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Behutsam führte Lililja den mächtigen Waldgeist durch das dichte Geflecht des Waldes. Rafyndor, dieser sonst so standfeste Hüter des Waldes, war nun ein Bild des Kummers, sein Schluchzen brach unaufhörlich aus ihm hervor. Lililja ließ sich von seiner Verzweiflung nicht beirren, sondern geleitete ihn in ruhigem Schweigen zu seiner Hütte.
Dort angekommen öffnete sie die schwere Holztür, führte ihn sanft hinein und half ihm, sich auf das Bett zu setzen. Ohne ein weiteres Wort ließ sie sich neben ihm nieder, zog ihn an sich und hielt ihn einfach fest. Ihre stille Nähe war Trost genug.
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Lililja hielt Rafyndor einfach nur fest und fand selbst Trost in der hell scheinenden Sonne.
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Die Mittagssonne fiel in vollen, warmen Strahlen durch ein schmales Fenster und erfüllte die Hütte mit goldenem Licht. Lililja betrachtete das Schauspiel für einen Moment, überrascht von der Unerschütterlichkeit dieser leuchtenden Präsenz, selbst angesichts der drohenden Dunkelheit, die sich über Vanavistaria zusammenzog. Die Strahlen der Sonne blieben unbeeindruckt. Sie bahnten sich ihren Weg, ohne zu zögern.
Die Sonne scheint, wenn es Zeit dafür ist, und sie bleibt verborgen, wenn es nicht an der Zeit ist, hatte Mojalian gestern mit milder Geduld zu ihr gesagt, als sie ihn gefragt hatte, warum sie ihre Lichtmagie nicht nach Belieben rufen konnte
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Diese Worte hallten nun in ihrem Geist wider. Und tatsächlich fand sie Trost darin − es war beruhigend zu wissen, dass die Sonne unbeirrbar schien, unberührt von Chaos und Bedrohung. Selbst wenn Vanavistaria in die Schatten stürzte und die Welt im Chaos versank, würde die Sonne weiterhin ihre Bahnen ziehen. Lililja schloss die Augen, ließ das Licht ihre Haut wärmen und sog die unerschöpfliche Kraft der Strahlen in sich auf.
Allmählich ebbte Rafyndors Weinen ab. Schließlich hob er den Kopf, blickte sie mit verweinten Augen an und versuchte, ein Lächeln hervorzubringen. Mit zitternder Stimme brachte er hervor: „Du bist ja noch da!“
„Natürlich“, erwiderte Lililja sanft und schenkte ihm ein warmherziges Lächeln. „Ich war immer für dich da, wenn du mich gebraucht hast, Rafyndor, und soweit es in meiner Macht steht, wird sich daran nichts ändern.“
Ein leises „Danke“ entrang sich seinen Lippen, während er Lililja in einer innigen Umarmung fest an sich drückte. Als er sie schließlich losließ, richtete sie sich auf, betrachtete ihn einen Moment lang eindringlich und fragte mit sanfter Stimme: „Meinst du, ich kann dich jetzt allein lassen?“
Er nickte, auch wenn noch immer Tränen in seinen Augen schimmerten. „Ich muss noch Arbeit im Wald erledigen“, murmelte er mit brüchiger Stimme, seine Schultern immer noch schwer von der Last seiner Gefühle.
Lililja legte ihm die Hand an die Wange, ihre Berührung sanft wie ein Sommerwind. „Pass auf, dass du nicht vom Baum fällst“, sagte sie sanft.
Ein kleines Lächeln huschte über sein Gesicht, trotz der Tränen, die noch immer vereinzelt seine Wangen hinabflossen. Dieses Lächeln, wenn auch zaghaft, gab Lililja die Hoffnung, dass er die Kraft in sich finden würde, die er so dringend brauchte.
Die Begegnung mit Rafyndor hatte tiefe Spuren in Lililjas Seele hinterlassen, tiefer, als sie es sich eingestehen wollte. Der Gedanke, ihre gewohnte Morgenrunde fortzusetzen, erschien ihr schier unerträglich. Stattdessen kehrte sie in ihr stilles Heim zurück, ließ sich am Tisch nieder und spürte, wie die ersten Tränen unaufhaltsam über ihre Wangen rollten.
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Geht es dir gut, Liebes?, Mojalians behutsame Stimme erklang sanft in ihrem Geist, durchdrungen von zarter Sorge.
Lililja nickte nur stumm, unfähig, die Last ihrer Gefühle in Worte zu fassen.
Nach einer Weile flüsterte sie: „Ich habe Rafyndor in all den Jahren nie weinen sehen. Seine Reaktion heute hat mich völlig unvorbereitet getroffen.“
Mojalian zögerte einen Moment, dann sprach er mit sanfter Stimme:
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Lililja war von Rafyndors Reaktion tief erschüttert und konnte ihre eigenen Tränen nicht zurückhalten.
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Für Rafyndor ist heute eine Welt zusammengebrochen. Seitdem er seine Gefühle für dich erkannt hat, hat er insgeheim darauf gehofft, dass sich auch deine Gefühle eines Tages wandeln würden und du ihm mit derselben Liebe begegnen könntest. Doch nun weiß er, dass du die Hüterin des Lichtes bist und nicht allein ihm gehören kannst. Und noch schlimmer: Er musste erkennen, dass du im Falle eines Angriffs in der ersten Reihe stehen wirst und somit ungeschützt den dunklen Flüchen ausgesetzt sein könntest.
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Tarodastrus muss Kinder gehabt haben, ging es Lililja durch den Kopf.
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Lililja dachte kurz nach, dann entfuhr es ihr: „Tarodastrus hatte Kinder, sonst könnte Nanistra nicht seine Nachfahrin sein.“
Natürlich hatte er die, antwortete Mojalian geduldig. Solange keine Gefahr durch eine dunkle Macht besteht, führen Hüter des Lichtes ein ganz gewöhnliches Leben, genau wie du es bisher getan hast, mein Liebling. Nur im Angesicht extremer Bedrohung müssen sie in ihre Rolle treten.
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Nach einem kurzen Innehalten fügte er hinzu: Auch Rafyndor wird irgendwann begreifen, dass sich dein Amt nur in Zeiten der Not offenbart, und er wird neuen Mut schöpfen.
Lililja ließ diese Worte auf sich wirken. Mojalian hatte recht. Bis gestern − war es wirklich erst gestern gewesen, dass sie erfahren hatte, wer sie in Wahrheit war? − hatte sie ein normales, unbeschwertes Leben geführt. Und dann hatte Mojalian ihr offenbart, dass sie die Hüterin des Lichtes sei.
Gedankenverloren stützte sie den Kopf in die Hände und versank in Überlegungen über das, was nun auf sie zukommen würde. Mojalian, der ihren inneren Aufruhr spürte, hielt seine Gedanken sanft mit den ihren verbunden, bereit, Trost zu spenden, sollte sie plötzlich von der Schwere ihrer Verantwortung überwältigt werden.
Nach einer Weile sprach er sie sanft an, seine Worte von zärtlicher Sorge getragen:
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Lililja, mein Liebling, ich möchte dir keine Angst machen, aber es wäre klug, dich innerlich auf eine schwierige Zeit vorzubereiten. Vielleicht meinte Nanistra genau das, als sie von der Bürde des Amtes sprach. Viele Wesen werden von dir erwarten, dass du jeden dunklen Einfluss sofort abwehrst. Wenn der Hauchzauberdunst morgen über Vanavistaria kommt, fürchte ich, dass er nicht der leuchtende, magische Nebel sein wird, den ihr erwartet. Möglicherweise hat der dunkle Magier ihn manipuliert, sodass er euch statt zu stärken die Lebensenergie entzieht. Die ersten Anzeichen dafür hast du bereits an den Lilochoda-Pflanzen gesehen.
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Mojalian versuchte Lililja auf den morgigen Tag vorzubereiten.
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Und du glaubst, dass man mir die Schuld dafür geben wird?, fragte Lililja unsicher.
Es ist möglich, dass einige Wesen so reagieren, antwortete Mojalian behutsam. Andere werden vielleicht erwarten, dass du den Hauchzauberdunst in einen strahlenden Nebel verwandelst und enttäuscht sein, wenn du erklären musst, dass dies außerhalb deiner Macht liegt. Bereite dich auf Anfeindungen vor. Ich weiß, dass du stark bist und dich nicht so leicht erschüttern lässt, aber denke daran, dass ich immer für dich da bin, wenn du Unterstützung brauchst.
Ja, dachte Lililja dankbar, das weiß ich.
Den gesamten Mittag verbrachte sie am Tisch, verloren in ihren Gedanken, bis die Zeit für ihre Nachmittagsrunde heranbrach.
Rafyndor wanderte derweil wie in Trance durch den Wald, die Gedanken so wirr und dicht wie das Blätterdach über ihm. Nachdem Lililja gegangen war, hatte er sich die Tränen aus dem Gesicht gewischt, sein Werkzeug gegriffen und sich in die Stille des Waldes zurückgezogen − in der vagen Hoffnung, Arbeit könnte ihn ablenken. Doch sein Blick glitt ziellos über Wurzeln und Äste, seine Hände fanden keine Aufgabe, seine Gedanken aber umso mehr.
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Rafyndor stolperte wie wild durch den Wald und dachte über Lililja und ihre bevorstehende Aufgabe nach.
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Lililja war die Hüterin des Lichts. Sie gehörte nicht mehr nur ihm, sie gehörte allen Wesen Vanavistarias. Doch er konnte nicht loslassen. Sie war sein Halt gewesen, seine Stütze in jeder dunklen Stunde, seit er aus der Jada-Eiche befreit worden war. Wie sollte er ohne sie weiterleben? Er wollte nicht, dass sich etwas änderte. Er wollte weiter auf ihre Liebe hoffen. Doch hatte er überhaupt ein Recht darauf? Sie musste sich nun opfern − ob sie es wollte oder nicht.
Dieser eine Gedanke bohrte sich tief in sein Bewusstsein, kehrte in rastloser Wiederholung zurück, wurde zum Echo in seinem Innersten. Ob sie es wollte oder nicht… Ob sie es wollte oder nicht… Ob sie es wollte oder nicht…
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Plötzlich blieb er stehen.
Oh, was war er doch für ein selbstsüchtiger Narr!
Lililja wollte dieses Amt nicht. Sie war nie gefragt worden, ob sie es annehmen wollte − es war ihr auferlegt worden, unausweichlich, unabänderlich. Und nun würde sie sich für die Bewohner Vanavistarias aufopfern müssen, würde sich den dunklen Flüchen entgegenstellen, so wie sie einst jede Anfeindung für ihn abgefangen hatte − damals jedoch aus freien Stücken. Jetzt aber wurde ihr diese Pflicht aufgebürdet, ungefragt, unumkehrbar. Und während sie sich diesem Schicksal entgegenstellte, das ihr auferlegt worden war, kreisten seine Gedanken nur um seine eigene Angst, sie zu verlieren. Doch war das tatsächlich unausweichlich? Musste er sie wirklich verlieren?
Nein. Nein, so durfte es nicht enden!
Die Zeichen hatten sich lediglich gewandelt. Nun war es an ihm, für sie da zu sein, so wie sie es immer für ihn gewesen war. Jetzt war die Zeit gekommen, in der nicht mehr sie ihn stützen musste, sondern er sie. Er würde sie auffangen, wenn die Last ihrer Bürde zu schwer wurde. Er würde sie in den Arm nehmen, wenn Angst und Zweifel an ihr nagten. Und er würde an ihrer Seite stehen, wenn der Kampf unvermeidlich wurde.
Oh nein, er würde sie nicht verlassen. Niemals!
Sie blieb seine Lililja.
Mit neuer Entschlossenheit nahm er seine Arbeit wieder auf. Heute Abend würde er Lililja zeigen, dass sie auf ihn zählen konnte − was auch immer geschehen mochte. Von nun an würde er ihr Halt sein. Er würde ihre Stütze werden.
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Rafyndor nahm sich vor, für Lililja zum Beschützer zu werden.
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