zurück StartseiteDer Planet AgibaraniaWesen und OrteTitelseiteInhaltsverzeichnis4l) Tag fünf


Tag fünf

Lililja fand in dieser Nacht kaum erholsamen Schlaf. Jedes Mal, wenn sie in einen leichten Schlummer sank, wurde sie von düsteren Visionen heimgesucht: Ein gewaltiges Ungeheuer wütete durch Vanavistaria, sengende Flammen verschlangen das Land, während die Schreie der Verzweifelten in ihrem Geist widerhallten. Immer wieder fuhr sie erschrocken aus dem Schlaf, das Herz heftig klopfend − doch jedes Mal war Mojalian zur Stelle. Seine sanfte Stimme umfing sie wie eine schützende Hülle, versicherte ihr, dass noch nichts geschehen sei und dass sie versuchen solle, Ruhe zu finden.

Am nächsten Morgen rief Lililja Arokando und Rafyndor zur Morgengoldanhöhe, auf der sie gewöhnlich ihr Sonnenaufgangs-Ritual vollzog. Heute jedoch wollte sie mehr als nur eine Routinehandlung vollführen − sie musste so viele Sonnenstrahlen wie möglich in sich aufnehmen, um für die bevorstehende Begegnung mit Nanistra gewappnet zu sein. Das Geheimnis um das Portal durfte nicht länger im Dunkeln bleiben.

Kaum war Rafyndor eingetroffen, breitete sie den Lichtsegen über ihm aus. Arokando hingegen musste sich gedulden − sein dunkler Fluch sollte seine volle Wirkung entfalten, bevor sie ihn mit dem Segen der Sonne umhüllte.

Zwar war Rafyndor mit der Abmachung zwischen Lililja und Arokando vertraut, doch erst jetzt durfte er Zeuge ihres eigentümlichen Wirkens werden. Mit staunendem Blick verfolgte er, wie der sanfte Glanz des Hauchzauberdunstes sich auf der Erde niederließ, nur um im nächsten Moment von der finsteren Kraft von Arokandos Fluch überschattet zu werden.

„Wie bist du nur auf diese geniale Idee gekommen?“, fragte er, Ehrfurcht in seiner Stimme.

Lililja zögerte einen Herzschlag lang, bevor sie mit überzeugender Miene antwortete: „Durch die Lilochoda. Sie verloren ihr Leuchten, als dunkle Magie sie befiel.“



Während Lililja über Rafyndor direkt den Lichtsegen breitete, musste Arokando bis nach dem Ritual warten.

Dann legte sie auch den Lichtsegen über Arokando und schickte beide fort, mit dem Auftrag, die Blauschnäuzchen zur Morgenglanzlichtung zu treiben.

„Sagt der Zaubergemeinschaft, dass ich mich verspäten werde“, wies sie sie an. „Ich muss noch dringend eine wichtige Information einholen.“

Ohne weiter Zeit zu verlieren, machte sich Lililja auf den Weg zum Anwesen des Hohenmagiers. Ihr Herz schlug fest in ihrer Brust, während sie die steinernen Stufen emporschritt. Als sie an die Tür klopfte und Nanistra ihr öffnete, verlor sie keine Zeit mit Förmlichkeiten. Ihre Stimme war ruhig, doch in ihr schwang eine drängende Entschlossenheit mit: „Nanistra, ein Unda Palata ist involviert. Wir müssen das Portal reparieren.“

Nanistras Gesicht erbleichte, als sie die Worte vernahm, und einen Moment lang schien es, als habe der Schrecken ihr die Stimme geraubt. Dann jedoch nickte sie knapp und führte Lililja mit müden Schritten in die Küche. Mit einem tiefen Seufzen ließ sie sich an den Tisch sinken, ihre Miene gezeichnet von Verzweiflung.

„Kind, das ist unmöglich!“, sagte sie schließlich.

„Warum?“, fragte Lililja besorgt und trat näher an sie heran.



Nanistra erklärte, dass Ratribagh den Schattensmaragd so gut versteckt hatte, dass niemand ihn finden konnte.

Nanistra fuhr sich mit der Hand über die Stirn, als wolle sie einen unsichtbaren Druck vertreiben, dann hob sie den Blick und sprach mit ernster Stimme: „Als Ratribagh den Schattensmaragd an sich riss, verbarg er ihn so geschickt und sicherte ihn mit solch finsteren Zaubern, dass jeder, der sich anschickte, ihn zu finden, den Verstand verlor. Einer nach dem anderen fielen sie dem Wahnsinn anheim, bis niemand mehr wagte, die Suche fortzusetzen.“

Lililja sog scharf die Luft ein. „Erzählt mir alles!“, bat sie eindringlich. „Wenn der Unda Palata tatsächlich kommt und kein Hüterwesen uns beistehen kann, sind wir verloren!“

Nanistra ließ den Kopf sinken, als trüge sie eine schwere Last. Einen Moment verharrte sie schweigend, dann atmete sie tief durch und nickte langsam.

„Sehr wohl“, sagte sie schließlich. „Ich werde das gut gehütete Geheimnis um Tarodastrus, Ratribagh und den Schattensmaragd lüften. Komm − wir gehen zum Hohenmagier. Diese Geschichte sollte auch Meister Lehakonos hören.“

Im Studierzimmer des Hohenmagiers nahmen Nanistra und Lililja neben dem alten Lehrmeister Platz. Der Raum war erfüllt von der stillen Erwartung eines Moments, der die Vergangenheit neu zu enthüllen drohte.

„Wie ihr wisst“, begann Nanistra schließlich, „wird das Amt des Hüters der Natur und der Magie seit jeher einem Elfen anvertraut − denn nur das Volk der Elfen vereint in sich die notwendige Magie und jene tiefe Verbundenheit zur Natur, die es zur Wahrung des Gleichgewichts benötigt. So war es seit Anbeginn der Zeiten, vor dem großen Zerwürfnis, währenddessen und auch danach.

Zu jener Zeit, da Tarodastrus als Hüter des Lichtes waltete, war unter den Elfen einzig Ratribagh als möglicher Hüter der Natur und der Magie verblieben. Doch dieser war von rastlosem Ehrgeiz und nagender Eifersucht erfüllt − unfähig zu ertragen, dass die Elfen den Vykati in der Magie unterlegen sein sollten. In seinem Starrsinn glaubte er fest daran, dass ein Verzicht auf ihre Naturmagie den Elfen jene Macht verleihen würde, die er bei den Vykati bewunderte. Meister Banavastrus jedoch erkannten in ihm eine Bedrohung, denn er fürchtete, der Elf könne seine künftige Stellung dazu missbrauchen, den Fluss der Magie nach seinem Willen zu lenken − und damit das Gleichgewicht der Natur zu zerstören.



Nanistra erzählte, dass seit jeher das Amt des Hüters der Natur und der Magie in den Händen der Elfen lag.

So kam es, dass Meister Banavastrus nach einer Alternative suchte – und sie in Tarodastrus fand. Obwohl dieser ein Vykati war, verfügte er über eine erstaunliche Verbundenheit zur Natur, und mehr noch: Er zeigte Mitgefühl für andere magische Völker, statt auf sie herabzublicken, wie es in unserem Volk leider Brauch ist.“

Nanistra hielt inne und schenkte Meister Lehakonos ein entschuldigendes Lächeln. Dann fuhr sie fort: „Meister Banavastrus trat vor den Rat der Zauberweisen − damals ausschließlich Elfen − und schlug vor, den Vykati als Hüter der Natur und der Magie einzusetzen. Nach eingehender Beratung stimmte der Rat zu.

Ratribagh jedoch empfand dies als Verrat und schwor bittere Rache.

Ihr wisst sicher, dass die Prophezeiungen Tarodastrus′, des Sternensehers, nicht allein seinem eigenen Wirken entsprangen? Sie wurden auf Valivisia empfangen und von Resogurion nach Vanavistaria gebracht − Tarodastrus hatte sie lediglich zu Papier gebracht.“

Sie richtete einen prüfenden Blick auf den Hohenmagier, der nachdenklich nickte.

„Ja, Mojalian deutete im vergangenen Jahr so etwas an, als er hier weilte“, murmelte Meister Lehakonos.

„Gut!“, sagte Nanistra und fuhr fort. „Die Zusammenarbeit zwischen dem Hüter des Lichtes und dem Geisterwesen von Valivisia war stets ein wohlgehütetes Geheimnis. Zwar wusste der Rat der Zauberweisen von Resogurions Existenz, doch sein Erscheinen wurde bewusst verschleiert. So konnte das Geisterwesen zwischen den Welten wandeln, ohne dass jemand ihm Beachtung schenkte − ein Zustand, den sowohl Tarodastrus als auch Resogurion für wünschenswert hielten.



Tarodastrus und Resogurion kämpften gemeinsam gegen Vasodust.

Doch als der dunkle Magier Vasodust sich mit Hilfe eines Unda Palata an die Macht hiefen wollte, blieb Tarodastrus keine Wahl: Er musste seine Allianz mit Resogurion offenbaren, um Vanavistaria zu retten.

Ratribagh jedoch, der stets auf eine Gelegenheit zur Vergeltung gelauert hatte, erkannte nun die wahre Rolle Resogurions und begann, nach dem Portal zu forschen, das dem Geisterwesen die Reise zwischen den Welten erlaubte.

Letztlich fand er es. Ganz zu zerstören vermochte er es nicht − doch es gelang ihm, einen essenziellen Stein zu entreißen: den Schattensmaragd, der die Verbindung zwischen Valivisia und Vanavistaria aufrechterhielt. Mit seinem Raub schnitt er die beiden Welten voneinander ab. Tarodastrus konnte fortan keine neuen Prophezeiungen mehr empfangen.

Niemand wusste, wo Ratribagh den Smaragd verborgen hielt. Gerüchte kamen auf, ein kostbarer Edelstein liege in den tiefen Wäldern, die einst den Goblins gehörten. Schatzjäger und Glücksritter durchkämmten das Dickicht − doch diejenigen, die behaupteten, dem Fund nahe zu sein, verfielen einem grausamen Wahnsinn. Sie kehrten gebrochen zurück, ihre Sinne für immer zerrüttet.

Von tiefer Schwermut und einem Gefühl der Entwurzelung gezeichnet, zog sich Tarodastrus aus seinem Amt als Hüter der Natur und der Magie zurück. Der Verlust des Geisterwesens Resogurion, das ihn sein Leben lang begleitet hatte, hatte eine Leere in ihm hinterlassen, die selbst die Magie nicht zu füllen vermochte.



Ratribagh schaffte es nicht, das Portal komplett zu zerstören, doch gelang es ihm, den Schattensmaragd daraus zu entfernen.

Zudem lastete die indirekte Schuld an der Beschädigung des Portals schwer auf ihm. So übergab er seine Stellung erneut einem Elfen und wandte sich einem neuen, düsteren Ziel zu: In den vierzig Jahren, die ihm noch vergönnt waren, tilgte er systematisch seinen eigenen Namen und den Resogurions aus den Geschichtsbüchern, ließ jede Erwähnung des Hüters des Lichtes verschwinden und reduzierte sein Vermächtnis auf die Prophezeiungen allein.



Nanistra erzählte, dass Hohenmagierin Hara nach Tarodastrus’ Tod die Gedenktafel am Eingang der Kristallhöhle anbringen ließ.

Es war schließlich Hohenmagierin Hara, die nach seinem Tod die Tafel an der Kristallhöhle anbringen ließ − ein letzter, stiller Tribut an einen Mann, dessen wahres Wirken fast in Vergessenheit geraten wäre.“

Nanistra schwieg. Ihre Erzählung hatte den Raum erfüllt, als spräche sie nicht nur aus der Erinnerung, sondern als trüge sie selbst die Bürde jener längst vergangenen Zeit.

Meister Lehakonos verharrte in nachdenklichem Schweigen. Die Fülle an neuen Erkenntnissen lastete schwer auf ihm − er musste sie erst in ihrer Gänze erfassen, ehe er eine Antwort finden konnte.

Unterdessen hatte Lililja die Geschichte an Mojalian übermittelt. Seine Antwort erreichte mit eindringlicher Klarheit ihr Bewusstsein: Frag sie nach allem, was über die Suche nach dem Schattensmaragd bekannt ist. Gibt es Gerüchte, die das Versteck selbst betreffen?

Lililja stellte die Frage laut, woraufhin Nanistra nach kurzem Besinnen erwiderte: „Man sagt, der Smaragd ruhe tief im Herzen des ehemaligen Golin-Gebiets. Doch sein Versteck wird durch drei tückische Fallen bewacht − magische Schlingen, die den Verstand trüben und die Sinne in Irrgärten der Dunkelheit führen.“

Kaum hatten diese Worte Lililjas Geist durchquert, erklang Mojalians Stimme in ihr, nun von spürbarer Erregung getragen: Liebes, in unserer Welt existiert eine Prophezeiung, die niemals zu euch gelangte − und sie spricht ebenfalls von drei Prüfungen, die das Denken vernebeln. Ich glaube, sie könnte von entscheidender Bedeutung sein!

Eilig teilte Lililja dies Nanistra und Meister Lehakonos mit.

„Kann Mojalian dir den Wortlaut übermitteln, Kind?“, fragte Nanistra mit ruhiger Stimme, doch ein kaum wahrnehmbares Zittern in ihrem Blick verriet die Unruhe, die in ihr tobte.

Meister Lehakonos reichte Lililja Pergament und Feder, und sie ließ Mojalians Worte durch ihren Geist fließen, während ihre Hand sie hastig zu Papier brachte:

„In einer Ära, wo Schatten die Welt mit Finsternis umfangen und die Schleier des Vergessens sich lichten, wird ein verschollener Schatz wieder ans Licht treten. Er ist bewacht von drei verborgenen Schlingen, die selbst die Weisen in Dunkelheit hüllen, doch in dieser Zeit der Bedrohung werden ein Geist und eine Kreatur Hand in Hand gehen. Ihre vereinten Kräfte, ein Bündnis aus zwei Welten, werden die Rätsel entwirren und die Geheimnisse der listigen Gewebe lüften. So wird das kostbare Vermächtnis des Verlorenen enthüllt, um Licht in den Schatten der Gefahr zu werfen.“



Mojalian diktierte Lililja eine Prophezeiung.

Nanistra überflog die Prophezeiung mit wachsenden Staunen, während auch Meister Lehakonos seine Aufregung kaum verbergen konnte.

„Hier steht es, Lililja!“, rief er aus. „Es ist vorherbestimmt − du wirst den Schattensmaragd mit Mojalians Hilfe zurückbringen! Sieh nur: ‚Doch in dieser Zeit der Bedrohung werden ein Geist und eine Kreatur Hand in Hand gehen. Ihre vereinten Kräfte, ein Bündnis aus zwei Welten, werden die Rätsel entwirren und die Geheimnisse der listigen Gewebe lüften.‘ Eure Verbindung über die Dimensionen hinweg ist der Schlüssel! Gemeinsam werdet ihr das Schicksal wenden!“

Doch noch ehe der Freudentaumel völlig ausbrechen konnte, erklang Mojalians Stimme erneut in Lililjas Geist − diesmal von Unruhe getränkt: Liebes, du musst unverzüglich zur Morgenglanzlichtung aufbrechen! Unsere Schwingungen offenbaren einen gefährlichen Anstieg dunkler Magie. Ich fürchte, Hadadust hat seine Schattenkrieger entsandt.



Mojalian berichtete besorgt von dem
Aufbruch Hadadusts zur Morgenglanzlichtung.

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