zurück StartseiteDer Planet AgibaraniaWesen und OrteTitelseiteInhaltsverzeichnis4m) Der Angriff


Der Angriff

Lililja war in eiliger Hast aufgebrochen. Noch bevor sie das Anwesen verließ, hatte sie Nanistra und Meister Lehakonos gewarnt, dass der dunkle Magier bereits unterwegs sei. Dann hatte sie über die beiden den Lichtsegen gesprochen und war mit aller Kraft losgestürmt − so schnell ihre Füße sie trugen, dem Ziel entgegen: der Morgenglanzlichtung.

Ein beunruhigender Gedanke nagte an ihr. Heute Morgen hatte sie den schützenden Bann noch nicht über den Versammlungsort gelegt. Das bedeutete, dass Hadadust mit hoher Wahrscheinlichkeit jedes Wort der Zusammenkunft vernommen hatte. Und wenn er ihre Pläne kannte, dann wusste er auch, dass ein Angriff jetzt den größtmöglichen Schaden anrichten würde. Die Lichtung war voller Zauberwesen − doch die Hüterin des Lichts, die sie hätte beschützen sollen, war abwesend. Ein Angriff in diesem Moment würde nicht nur Tod und Chaos über die Versammelten bringen, sondern auch ihren eigenen Ruf unermesslich beschädigen.

Ein leiser Trost blieb ihr: Wenigstens hatte sie Arokando und Rafyndor mit den Blauschnäuzchen vorausgeschickt. Diese tapferen Wesen wären in der Lage, zumindest einige dunkle Flüche zu blockieren. Hoffentlich hatten sie die Lichtung bereits erreicht.

Warum kann ich mir keine Flügel wachsen lassen?, dachte Lililja verzweifelt. Dann wäre ich längst dort.

Liebes, erklang Mojalians Stimme sanft in ihrem Geist, versuche trotz der Eile Ruhe zu bewahren. Wenn du in Panik auf der Lichtung ankommst, ist niemandem geholfen. Dein Geist muss klar sein, du musst dich auf dein Licht konzentrieren − nur dann wird es sich entfalten können.



Lililja war froh, dass sie heute Morgen Rafyndor und Arokando mit den Blauschnäuzchen zur Morgenglanzlichtung geschickt hatte.

Sie holte tief Luft, zwang sich, die aufsteigende Panik niederzuringen, und rannte weiter. Die Morgenglanzlichtung kam in Sicht. Mit letzter Kraft beschleunigte sie ihr Tempo.

Als sie endlich die Lichtung erreichte, war sie völlig außer Atem. Ohne zu zögern sprach sie den schützenden Bann und rief mit klarer Stimme:



Auf der Morgenglanzlichtung angekommen warnte Lililja alle Anwesenden vor Hadadusts Angriff.

„Hadadust ist mit seinen Schattenkriegern auf dem Weg hierher!“

Ein entsetztes Murmeln ging durch die Reihen der Zauberwesen. Ungläubige Blicke ruhten auf ihr. Woher wusste sie das?

Rafyndor stellte sich dieselbe Frage − doch er zögerte nicht. Wenn Lililja es sagte, dann musste es wahr sein.

„Auf, auf, Zauberwesen!“, rief er entschlossen. „Macht euch bereit! Besetzt die Positionen, die uns die Strategen genannt haben! Worauf wartet ihr noch?“

Seine Worte wirkten. Rasch fanden die Zauberwesen ihre Plätze, die Unruhe wandelte sich in geordnete Eile. Lililja schenkte Rafyndor einen dankbaren Blick. Dann trat sie in die Mitte der Lichtung − genau dorthin, wo sie vor wenigen Tagen den Ort von dunkler Magie gereinigt hatte. Sie schloss die Augen und versuchte, Ruhe in ihrem Geist zu finden, sich ganz auf das Licht in ihrem Inneren zu konzentrieren.

Doch etwas hinderte sie daran. Ein unsichtbarer Widerstand hielt ihre Gedanken gefangen. Es war, als ob eine dunkle Macht sie daran hinderte, ihr Licht zu entfalten.

Okay, Liebes, sprach Mojalian erneut, ruhig und bedächtig. Lass das Licht für einen Moment außer Acht. Konzentriere dich auf diese Blockade. Wo liegt ihr Ursprung? Spürst du sie in dir, oder kommt sie von außen?

Lililja ließ sich von seinen Worten leiten. Sie lenkte ihre Wahrnehmung auf die Blockade − und erkannte plötzlich ihre Quelle. Rechts von ihr, verborgen zwischen den Bäumen des Waldes, lag der Ursprung dieser finsteren Kraft.

Dreh dich zu ihr hin, wies Mojalian sie an. Sieh genau hin. Was erkennst du?

Lililja richtete sich nach der Quelle aus, ihre Sinne geschärft. Dann sah sie es.

„Ein Amulett mit einem dunklen Stein“, flüsterte sie entsetzt und setzte gedanklich hinzu: Es ist die Quelle der Blockade! Was soll ich tun?

Bleib ruhig, Liebes, kam Mojalians sanfte, aber bestimmte Stimme. Lass dich nicht ablenken. Konzentriere dich auf die Schattenkrieger. Wie viele kannst du erkennen?

Lililja atmete tief durch und richtete ihren Blick auf den Waldrand. Schattenhafte Gestalten bewegten sich dort, ihre Formen nur schemenhaft auszumachen − doch ihre Anzahl konnte sie dennoch erahnen.



Lililja nahm ein Amulett wahr, das sie blockierte.

Es sind ungefähr sechzig, übermittelte sie Mojalian.

Und wie viele Blauschnäuzchen sind bei euch?, fragte dieser.

Lililja überlegte kurz. Ich denke, die Herde umfasst etwa fünfundzwanzig Tiere.

Dann müsst ihr maximal zehn Flüche abfangen, entgegnete Mojalian. Das solltet ihr auch ohne dein Licht schaffen. Doch konzentriere dich dennoch darauf − vielleicht gelingt es dir trotzdem, die dunklen Flüche auf dich zu ziehen. Denk daran: Solange du dich auf dein Licht fokussierst, wird dir keine dunkle Magie etwas anhaben können.

Lililja schloss die Augen. Sie atmete tief durch. Diesmal würde sie es schaffen. Sie musste es schaffen!

Plötzlich durchbrach eine dröhnende Stimme die Stille der Morgenglanzlichtung, hallte über die versammelten Zauberwesen hinweg und ließ die Luft vibrieren: „Zauberwesen von Vanavistaria! Ich bin gekommen, um mir die Herrschaft zu nehmen. Ergebt euch − oder ihr werdet fallen!„

Kaum waren die Worte verklungen, erscholl eine ebenso laute, jedoch spöttische Antwort: „Hadadust, erspar uns dein Geschwätz! Ein Herrscher? Du? Lächerlich! Ich lach mich krumm!“



Skukius verhöhnte Hadadust, nachdem dieser eine Drohung gegen die Zaubergemeinschaft ausgesprochen hatte.

Hoch über der Lichtung kreiste Skukius, der Korvum-Rabe. Rafyndor hatte ihn, verborgen im sicheren Korb, mitgebracht.

Als der Vogel die Stimme seines einstigen Peinigers vernahm, durchfuhr ihn ein lähmender Schrecken. Für einen kurzen Moment erstarrte er, doch dann fasste er einen Entschluss. Nie wieder würde Hadadust Macht über ihn haben!

Mit einem kräftigen Flügelschlag erhob er sich aus seinem Versteck und ließ seinen Spott über den dunklen Zauberer regnen.

Hadadusts Miene verfinsterte sich. Dass die Zauberwesen seinen Namen kannten, erzürnte ihn bereits − doch als er die schillernde Federkrone des Vogels erblickte, erkannte er den vermaledeiten Korvum-Raben augenblicklich wieder. Es war jenes Biest, das sein Schattenkrieger-Zepter zerstört hatte. Zorn wallte in ihm auf.

„Schattenkrieger!“, donnerte seine Stimme. „Tötet den Vogel!“

Sogleich schossen einige dunkle Flüche durch die Luft. Sie trafen Skukius − doch anstatt ihn niederzustrecken, zerfetzten sie lediglich sein Gefieder. Unbeeindruckt schüttelte er sich und krächzte amüsiert: „Hadadust, du armseliger Wicht mit deinen nicht minder armseligen Kriegern!“

Ein schrilles, spöttisches Lachen hallte über die Lichtung.

Hadadusts Züge entgleisten, sein Gesicht verzerrte sich vor Wut.

„Schattenkrieger!“, kreischte er. „Tötet den verdammten Vogel!“

Erneut zuckten dunkle Blitze durch die Luft, wieder trafen sie Skukius − doch anstatt sich geschlagen zu geben, lachte er nur und glitt elegant zurück in seinen Korb. Die Flüche hatten ihm zugesetzt, doch schwer verletzt war er nicht.

Pranicara eilte zu ihm, ihren Händen entströmte heilende Magie und verbannte die Spuren der Dunkelheit aus seinem Körper.

Hadadust knirschte mit den Zähnen. Die Schattenkrieger gehorchten nur zögerlich, ihre Flüche kamen nicht in der erwarteten Wucht. Das konnte nicht sein!

Mit bebender Stimme befahl er schließlich: „Schattenkrieger! Tötet sie alle!“

Doch erneut folgte nur ein kümmerliches Aufblitzen vereinzelter Flüche. Hadadusts Zorn wich für einen Moment ungläubigem Erstaunen. Was ging hier vor sich? Das Glanzbrecher-Amulett sollte doch die Hüterin des Lichts schwächen, ihr jede Möglichkeit nehmen, sich gegen ihn zu stellen! Wieso dann dieser Widerstand? Funktionierte das Amulett etwa nicht?

Sein Blick schweifte über die Lichtung − und plötzlich fiel es ihm auf.

Die Tiere!

Überall, rings um die Lichtung, standen jene Wesen, die der Waldgeist und der Goblin dorthin getrieben hatten. Regungslos, mit wachsamen Augen starrten sie in den Wald.

Ein Verdacht keimte in ihm.

„Tötet, Schattenkrieger!“ befahl er ein weiteres Mal − doch dieses Mal beobachtete er genau.

Und dann sah er es.

Jedes Mal, wenn ein Fluch die Luft durchzuckte, leuchteten die blauen Nasen der Tiere für einen winzigen Augenblick in einem warmen Gelborange auf. Der Fluch schien kurz um sie zu kreisen, wurde dreimal von ihrer Aura umspielt − und dann, als würde er abgelenkt, schoss er ins Dickicht des Waldes, anstatt sein eigentliches Ziel zu treffen.

Hadadusts Augen weiteten sich.



Hadadust fiel auf, dass die Nasen der Tiere während des Fluchabfeuerns für einen Moment lang orange aufleuchteten.

Also waren es diese Kreaturen, die seine Schattenkrieger blockierten! Das Amulett funktionierte sehr wohl − doch es war nutzlos gegen diese unerwartete Verteidigung.

Ein tiefes Grollen erhob sich in seiner Kehle, doch es war nicht mehr der selbstsichere Zorn von zuvor − es war Frustration.

Für einen Moment rang er mit sich. Dann fasste er einen Entschluss.

Seine Stimme erhob sich ein letztes Mal über die Lichtung, drohend und von kalter Wut erfüllt: „Dieses Mal habt ihr gesiegt.“

Er ließ die Worte wirken, verharrte für einen Moment in gespielter Gelassenheit. Dann fuhr er fort: „Doch beim nächsten Mal werde ich mit einer ungleich größeren Armee an Schattenkriegern zurückkehren. Dann werden euch diese armseligen Tiere nichts mehr nützen. Und eure Hüterin des Lichts?“ − er lachte höhnisch − „Sie hat kläglich versagt!“

Ein schallendes, boshaftes Lachen hallte über die Lichtung, hallte von den Bäumen wider − und mit einem Ruck verschwand Hadadust in der Dunkelheit.

Kaum war Hadadust mit seinen Schattenkriegern im Dunkel des Waldes verschwunden, wandten sich alle Blicke Lililja zu. Ein drückendes Gefühl der Erniedrigung lastete auf ihr, als sie mit bebender Stimme ausrief: „Er besitzt ein Amulett, das mich blockiert!“

Doch noch bevor sich das unbehagliche Schweigen verdichten konnte, vernahm sie Mojalians ruhige, vertraute Stimme in ihrem Geist: Liebes, wir müssen aufbrechen. Der Schattensmaragd wartet.

Er drängte zur Eile, doch Lililja wusste, dass sie vorher noch etwas tun musste − etwas, das ihr das Herz brechen würde. Sie musste Rafyndor verletzen, ihn zutiefst enttäuschen.

Mojalian, der um die Bedeutung dieses Gesprächs wusste, ließ ihr die Zeit, die sie brauchte.



Lililja fand Pranicara und Demojon bei Skukius.

Lililja fand Pranicara an Skukius′ Seite, während Demojon schweigend neben ihr stand.

„Pranicara, ich brauche dich“, sagte sie mit gedämpfter Stimme. „Du musst Rafyndor auffangen.“

Verwirrt sah Pranicara sie an, doch das Ungesagte in Lililjas Ton ließ keinen Raum für Fragen. Wortlos griff sie nach Demojons Hand und folgte ihr.

Sie fanden Rafyndor inmitten hitziger Diskussionen.

„Lililja trifft keine Schuld“, stellte er vehement fest. „Hat sie nicht selbst gesagt, dass ein Amulett sie blockierte? Wie hätte ihre Magie sich entfalten sollen?“

„Rafyndor“, unterbrach Lililja ihn sanft. „Ich muss mit dir sprechen.“

Sie ergriff seine Hand und zog ihn mit sich. Er drehte sich überrascht zu seiner Cousine um, die lediglich die Schultern zuckte − auch sie wusste nicht, was kommen würde.

Lililja führte die drei hinter einen der mächtigen Wuruhudi-Steine, sodass Rafyndor vor den neugierigen Blicken der anderen geschützt war.

Ein tiefer Seufzer entwich ihr, als sie schließlich begann: „Dass meine Lichtmagie mich nicht durchströmen kann, ist schlimm genug. Doch es gibt etwas, das noch weitaus schwerer wiegt. An diesem Umsturzversuch ist ein Unda Palata beteiligt.“

Ein ersticktes Keuchen entfuhr Demojon. „Was?“

Rafyndor starrte sie entsetzt an. „Nein!“

Nur Pranicara blickte verwirrt von einem zum anderen.

„Was ist ein Unda Palata?“, fragte sie schließlich, das Unverständnis in ihren Augen unübersehbar.

Noch bevor jemand antworten konnte, zog Demojon sie in die Arme. Überrascht bemerkte sie, dass er zitterte.



Als Lililja von einem Unda Palata berichtete, wusste nur Pranicara nicht, was das war.

„Als Mojalian damals nach Vanavistaria kam“, begann Demojon mit belegter Stimme, „hatte ich ihn nach Valivisia gefragt. Ich wollte wissen, ob es dort ebenfalls Artefakte und Amulette gibt. Doch er verneinte. Er sagte, dass die Geisterwesen eine so große, innere Kraft besäßen, dass sie solcher Dinge nicht bedurften. Also fragte ich ihn: ‚Bist du gefährlich?‘“

Er schluckte schwer, dann sprach er weiter: „Mojalian antwortete, dass er für unsere Welt keine Gefahr darstelle − denn wir seien diejenigen, die sie beschützen. Doch für die Unda Palata sei er sehr wohl gefährlich.“

Pranicara runzelte die Stirn. „Und was genau ist ein Unda Palata?“

Rafyndor übernahm die Erklärung. „Es gibt zwei Arten von Welten im Universum“, sagte er mit fester Stimme. „Die Hüterwelten und die Zerstörerwelten. Die Hüterwelten schützen Orte wie den unseren. Die Zerstörerwelten hingegen...“ Sein Blick wurde hart. „Sie verschlingen sie. Und immer, wenn irgendwo ein Unda Palata auftaucht, dann müssen die Geisterwesen eingreifen, um eine Welt zu retten.“

Ein beklemmendes Schweigen breitete sich aus. Schließlich sprach Rafyndor weiter, seine Stimme nur ein Flüstern: „Und dem Portal in Vanavistaria fehlt ein Smaragd… Es lässt Geisterwesen fortziehen − doch es erlaubt ihnen nicht, zurückzukehren.“

Lililja riss die Augen auf. „Woher weißt du das?“



Rafyndor erzählte, dass Mojalian mit ihm und Skukius zum Portal gereist war und dieses beschädigt vorgefunden hatte.

Rafyndor erwiderte ihren Blick. „Mojalian hat mich und Skukius mitgenommen, nachdem Skukius das Portal entdeckt hatte.“

Lililja schüttelte ungläubig den Kopf.

„Er hat es mir gezeigt“, fuhr Rafyndor fort. „Er brauchte mich als Übersetzer. Er hat sich das Portal genau angesehen − und erkannt, dass dieser eine Smaragd fehlt. Er hat uns schwören lassen, niemals darüber zu sprechen, damit die Unda Palata nichts davon erfahren. Sie würden alles tun, um es in ihre Gewalt zu bringen.“

Ein kalter Schauder lief Lililja über den Rücken. Die Wahrheit lastete schwer auf ihr − und sie wusste, dass es nun kein Zurück mehr gab.

„Und nun komme ich zu dem, was ich euch sagen muss.“ Lililja seufzte leise, als trüge sie die Schwere der Worte bereits auf ihren Schultern. „Ich kann den fehlenden Schattensmaragd wiederbeschaffen, sodass Mojalian nach Vanavistaria zurückkehren kann.“

Drei erstaunte Blicke richteten sich auf sie.

„Du weißt, wo der Schattensmaragd ist?“ Rafyndors Stimme klang ungläubig.

Lililja nickte.

„Woher? Und warum hast du das nicht schon längst gesagt?“, fuhr er erregt fort. „Mojalian hätte uns längst wieder besuchen können!“ Ein kaum verhohlener Vorwurf schwang in seinen Worten mit.

„Weil ich es erst heute erfahren habe.“ Lililjas Stimme war sanft, beinahe beschwichtigend.



Lililja erklärte, dass sie den Schattensmaragd zurückholen müsse.

„Heute?“ Rafyndor runzelte die Stirn. „War das die wichtige Information, die du noch einholen musstest?“

Wieder nickte sie.

„Wer hat diese Erkenntnis so lange zurückgehalten?“ Er musterte die Elfe misstrauisch. „Sag mir nicht, die alte Nanistra hatte die ganze Zeit eine Ahnung!“

„Zum Teil.“ Lililja senkte kurz den Blick. „Doch der entscheidende Hinweis kam von Mojalian.“

„Mojalian?“ Rafyndor blinzelte verwirrt. Dann wich die Überraschung aus seinem Gesicht, stattdessen trat eine tiefe Enttäuschung an ihre Stelle.

„Skukius und ich haben mit ihm gesprochen. Er sagte uns, dass das Portal ohne den Smaragd nicht repariert werden kann. Und jetzt behauptest du, er wusste die ganze Zeit, wo der Stein ist?“

„Nein.“ Lililja schüttelte kaum merklich den Kopf. „Auch er hat es erst heute erfahren.“

„Heute?“ Rafyndor starrte sie an, als hätte er den Faden ihrer Erzählung gänzlich verloren. „Wie kann er heute… Wie kannst du heute…“ Er verstummte, suchte nach Worten, rang nach Verständnis. Schließlich fragte er fast tonlos: „Woher weißt du das?“

Einen Moment lang herrschte Stille. Dann antwortete Lililja leise: „Ich stehe seit vielen Monden in Kontakt mit ihm.“

Ein scharfer Atemzug. Rafyndor wich unwillkürlich einen Schritt zurück.

„Was?“ Seine Stimme klang gepresst, als habe er sich verhört. „Du hast... du hast mit ihm gesprochen? All die Zeit? Und du hast es uns verschwiegen?“

Lililja hielt seinem Blick stand, während sie mit ruhiger, fast zerbrechlicher Stimme erwiderte: „Es sind besondere Umstände, die dies möglich machen. Es ist... die Art der Verbindung, die uns eint.“

Ihre letzten Worte waren kaum mehr als ein Wispern.

Rafyndor schwieg.

Während er sie mit dunkler, ungläubiger Miene anstarrte, dämmerte es Pranicara. Ein leiser Hauch von Erkenntnis durchzog ihr Gesicht, bis schließlich Klarheit in ihren Zügen lag. Jetzt verstand sie. Jetzt wusste sie, warum Lililja sie mitgenommen hatte.



Pranicara teilte Rafyndor sanft mit, dass Lililja und Mojalian ein Paar waren.

Lililja hatte gewusst, was Rafyndor für sie empfand. Und deshalb hatte sie geschwiegen.

Gerade, als Lililja erneut ansetzte, um vorsichtig die Wahrheit zu enthüllen, legte Pranicara sanft eine Hand auf ihren Arm. Sie wandte sich Rafyndor zu und sagte mit leiser Bestimmtheit: „Lililja und Mojalian lieben sich. Sie sind ein Paar.“

Ein Schatten huschte über Rafyndors Gesicht. „Nein.“

Er schüttelte langsam den Kopf. „Nein!“

„Doch, Rafyndor“, sagte Lililja sanft. „Und nun muss ich gehen. Ich werde den Schattensmaragd beschaffen, damit Mojalian nach Vanavistaria zurückkehren und uns helfen kann.“

Sie trat einen Schritt näher, legte vorsichtig die Arme um ihn.

„Es tut mir unendlich leid“, flüsterte sie. „Ich hoffe, du kannst mir eines Tages vergeben.“

Tränen lösten sich aus ihren Augen und fielen auf seine Brust.

Doch Rafyndor stand reglos da, ließ die Umarmung geschehen, ohne sie zu erwidern. Immer wieder schüttelte er langsam den Kopf. „Nein…“

Pranicara trat behutsam näher, legte ihre Hände auf Lililjas Schultern und zog sie sanft zurück.

„Ich werde mich um ihn kümmern“, versprach sie leise. „Geh du − und hol Mojalian her.“

Lililja schluchzte auf, versuchte ein dankbares Lächeln. „Danke…“

„Nun geh schon“, drängte Pranicara sanft.

Lililja drehte sich um und schritt davon. Fort von der Morgenglanzlichtung. Fort aus dem Zentrum der Hellen Magie. Hinein in das Schattenreich des Waldes, der sie ins ehemalige Gebiet der Goblins führen würde.

Sie wusste, dass dieser Moment kommen würde. Und sie hatte gewusst, dass er ihr das Herz brechen würde.

Demojon hatte reglos dabeigestanden, gefangen in einem Gefühl der Ratlosigkeit. Er verstand nicht, weshalb diese Offenbarung solch ein Drama hervorrief − warum es von solch tragischer Bedeutung sein sollte, dass Lililja und Mojalian ein Paar waren.

Erst als Rafyndor sich mit Tränen auf den Wangen zu Pranicara wandte und mit tonloser Stimme flüsterte: „Ich hätte es ihr sagen müssen...“, dämmerte Demojon die Wahrheit.

Pranicara legte sanft eine Hand auf Rafyndors Arm, ihr Blick voller Mitgefühl. „Sie weiß es längst“, entgegnete sie leise. „Warum, glaubst du, hat sie dir nie von ihrem Kontakt zu Mojalian erzählt? Sie wollte dich nicht verletzen.“

Und in diesem Moment verstand Demojon.

Rafyndor hatte niemals den Mut gefunden, seine Gefühle auszusprechen. Er hatte gewartet, gehofft, geschwiegen − und nun war es zu spät.

Demojon hingegen hatte das unermessliche Glück, dass Pranicara ihn irgendwann doch erhört hatte. Doch während sein eigenes Herz eine Liebe gewinnen durfte, hatte Rafyndor die seine an einen anderen verloren.



Demojon erkannte, dass Rafyndor seine
große Liebe an einen anderen verloren hatte.

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