zurück StartseiteDer Planet AgibaraniaWesen und OrteTitelseiteInhaltsverzeichnis4d) Der Abend des ersten Tages


Der Abend des ersten Tages


Als Jadoruc am Morgen aus der Haustür getreten war, wusste er schon, dass dies kein guter Tag werden würde.
Als Jadoruc an jenem Abend in sein Heim zurückkehrte, lag ein langer, von Mühen gezeichneter Tag hinter ihm. Der Morgen hatte in gewohnter Weise begonnen, unaufgeregt, fast routiniert. Doch kaum hatte er die Schwelle seines Hauses überschritten und den pechschwarzen Nebel erblickt, wusste er, dass dieser Tag von Unheil überschattet sein würde.

Widerstrebend musste er sich eingestehen, dass die Warnung der Hüterin des Lichts berechtigt gewesen war. Sie hatte die Möglichkeit vorausgesehen, dass der Hauchzauberdunst manipuliert werden könnte, und die Zaubergemeinschaft rechtzeitig in Kenntnis gesetzt.

Dank ihres Weitblicks blieben zumindest die Führer des Landes von einer unangenehmen Überraschung verschont. Es war erstaunlich, wie geschickt sie sich dabei angestellt hatte − besonders, wenn man bedachte, welch junges Alter sie zählte.

Dann war der magische Ruf erklungen, der ihn unmissverständlich in die Kristallhöhle beorderte. Er erinnerte sich noch lebhaft an den Ärger, der in ihm hochgekocht war. Dass sie allen Zauberwesen zumutete, sich durch den dichten, dunklen Nebel zu kämpfen, erschien ihm schlicht unvernünftig.

Was für düstere Gedanken ihn auf diesem beschwerlichen Weg begleitet hatten! Wäre er nicht von solch unerschütterlicher Entschlossenheit, lobte er sich innerlich, hätte er wohl niemals die Kristallhöhle erreicht. Der Marsch war eine Qual gewesen, eine Prüfung, die an seinen Kräften zehrte. Er war mehr als erleichtert, als er schließlich in die Versammlungshalle trat. Die Anwesenden sahen erschöpft aus, abgekämpft von der mühsamen Reise. Kein Wesen war leichtfüßig hierher gelangt, und Jadoruc hatte vollstes Verständnis für jene, die sich dieser Strapaze nicht unterzogen hatten. Ob er selbst sich ihr erneut aussetzen würde, war ihm in diesem Moment noch ungewiss.

Dann aber war sie erschienen − die Elfe. Nein, sie war nicht einfach gekommen, sie war gleichsam durch die Halle geschwebt. Kein anderes Wort schien ihr Erscheinen angemessen zu beschreiben. Mit federleichten Schritten hatte sie das Podium betreten und den Lichtsegen gesprochen. In diesem Augenblick war alle Schwere von ihm abgefallen, ein Gefühl von Klarheit und Reinheit durchströmte ihn, als hätte ein sanfter Windhauch ihn von jeglicher Last befreit. Es überraschte ihn, überwältigte ihn gar − mit so etwas hatte er nicht gerechnet.

Diese plötzliche Leichtigkeit hatte ihn aus seinem Konzept gebracht. Eigentlich hatte er sich vorgenommen, der Hüterin seine Unterstützung anzubieten, doch unter dem sanften Einfluss des Lichtsegens war ihm dieser Gedanke schlicht entfallen.

Stattdessen beobachtete er, wie sie mit bemerkenswerter Souveränität die Versammlung leitete. Sie tat es mit einer Selbstverständlichkeit, als hätte sie nie etwas anderes getan. In Anbetracht ihrer beeindruckenden Brillanz schien es beinahe anmaßend, ihr Hilfe anzubieten − sie schien sie nicht nötig zu haben.

So war es schließlich gekommen, dass er jene Arbeitsgruppe ins Leben gerufen hatte, die sich der Bedrohung durch den dunklen Magier widmen wollte. Ursprünglich hatte er seinen Unterricht für den nächsten Tag vorbereiten wollen, doch das erschien ihm nun zweitrangig. Weit wichtiger war es, die Machenschaften des Feindes zu durchdringen.



Nachdem Lililja den Lichtsegen über die anwesenden Magier gebreitet hatte, hatte sich Jadoruc so wohl gefühlt, dass er spontan vergaß, ihr seine Hilfe bei der Führung des Landes anzubieten.

Als die Versammlung endete und er die Höhle verließ, war der dunkle Nebel für einen Moment gänzlich aus seinem Bewusstsein entschwunden. Doch zu seiner Verwunderung wich er vor seinen Schritten zurück − als fürchtete er sich vor ihm. Diese Begebenheit war es, die seinen letzten Zweifel zerstreute: Die junge Elfe musste tatsächlich die Hüterin des Lichts sein.



Jadoruc hatte es als äußerst unangebracht empfunden, dass die Hüterin des Lichtes sich so gut mit dem Schwurbrecher angefreundet hatte.

Und doch war da etwas, das ihn verstimmte − eine bittere Note inmitten dieser Erkenntnis. Dass sie sich so eng mit jenem Goblin verband, der einst die dunkle Magie genutzt hatte, ließ ihn nicht los. Dieser sprach sie mit Vornamen an, duzte sie gar! Wie konnte sie, als Hüterin des Lichts, eine derart enge Freundschaft mit jemandem pflegen, dessen Hände sich einst mit den Schatten befleckten?

Es war ohnehin empörend, dass dieser Goblin für seine Verfehlungen nicht nur unbehelligt blieb, sondern auch noch belohnt wurde: eine Assistenzstelle bei Meister Vatanos! Niemand schien ihn für seine Anwendung dunkler Magie und das Brechen des Lichtschwurs bestrafen zu wollen!

Doch Jadoruc würde wachsam bleiben. Er würde diesen jungen Goblin genauestens im Auge behalten. Sollte er es wagen, erneut die dunklen Künste zu entfesseln, würde er sich seiner sicher sein können!

Nach seinem Unterricht hatte sich Jadoruc mit seiner Arbeitsgruppe getroffen. Lange hatten sie über die möglichen Absichten des dunklen Magiers debattiert, Theorien erwogen, verworfen, erneut durchdacht. Schließlich kamen sie zu dem Schluss, dass sein Ziel nur eines sein konnte: die Herrschaft über Vanavistaria zu übernehmen. Es gab schlicht keine andere Erklärung.

Mit diesen Gedanken begab sich Jadoruc schließlich zur Ruhe. Der morgige Tag würde ihn erneut auf den beschwerlichen Pfad zur Kristallhöhle führen, wo er der Hüterin des Lichts Bericht erstatten würde. Sie würde ihre Hände über ihn und die anderen legen, ihnen erneut den Lichtsegen spenden, der alles erträglicher machte, der ihn mit jener unvergleichlichen Klarheit erfüllte.

Dafür lohnte sich jeder noch so mühsame Schritt.

Mit diesem letzten Gedanken sank er in den Schlaf.

Auch Meister Lehakonos versank in den Gedanken an die Geschehnisse des Tages. In seinem Studierzimmer sitzend, umgeben von Regalen, die unter der Last unzähliger Bücher, Schriftrollen und Artefakte schier zu bersten drohten, ließ er seinen Blick langsam durch den Raum gleiten.

Da erinnerte er sich an Mojalian − und an dessen Worte. Wie hatte er es noch gleich genannt? Eine „materielle Anhäufung des Wissens“.

Ja, das war es wohl, nickte er in stummer Zustimmung. Doch was nützte ihm all dieses Wissen in einer Zeit wie dieser?



Meister Lehakonos dachte über den Tag nach und ließ seinen Blick durch sein Studierzimmer schweifen.

Seit Lililja die Führung des Landes übernommen hatte, fühlte er sich mehr und mehr wie ein Relikt vergangener Tage − ein einstiger Hohenmagier, nunmehr ein Randfigur. Seine Kenntnisse, seine Erfahrung − einst geachtet und gefordert − erschienen ihm angesichts der bedrohlichen Schatten, die sich über Vanavistaria gelegt hatten, erschreckend belanglos. Er hatte heute keinen nennenswerten Beitrag leisten können.

Lililja hingegen hatte sich als souveräne Anführerin erwiesen. Mit klarem Verstand hatte sie die vorgetragenen Vorschläge abgewogen, mit sicherer Hand die hitzige Auseinandersetzung zwischen jenem vorlauten Magier − Meister Lehakonos hatte in der Unruhe der Versammlung nicht ausmachen können, wer es gewesen war − und Rafyndor entschärft.

Oh, Rafyndor! Der sonst so scheue und zurückhaltende Waldgeist hatte sich an diesem Tage in einer Weise gezeigt, wie es selbst Meister Lehakonos nicht für möglich gehalten hätte. Zweimal hatte er lautstark gegen Angriffe auf Lililja Stellung bezogen − eine Leidenschaft, die der alte Magier eher bei dessen temperamentvoller Cousine Pranicara vermutet hätte.

Düstere Zeiten brachten Wandlungen mit sich, dachte der alte Lehrmeister. Eine blutjunge Elfe stand an der Spitze des Landes, während ein einst hochangesehener Magier wie er an den Rand gedrängt wurde. Ein schüchterner Waldgeist wandelte sich zum entschlossenen Verteidiger, eine einfache Hausmagd offenbarte sich als mächtige Zauberin, und ein notorisch skeptischer Vykati – Jadoruc kam ihm dabei in den Sinn − ließ sich plötzlich zähmen wie ein Hauskätzchen. Seltsame Zeiten waren das.



Meister Lehakonos hatte sich Nanistras Gruppe angeschlossen, weil er nicht so recht wusste, was er tun sollte.

Es war dieser nagende Eindruck der Bedeutungslosigkeit, der ihn schließlich bewog, sich Nanistras Gruppe anzuschließen. Er hätte sich ebenso gut Jadorucs Zirkel anschließen können − doch die einstige Rangordnung hatte sich verschoben.

Einst war er es gewesen, der alle Fäden in der Hand hielt, der als höchste Instanz die Zaubergemeinschaft lenkte. Nun lag diese Verantwortung bei Lililja.

In Jadorucs Kreis wäre er nicht mehr der Hohenmagier gewesen, sondern lediglich ein Magier unter vielen − und dieser Gedanke widerstrebte ihm.

Eigentlich war es ja genau das, was er nun war. Doch es schmerzte ihn, so als sei ihm eine Strafe auferlegt worden, obgleich ihm kein Vergehen anzulasten war. Es war das Schicksal selbst, das ihm die Rolle genommen hatte, und dennoch fühlte es sich an, als müsse er Buße tun.

Meister Lehakonos seufzte. Hatte er sich so sehr an sein Amt gewöhnt, dass er es nun nicht mehr loslassen konnte? Dabei hatte er es einst nur widerstrebend angenommen. Die Wahl zum Hohenmagier war für ihn selbst eine Überraschung gewesen, und er hatte das Amt zwar mit Pflichtbewusstsein, doch nie mit brennendem Ehrgeiz ausgefüllt. Warum also fiel es ihm nun so schwer, es abzutreten?

„Nanistra“, sprach er schließlich in den Raum hinein, doch in diesen sonderbaren Zeiten war er sich nicht einmal sicher, ob der magische Pakt noch bestand − ob sie ihn hören konnte.

Doch sie kam tatsächlich. Ein sanftes Klopfen an der Tür, und sie trat ein − mit einem Tablett, auf dem eine Kanne dampfenden Tees und zwei Tassen ruhten.

„Hohenmagier“, fragte sie mit ruhiger Stimme, „darf ich Euch ein wenig Gesellschaft leisten?“

Meister Lehakonos erhob sich, ging zu dem kleinen Tischchen und deutete auf den Sessel. Doch Nanistra schüttelte schmunzelnd den Kopf.

„Das ist Euer Platz“, sagte sie mit sanfter Bestimmtheit.



Nanistra kam umgehend, nachdem Meister Lehakonos sie gerufen hatte, ins Studierzimmer und brachte Tee mit.

„Bist du dir sicher?“, entfuhr es ihm, beinahe überrascht über seine eigenen Worte.

Sie nickte nur und ließ sich auf einem einfachen Stuhl nieder. Bedächtig schenkte sie den Tee ein, schob ihm eine Tasse hinüber. Er nahm sie, wärmte seine Hände an dem Porzellan, nippte schließlich daran.

„Ihr wisst gerade nicht, wo Euer Platz ist, nicht wahr?“, fragte Nanistra leise.

Meister Lehakonos hielt einen Moment inne, ließ seinen Blick auf die bernsteinfarbene Flüssigkeit in seiner Tasse sinken, bevor er nur vage mit den Schultern zuckte.

„In meiner Familie erzählt man sich, dass es einst Meister Banavastrus ebenso ergangen ist, als Tarodastrus die Führung des Landes übernehmen musste“, sprach sie schließlich.

Meister Lehakonos hob den Blick und musterte sie nachdenklich. In den alten Chroniken wurde Meister Banavastrus stets als der lenkende Hohenmagier dargestellt, der alle Geschicke Vanavistarias bestimmte.

Dann dämmerte ihm die Wahrheit.

„Tarodastrus!“, rief er leise aus, ein wissendes Lächeln umspielte seine Lippen. „Er hat seinen eigenen Anteil aus den Geschichtsbüchern getilgt und alles so dargestellt, als habe Meister Banavastrus all die Arbeit allein verrichtet.“

Nanistra erwiderte sein Lächeln.

„Wenn die Krise vorüber ist“, sagte sie ruhig, „werdet Ihr wieder der Hohenmagier sein − mit all der Verantwortung, die nun auf den Schultern der Hüterin des Lichts lastet. Seht diese Zeit als eine Atempause. Früher oder später wird man Euch wieder brauchen.“



Nanistra gab dem Hohenmagier den Rat, diese
Zeit der Bedrohung als kurze Auszeit anzusehen,
da er später wieder gebraucht würde.

Impressum Sitemap Links Feedback