zurück StartseiteDer Planet AgibaraniaWesen und OrteTitelseiteInhaltsverzeichnis3n) Die Verantwortung


Die Verantwortung


Sobald Lililja das Anwesen des Hohenmagiers verlassen hatte, berichtete sie Mojalian von dem Gespräch.
Kaum hatte Lililja das Anwesen Meister Lehakonos′ verlassen, suchte sie gedanklichen Trost bei Mojalian. Sie schilderte ihm ausführlich die Unterredung mit Nanistra und den gemeinsamen Besuch beim Hohenmagier. Ebenso berichtete sie von der Tatsache, dass beide nun um ihre Verbindung zu ihm wussten, jedoch auf ihre Bitte hin geschworen hatten, dieses Wissen − insbesondere im Hinblick auf Rafyndor − für sich zu behalten.

Eine kluge Entscheidung, erwiderte Mojalian mit sanfter Stimme, die selbst in Gedanken Wärme ausstrahlte, und nicht nur im Hinblick auf Rafyndor. Viel entscheidender ist, dass die dunkle Seite keine Kenntnis von unserer Verbindung erlangt. In jedem Kampf ist es weise, einige Trümpfe verborgen zu halten.

Glaubst du, dass es tatsächlich zu einem Kampf kommen wird?, fragte Lililja leise, ihre Stimme von einer unsichtbaren Angst getragen.

Die Signale, die zu uns von eurer Welt dringen, antwortete Mojalian nachdenklich, deuten darauf hin. Wenn solch mächtige Wellen dunkler Magie selbst über die Dimensionen hinweg spürbar sind, bedeutet dies meist, dass ein sehr fähiger und mächtiger dunkler Magier am Werk ist.

Glaubst du, dass ein… wie hießen diese Wesen noch einmal? Ein Unda Palata beteiligt sein könnte? Ihre Frage bebte vor Besorgnis.

Nein, Liebes, beruhigte Mojalian sie mit sanfter Gewissheit, wäre ein Unda Palata involviert, würden die Signale weit stärker sein. Es deutet bisher alles auf einen einzelnen, aber überaus mächtigen dunklen Magier hin − und diesen wirst du mit der Magie, die in dir wohnt, bezwingen können.

„Aber warum kann ich diese Magie nicht nach meinem Willen abrufen?“, rief Lililja verzweifelt aus, bevor sie sich wieder auf die gedankliche Unterhaltung verlegte. Wenn ich sie kontrollieren könnte, würde ich sie sofort einsetzen, um den dunklen Magier daran zu hindern, überhaupt so weit zu kommen!

In ihren Gedanken erschien Mojalians vertrautes Lächeln, warm und liebevoll.

Die Lichtmagie, erklärte er mit einer ruhigen, fast meditativen Stimme, ist wie die Sonne. Du kannst ihr nicht befehlen, zu scheinen, noch kannst du ihr verbieten, sich vor die Wolken zu drängen. Sie ist frei, unabhängig. Sie scheint, wenn es Zeit dafür ist, und sie bleibt verborgen, wenn es nicht an der Zeit ist. So ist auch die Lichtmagie. Ihre Energie kommt von der Sonne, und sie folgt ihrem ureigenen Rhythmus. Du kannst sie nicht zwingen, Lililja, aber wenn sie benötigt wird, wird sie kommen.



Mojalian erklärte Lililja, dass die Lichtmagie in ihr so unkontrollierbar war wie die Sonne.

Lililjas Gedanken wandelten sich in Unsicherheit. Ist es in Ordnung, dass ich mich vor meiner Verantwortung fürchte?, fragte sie zaghaft.

Aber natürlich, versicherte Mojalian, sein Lächeln unverändert zärtlich. Deine Angst macht dich nicht schwach − sie zeigt nur, dass dir die Schwere dieser Aufgabe bewusst ist. Du bist nicht allein, Lililja. Ich werde an deiner Seite sein, soweit es mir möglich ist, und auch Meister Lehakonos, Nanistra und all jene, die dich lieben, werden dich unterstützen. Du wirst sehen, du bist stärker, als du es dir jetzt vorzustellen vermagst.

Lililja seufzte leise, die nächste Frage brannte ihr auf der Seele. Ich weiß nicht, wie ich es Rafyndor und Pranicara beibringen soll, gestand sie schließlich. Seitdem sie von ihrer Rolle als Hüterin des Lichtes erfahren hatte, kreiste dieser Gedanke wie ein unruhiger Vogel in ihrem Kopf.

Mojalian zögerte einen Moment, bevor er antwortete. Ich vermute, Rafyndor hat längst eine Ahnung, sagte er schließlich. Er hat mir oft erzählt, wie sehr er deinen Anblick vor der untergehenden Sonne genießt, als würdest du mit ihr verschmelzen. Es fiel mir schwer, ihm nicht zu sagen, dass das tatsächlich geschieht.

Ich verschmelze mit der Sonne?, fragte Lililja erstaunt, fast fassungslos.

Hast du es heute Nachmittag nicht gespürt?, entgegnete Mojalian sanft.

Lililja zögerte, doch sie erinnerte sich an das sonderbare Gefühl, das sie durchflutet hatte, als sie in die Sonne geblickt hatte. An den Abenden jedoch, wenn Rafyndor sie vor der untergehenden Sonne bewunderte, hatte sie stets mit dem Rücken zum Licht gestanden.

Du warst in diesen Momenten zu sehr in deinen Gedanken gefangen, um es bewusst wahrzunehmen, erklärte Mojalian mit liebevoller Geduld. Das nächste Mal, wenn du im Licht der Sonne stehst, öffne dich ihr. Fühle, was geschieht, wenn sie dich umarmt.



Lililja spürte am Abend, wie sie mit der untergehenden Sonne verschmolz.

Als der Abend herabsank und Lililja wie gewohnt vor der untergehenden Sonne auf Rafyndor wartete, schloss sie diesmal die Augen. Sie wollte nicht von den Eindrücken der Umgebung abgelenkt werden und richtete all ihre Aufmerksamkeit auf die Sonne.

Da geschah es wieder: Die Strahlen des sinkenden Gestirns drangen in sie ein, wie sie es am Nachmittag gespürt hatte. Eine Wärme, die nicht nur ihren Körper, sondern auch ihr Innerstes erfüllte, breitete sich aus. Sie fühlte, wie sie selbst zum Licht wurde, das mit der untergehenden Sonne verschmolz und in einem sanften Glühen erstrahlte. Sie war eins mit der Sonne.

Mojalian, du hattest recht, dachte sie in die Stille ihres Geistes.

Das weiß ich, erwiderte er schlicht, bevor er sich mit liebevoller Gelassenheit verabschiedete: Nun versuche es, Rafyndor zu erklären, Liebes. Berichte mir später, wie er es aufgenommen hat.

Rafyndor, der bereits auf sie zuging, blieb wie so oft kurz stehen, um den Anblick Lililjas vor der untergehenden Sonne auf sich wirken zu lassen. Es war ein Bild von solch überwältigender Schönheit, dass es ihn jedes Mal aufs Neue in seinen Bann zog. Doch heute fiel ihm etwas Ungewöhnliches auf. Lililja stand mit geschlossenen Augen da, die Arme leicht abgespreizt, die Handflächen nach vorn gerichtet. Es war, als würde sie die letzten Strahlen der Sonne empfangen − oder, und das erstaunte ihn zutiefst, als kämen diese Strahlen aus ihr selbst. Verblüfft starrte er sie an, unsicher, ob seine Augen ihm einen Streich spielten.

Als er schließlich bei ihr ankam, erkannte Lililja seine Verwunderung. Sie hatte sich noch immer keine Worte zurechtgelegt, um ihm das Unfassbare zu erklären. Doch da nahm Rafyndor ihr die Entscheidung ab und sprach mit einem breiten Grinsen: „Weißt du, was ich gerade gedacht habe, als ich dich so vor der Sonne stehen sah? Ich hatte tatsächlich das Gefühl, die Strahlen der Sonne kämen aus dir heraus!“

Er wartete darauf, dass sie über seine Bemerkung lächelte, doch sie tat es nicht. Stattdessen begegnete sie ihm mit einem ernsten Blick, der sein eigenes Lächeln langsam verblassen ließ.

„Habe ich etwas Falsches gesagt?“, fragte er verunsichert.

Lililja schüttelte den Kopf, und ein sanftes Lächeln erschien auf ihren Lippen. „Nein, Rafyndor“, sagte sie leise, „du hast das Richtige gesagt. Die Strahlen der Sonne sind tatsächlich aus mir herausgetreten. Heute habe ich erfahren, dass ich die Hüterin des Lichtes bin − seit meiner Geburt. In mir wohnt die Magie der Sonne, und jeden Morgen und Abend verschmelze ich mit ihr.“

Rafyndor starrte sie ungläubig an. Einen Moment lang wollte er lachen, überzeugt davon, dass sie scherzte. Doch Lililjas eindringlicher Blick ließ ihn innehalten. Sie meinte es ernst. Aber das konnte nicht sein! Seine Lililja, eins mit der Sonne? Das war absurd, unmöglich!



Lililja erklärte Rafyndor, dass sie seit ihrer Geburt die Hüterin des Lichtes war und abends mit der Sonne verschmolz.

„Wie hast du das erfahren?“, fragte er schließlich skeptisch, den Kopf leicht schüttelnd, als wollte er ihre Worte aus seinem Geist verbannen.

„Nanistra, die Magd von Meister Lehakonos, hat es mir gesagt“, antwortete Lililja ruhig, obwohl sie sich der Fragwürdigkeit dieser Erklärung bewusst war. Es war nicht die volle Wahrheit, aber nah genug, um keine Lüge zu sein.

„Nanistra?“, wiederholte Rafyndor und verzog das Gesicht. „Diese mürrische Alte? Was könnte sie darüber wissen?“



Lililja erzählte, dass Mojalian vor seiner Abreise Nanistra über Lililjas Schicksal in Kenntnis gesetzt hatte.

„Mojalian hat es ihr anvertraut, bevor er ging“, sagte Lililja nun wahrheitsgetreu.

„Mojalian?“, fragte Rafyndor, sichtbar erschüttert. „Er wusste, dass du die Magie der Sonne in dir trägst?“

Lililja nickte und erklärte mit einem schweren Seufzen: „Er wollte mir die Bürde dieser Verantwortung wohl ersparen, solange es möglich war.“ Ihre Stimme zitterte leicht, als sie fortfuhr: „Die Aufgabe einer Hüterin des Lichtes bringt eine gewaltige Last mit sich, Rafyndor, und ich werde sie bald auf mich nehmen müssen.“

„Welche Last?“, fragte Rafyndor besorgt, sein Blick wurde weich, fast flehend.

„In Vanavistaria zieht eine dunkle Bedrohung herauf“, sprach Lililja mit traurigem Ernst. „Und es wird die Hüterin des Lichtes sein, die vorangehen muss, um dieser Gefahr zu begegnen. Ich werde euch in den Kampf führen.“

Rafyndor war stehen geblieben. Ungläubig musterte er Lililja, als versuchte er, die Worte, die sie gerade gesprochen hatte, auf irgendeine Weise zu begreifen. Sie konnte heute unmöglich bei klarem Verstand sein. Erst offenbarte sie ihm, dass sie die Hüterin des Lichtes sei und zweimal täglich mit der Sonne verschmelze. Nun sprach sie auch noch davon, dass sie die Bewohner Vanavistarias in einen Kampf führen müsse. Einen Kampf − gegen was oder wen?

„Woher willst du von dieser angeblich so ernsten Bedrohung für Vanavistaria wissen?“, fragte er schließlich, ein Anflug von Misstrauen in seiner Stimme.

„Meister Lehakonos hat es in einer seiner Prophezeiungen entdeckt“, antwortete Lililja und spürte dabei das Gewicht ihrer Worte.

Die Erklärung war improvisiert, doch sie wusste, dass sie keine Wahl hatte. Sie durfte auf keinen Fall zugeben, dass sie über die Verbindung zu Valvisia von der Bedrohung erfahren hatte. Sie konnte nur hoffen, dass ihr alter Lehrmeister ihre Worte nicht unabsichtlich widerlegen würde.

Rafyndor runzelte die Stirn, seine Verwirrung wuchs.



Lililja behauptete, Meister Lehakonos hätte von der Bedrohung in einer Prophezeiung gelesen.

„Ich dachte“, begann er stockend, „der Hauchzauberdunst sollte kommen. Und jetzt reden wir plötzlich von einer dunklen Macht, die uns überrennen will? War die Aufgabe, die der Schleiersturm uns gestellt hat, doch nicht die richtige? Oder haben wir sie vielleicht nicht vollständig erfüllt?“

Lililja sah ihn mitfühlend an. Sie konnte den inneren Sturm in seinem Geist förmlich spüren. Zu viele unglaubliche Nachrichten hatten ihn überrumpelt. Sie nahm sanft seine Hände in die ihren und trat näher an ihn heran.




Lililja erklärte, dass zusammen mit dem Hauchzauberdunst ein dunkler Magier erscheinen wird.

„Rafyndor, hör mir zu“, begann sie mit fester, eindringlicher Stimme, während ihr Blick direkt den seinen suchte. „Die Aufgabe des Schleiersturms haben wir richtig interpretiert und vollständig gelöst. Der Hauchzauberdunst wird übermorgen eintreffen, wie es vorhergesagt war. Aber er ist nicht der Einzige, der kommt. Mit ihm wird ein mächtiger dunkler Magier erscheinen, der Vanavistaria bedrohen wird. Ich weiß noch nicht, wie genau er seine Macht entfesseln wird, doch ich weiß, dass es geschehen wird. Nanistra hat mir erklärt, dass in diesem Moment die Sonnenmagie in mir erwachen wird. Sie wird aus mir herausbrechen und alle, die sich in meiner Nähe befinden, beschützen. Ich bin dazu ausersehen, mich zwischen euch und die Dunkelheit zu stellen − ein Schutzschild für euch alle.“

Rafyndor starrte sie an, seine Augen weit vor Entsetzen. Die Vorstellung, dass Lililja sich selbst opfern könnte, um ihn und die anderen zu schützen, war für ihn unerträglich. Nein, niemals würde er das zulassen! Seine Lililja, seine leuchtende Lililja − sie durfte nicht für ihn und die anderen ihr Leben riskieren. Er schüttelte stumm den Kopf, langsam, als würde allein die Bewegung den Gedanken an ihr Opfer von ihm abwehren können.

„Niemals“, flüsterte er mit einem Hauch von Verzweiflung in der Stimme.

„Doch, Rafyndor, es muss so sein“, entgegnete Lililja mit fester Überzeugung, ihre Stimme klar wie das Licht, das sie verkörperte.

Sie spürte jedoch, dass er sich gegen diese Wahrheit sträubte, dass er sich mit jeder Faser seines Wesens dagegen wehrte, sie in Gefahr zu wissen. Sie löste eine ihrer Hände aus seiner und wechselte, ohne die Schwere des Gesprächs erkennen zu lassen, in einen leichteren Ton. „Komm, Rafyndor“, sagte sie mit gespielter Heiterkeit, „sollen wir nicht noch ein Stück gehen? Der Abend ist so schön, und die Wege laden zum Spaziergang ein.“

Sie schlang einen Arm um seine Hüfte und legte seinen um ihre Schultern, zog ihn sanft mit sich. Rafyndor ließ sich widerwillig führen, und mit jedem Schritt schien die Anspannung von ihm abzufallen. Nach einer Weile bemerkte er überrascht die ungewohnt enge Vertrautheit, in der sie über die Pfade des Zentrums der Hellen Magie wandelten. Noch nie zuvor hatten sie sich auf diese Weise gestützt und gehalten. Er sah Lililja verwundert an, bevor er seine Hand fester um ihre Schultern legte und sie behutsam näher an sich zog.

Doch in seinem Inneren formte sich ein stummer Schwur. Nein, seine Lililja würde sich niemals opfern. Wenn es zu einer Gefahr kam, dann würde er alles tun, um sie zu schützen. Dafür würde er sorgen − koste es, was es wolle.



Eng umschlungen liefen Lililja und
Rafyndor über die Wege des Zentrums
der Hellen Magie.

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