragte er und ließ seinen Blick zwischen den beiden Frauen wandern.

Nanistra sah Lililja auffordernd an, doch diese schüttelte nur stumm den Kopf.

„Nun gut“, sagte der alte Lehrmeister schließlich mit einem langen, nachdenklichen Atemzug. „Dann bleibt uns vorerst nichts anderes übrig, als abzuwarten, welche Art von dunkler Magie sich gegen uns erhebt. Sobald wir mehr wissen, werden wir gemeinsam überlegen, welche Schritte zu unternehmen sind.“ Seine Augen richteten sich auf Nanistra, und ein sanftes Lächeln umspielte seine Lippen. „Nanistra, ich hoffe, du wirst uns dann erneut mit deinem Wissen beistehen. Ich habe das Gefühl, du weißt noch vieles, das uns von unschätzbarem Wert sein könnte.“

Die alte Hausmagd lächelte milde, ihre Augen von einer warmen, fast wehmütigen Weisheit erfüllt. „Gewiss, Hohenmagier“, sagte sie schlicht und neigte leicht den Kopf.



Nanistra erklärte sich lächelnd bereit,
bei der nächsten Besprechung wieder
dabei zu sein.

Impressum Sitemap Links Feedback