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Die List

Als Nanistra und Meister Lehakonos beobachteten, wie Lililja im Schatten des Waldes verschwand, war ihnen augenblicklich bewusst, dass die Zaubergemeinschaft für eine ungewisse Zeit ohne ihre Hüterin auskommen musste. Ohne Zögern übernahm der Hohenmagier erneut die stellvertretende Führung, als sei es die natürlichste Sache der Welt.

Mit einem Anflug von schlechtem Gewissen − angesichts des arg mitgenommenen Gefieders des Korvum-Raben − wies er schließlich Skukius an, das Amulett zu neutralisieren.

„Hadadust darf unter keinen Umständen erfahren, dass die Hüterin des Lichts für einige Tage nicht hier sein wird“, sprach er leise, während Nanistra in der Nähe umherging und unverständliche Worte vor sich hin murmelte.

Skukius nickte verstehend und schwang sich in die Lüfte. Bald darauf erspähte er Rangalo, der sich damit vergnügte, ein Eulenbärchen mit Akharota-Nüssen zu bewerfen.

„Du musst mir helfen“, sagte Skukius eindringlich und legte ihm seinen kühnen Plan dar.

Rangalo lauschte aufmerksam.



Meister Lehakonos bat Skukius, das Amulett unschädlich zu machen, während Nanistra in der Nähe laut vor sich hin brabbelte.

Als Skukius schließlich hinzufügte: „Es ist gefährlich, und ich kann nicht versprechen, dass alle überleben werden. Doch ohne eure Hilfe habe ich überhaupt keine Chance“, schien der kleine Vasta-Sperling einen Moment nachzudenken. Dann nickte er.

Er hatte Skukius sein Leben zu verdanken − und nun war es an ihm, diese Schuld zu begleichen.

Gemeinsam flogen sie zu Rangalos Großfamilie. Als auch diesen der Plan dargelegt worden war, erhob sich schließlich eine imposante Schar von fünfzig Vögeln in die Lüfte, zielstrebig dem Ort entgegenfliegend, an dem sich Hadadust verborgen hielt: der düsteren Höhle, in der er seine finsteren Machenschaften schmiedete.

Wie Skukius bereits befürchtet hatte, standen zahlreiche Schattenkrieger am Eingang der Höhle, wachsam und bereit, jeden Eindringling zu erspähen. Doch er hoffte darauf, dass Hadadust denselben Befehl erteilt hatte wie am Vortag, als er selbst in der Höhle verborgen lauschte: „Wenn jemand kommt, warnt mich.“ Der Korvum-Rabe hatte damals genau beobachtet, wie strikt die Schattenkrieger sich an den Wortlaut hielten. Insofern schien es nicht allzu riskant, sich unbemerkt Zutritt zu verschaffen.



Der Vogelschwarm konnte ungehindert in die Höhle hineinfliegen, da alle Schattenkrieger beim Näherkommen des Schwarms ihren Posten verlassen hatten, um Hadadust zu warnen.

Und tatsächlich erfüllten sich seine Hoffnungen: Sobald der Vogelschwarm auf den Höhleneingang zusteuerte, verließen sämtliche Schattenkrieger ihren Posten, um Hadadust von der drohenden Ankunft der Eindringlinge zu unterrichten.

Mit lautlosem Flügelschlag glitten die Vasta-Sperlinge gemeinsam mit Skukius ins Innere der Höhle. Kaum hinter dem Eingang angelangt, suchte sich jeder einen Platz, um zur Ruhe zu kommen und dem Korvum-Raben das Hinhören zu ermöglichen.

Hadadusts aufbrausende Stimme hallte von den steinernen Wänden wider: „Es hätte genügt, wenn einer von euch mich gewarnt hätte! Die anderen hätten den Höhleneingang verteidigen müssen! Kehrt sofort zurück und haltet die Eindringlinge auf!“

Ein vortrefflicher Befehl!, dachte Skukius spöttisch. Noch immer war keine dunkle Magie im Spiel, und so gab er seinen Gefährten das Zeichen zum Aufbruch.

Wie er erwartet hatte, hoben die Schattenkrieger lediglich die Arme, um die Vögel an ihrem Vorstoß zu hindern. Doch für den Schwarm war es ein Leichtes, zwischen ihnen hindurchzuwirbeln. Als der letzte Vogel dem Aufhalteversuch entwischte, verharrten die Krieger regungslos.

Hadadust sollte seine Anweisungen wohl überlegter formulieren!, dachte Skukius belustigt. Wäre der Befehl schlicht „Haltet die Eindringlinge auf!“ gewesen, hätten die Schattenkrieger zweifellos die Verfolgung aufgenommen. Doch die Ergänzung „Kehrt zurück!“ hatte sie genau dort zum Stehen gebracht, wo sie den Schwarm erblickten − und keinen Schritt weiter.

Ungestört drangen Skukius und die Vasta-Sperlinge tiefer in die Höhle vor.

Hadadust war soeben dabei, die langwierige Beschwörungsformel zur Erschaffung eines weiteren Schattenkriegers zu rezitieren, als er das Rauschen unzähliger Flügel vernahm.

Skukius hatte seine Verbündeten angewiesen, sich in einem unübersichtlichen Durcheinander zu bewegen, um Hadadust und seinen Kämpfern jegliche klare Zielerfassung zu erschweren.

Als Hadadust sich abrupt umwandte, sah er ein schillerndes Gewirr von flatternden Farben auf sich zustürmen. Bevor er reagieren konnte, hatten ihn die Vögel bereits umringt.

Sein erster Reflex war, den Befehl zu geben, die Plagegeister zu töten. Doch noch bevor die Worte über seine Lippen kamen, erkannte er, dass er sich damit selbst ins Zentrum der dunklen Flüche rücken würde.



Der Vogelschwarm umflatterte Hadadust, der nicht wusste, wie ihm geschah.

Stattdessen fuchtelte er wild mit den Händen und seinem Zepter in der Luft, um die Vögel abzuwehren, und brüllte: „Schattenkrieger! Fangt die Eindringlinge!“

Eine weitere klägliche Entscheidung, dachte Skukius amüsiert. Hätte einer der Schattenkrieger tatsächlich einen Vogel gefangen, wäre er womöglich augenblicklich in seine untätige Starre zurückgefallen. Doch die Vasta-Sperlinge waren wendig und schnell, ihre wirbelnden Bewegungen machten es nahezu unmöglich, auch nur einen von ihnen zu ergreifen.

Skukius hatte unterdessen sein Ziel fest im Blick: die Tasche, aus der Hadadust gestern das Amulett gezogen hatte. Der dunkle Magier war so sehr damit beschäftigt, die Vögel von seinem Gesicht fernzuhalten, dass er nicht bemerkte, wie der Korvum-Rabe vorsichtig nach dem Amulett griff und es aus der Tasche zog.

Mit geschicktem Schnabel brachte Skukius es auf einen Mauervorsprung und hackte mit aller Kraft darauf ein − doch nichts geschah.

So einfach lässt du dich also nicht zerstören…, dachte er grimmig.



Skukius erweckte die Magie in sich und hackte auf das Amulett, sodass es zerbarst.

Dann entschied er sich für eine andere Strategie. Seit langer Zeit wagte er es wieder, sich in eine seiner Kronenfedern zu versetzen. Zu seiner Überraschung gelang es ihm mühelos: Er wurde zum Schaft, zur Fahne, zum Widerhaken, er war seine Feder.

Seine Krone begann zu leuchten.

Voller Entschlossenheit hieb er auf das Amulett ein − und mit einem lauten, berstenden Knall zersprang es in tausend Splitter.

Das war das Signal.

Der Schwarm stieß zum Rückzug an, seine Mitglieder schossen wie ein farbenfroher Sturm aus der Höhle heraus.

Skukius ließ sich bewusst als Letzter zurückfallen, wohl wissend, dass die dunklen Flüche ihm nichts anhaben konnten − und so würde er seinen kleinen Verbündeten bestmöglichen Schutz bieten.

Hadadust rang derweil um Fassung. Noch immer verwirrt von dem Chaos, dem durchdringenden Knall und dem plötzlichen Abzug der Vögel, benötigte er einen Moment, um seine Gedanken zu ordnen. Doch als sein Blick sich schärfte, erkannte er im letzten Moment die leuchtende Federkrone, die aus der Dunkelheit auftauchte.

„Du schon wieder!“, kreischte er vor Zorn. „Schattenkrieger! Tötet sie!“

Jetzt wurde es gefährlich.

Skukius wusste, dass sich am Höhlenausgang noch eine weitere Truppe befand − eine, die möglicherweise nicht so leicht zu überlisten war. Doch zu seiner nicht geringen Verwunderung − und stillen Genugtuung − verharrten sie reglos.

Ohne auch nur einen einzigen Verlust hatte der Schwarm seine Mission erfüllt. Stolz und triumphierend kehrten sie zur Morgenglanzlichtung zurück − ihre Herzen erfüllt von Erleichterung und der Gewissheit, dass Hadadusts finstere Pläne empfindlich durchkreuzt worden waren.

„Auftrag ausgeführt. Das Amulett ist zerstört.“ Skukius′ Stimme klang ruhig, doch ein Hauch von Stolz schwang darin mit. „Und wir haben keinerlei Verluste erlitten.“

Meister Lehakonos neigte dankbar den Kopf. Dann stieg er auf das Podium.

„Meine lieben Zauberwesen von Vanavistaria“, begann er.

Es dauerte einige Augenblicke, bis das aufgeregte Gemurmel der Versammelten verebbte und Stille einkehrte. Alle Augen richteten sich gespannt auf den Hohenmagier.



Skukius meldete dem Hohenmagier, dass das Amulett zerstört war.

„Dank unseres tapferen Korvum-Raben Skukius“, fuhr er fort, „und seiner… Armee“ − bei diesen Worten schmunzelte er − „bestehend aus nichts weiter als einer Schar kleiner, aber überaus entschlossener Vasta-Sperlinge, ist das Amulett Hadadusts vernichtet. Darum kann ich nun offen zu euch sprechen.

Ein Raunen ging durch die Menge, doch Meister Lehakonos hob beschwichtigend die Hand.

„Unsere Hüterin des Lichts hat sich auf eine gefährliche Mission begeben. Sie wird uns Hilfe bringen, doch ihr Weg ist voller Gefahren. Einige Tage lang wird sie nicht unter uns weilen, doch ich bitte euch dringend: Lasst es nicht an die Außenwelt dringen. Sprecht so, als wäre sie nach wie vor hier. Erwähnt, dass ihr sie erst kürzlich gesehen habt − vielleicht an der Sonnenwiese, vielleicht im Gespräch mit einem Nymphurus. Weckt keinen Verdacht. Es ist von höchster Wichtigkeit, dass Hadadust nicht erfährt, dass sie sich nicht mehr im Zentrum der hellen Magie aufhält.

Er ließ seinen Blick über die Anwesenden schweifen, prüfte ihre Reaktionen.

„Die Natur ihrer Mission bleibt vorerst geheim. Ihr werdet es erfahren, sobald der richtige Moment gekommen ist. Doch ich ermahne euch: Spekulationen sind gefährlich. Jedes unbedachte Wort könnte Hadadust zu Ohren kommen. Solange die Hüterin fort ist, werde ich inoffiziell die Führung übernehmen. Doch offiziell bleibt sie weiterhin eure Herrscherin. Also verhaltet euch so, als wäre sie unter euch, als würde sie euch tagtäglich begegnen.“

Seine Stimme wurde sanfter, doch der Nachdruck in seinen Worten blieb ungebrochen. „Damit schließe ich die heutige Versammlung. Leider müssen wir auf den Lichtsegen verzichten. Doch wir werden uns morgen wiedersehen. Passt gut auf euch auf.“

Ein Murmeln ging durch die Menge, doch es war nicht das aufgewühlte Raunen der Unruhe, sondern die leise Zustimmung jener, die den Ernst der Lage begriffen hatten. Sie würden es tun. Sie würden die Illusion bewahren.

Hadadust war direkt nach dem Abflug dieser verfluchten Vögel erschöpft in seinen Sessel gesunken. Der Angriff hatte ihn ausgelaugt, und noch immer glaubte er, das Flattern der zahllosen Flügel um sich zu hören. Dieser Korvum-Rabe mit der leuchtenden Federkrone… Schon wieder hatte er sich eingemischt! Ein ungutes Gefühl regte sich in ihm, doch noch konnte er es nicht recht benennen.

Um sich abzulenken, wollte er zumindest einen Blick auf die Morgenglanzlichtung werfen. Vielleicht konnte er so herausfinden, wie sich die Zaubergemeinschaft nach dem Angriff verhielt. Er griff mechanisch in seine Manteltasche, tastete nach dem Amulett − seinem Fenster zur Außenwelt, seinem unsichtbaren Auge.

Seine Finger berührten nichts als leeren Stoff.

Hadadusts Atem stockte. Die Tasche war leer.

Ein jäher Stich der Unruhe durchfuhr ihn. Hastig tastete er den Rest seines Mantels ab, dann den Boden um sich herum. Hatte er es verloren? War es ihm während des Tumults entglitten?

Dann erinnerte er sich.

Dieser Knall!

Ein Frösteln lief ihm über den Rücken, als er den Blick hektisch durch die Höhle schweifen ließ. Schließlich fiel sein Blick auf den Platz unter einem Felsvorsprung, auf dem sich unzählige kleine, gläserne Splitter verstreut hatten.



Hadadust entdeckte das zerstörte Amulett.

Er streckte die Hand aus, griff hinauf und ertastete das zerbrochene Relikt. Er holte es herunter und betrachtete fassungslos die Überreste seines Amuletts.

Zerstört!

Hadadusts Atem ging schneller. Wieder eine Niederlage. Wieder ein Schlag, den er nicht hatte kommen sehen. Und vermutlich steckte erneut dieses Miststück mit den großen, unschuldigen Augen dahinter. Diese verhasste Hüterin des Lichts! Wie sehr hatte er sie unterschätzt!

Eine wilde, rasende Wut übermannte ihn.

Mit einem Tritt fegte er den wackeligen Tisch beiseite. Ein zweiter folgte, dann ein dritter, bis das Möbelstück mit einem krachenden Splittern zusammenbrach. Doch das reichte nicht. Hadadust tobte weiter, ließ seine Raserei an allem aus, was in Reichweite war − er trat gegen seinen Sessel, riss ihn zu Boden und zerschmetterte ihn mit wütenden Schlägen. Dann griff er nach einer Handvoll Amulette, nutzlose Artefakte, die ihm nun nur noch wie höhnische Erinnerungen an sein eigenes Versagen erschienen, und schleuderte sie gegen die steinernen Wände.

Sein Schreien hallte durch die Höhle, ein gellender, unkontrollierter Ausdruck seiner ohnmächtigen Wut.

Doch am Ende blieb ihm nichts als die Stille.

Erschöpft rutschte er an der Wand zu Boden, sein Atem ging keuchend. Der Zorn wich, und an seine Stelle trat eine andere, noch lähmendere Erkenntnis.

Ravgor!

Er würde kommen. Und er würde strafen.

Hadadust schlang die Arme um sich und begann zu zittern. Sein Blick irrte zu den zerbrochenen Amuletten, zu den Splittern, die einst seine Macht bedeuteten.

Er hatte nichts vorzuweisen.

Gar nichts − außer seiner Niederlage.

Ein erbärmliches Schluchzen entrang sich seiner Kehle, und dann noch eines. Unkontrolliert, voller Angst.

Ravgor würde es ihm heimzahlen. Und Hadadust wusste: Diesmal würde es grausam sein.



Außer zerstörten Artefakten und Amuletten
hatte Hadadust rein gar nichts vorzuweisen
und bekam große Angst vor der harten
Bestrafung, die unweigerlich folgen würde.

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