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Währenddessen kreisten Pranicaras Gedanken sorgenvoll um Rafyndor.
Sie wusste, dass ihn die Nachricht von Lililjas Verbindung zu Mojalian tief getroffen hatte. Auch wenn er sich inzwischen scheinbar wieder gefasst hatte, wollte sie ihn nicht sich selbst überlassen. Sie spürte, dass der Schatten seines Kummers noch immer über ihm lag, und beschloss, nach ihm zu sehen.
Es wäre ihr lieber gewesen, diesen Weg an der Seite von Demojon zu gehen.
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Pranicara machte sich Sorgen um Rafyndor.
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Sie genoss seine Nähe − das ungestüme Feuer in ihm, die Unberechenbarkeit, die ihn auszeichnete. Nie konnte man vorhersagen, welcher Einfall ihn als Nächstes überkam, und gerade das machte ihn für sie so faszinierend. Vielleicht war es genau dieser Wesenszug, den sein eigenes Volk an ihm nicht zu schätzen wusste.
Ach, hätte sie ihn doch schon vor dem schwarzen Nebel kennengelernt! Wie gerne hätte sie mit ihm gemeinsame Abendspaziergänge unternommen, so wie Lililja und Rafyndor. Doch das Schicksal hatte es anders gewollt. Nun blieben ihnen nur die seltenen Begegnungen bei den Versammlungen der Zaubergemeinschaft − Momente, die stets von äußeren Pflichten überschattet wurden und in denen es kaum Raum für persönliche Nähe gab.
Ein leiser Seufzer entwich ihren Lippen, während sie mit einem warmen Gedanken an Demojon aufstand und sich darauf vorbereitete, hinaus in den bedrückenden Nebel zu treten. Es fiel ihr nicht leicht, doch die Sorge um Rafyndor ließ ihr keine Wahl.
Sie öffnete gerade die Tür, um sich auf den Weg zu machen, als sie in der Ferne eine vertraute Gestalt erkannte. Demojon! Ihr Herz machte einen freudigen Sprung.
Mit einem breiten, liebevollen Lächeln blieb sie stehen, ihr Blick auf ihn geheftet, während er sich durch die Düsternis kämpfte. Als er schließlich die Türschwelle erreichte, zog sie ihn ohne zu zögern in ihre warme Stube und schloss entschlossen die Tür hinter ihm.
„Demojon!“, rief sie aus, ihre Stimme erfüllt von freudiger Überraschung. „Was machst du denn hier?“
Der lange, beschwerliche Weg hatte ihm sichtlich zugesetzt. Noch außer Atem lächelte er sie an, seine Augen voller Zuneigung.
„Ich hatte Sehnsucht nach dir“, gestand er leise, fast zögerlich.
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Pranicara war überglücklich, dass Demojon sie besuchte.
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Ein Glücksgefühl durchströmte sie, als sie ihm impulsiv um den Hals fiel und ihn küsste. Demojon zog sie eng an sich und erwiderte den Kuss mit Innigkeit, als wolle er den weiten Weg, die Dunkelheit und die Strapazen des Tages in diesem einen Moment vergessen machen.
Als sie sich voneinander lösten, spürte Pranicara, wie ihre Sorgen für einen kostbaren Augenblick in den Hintergrund traten. Doch so sehr sie diesen Moment festhalten wollte – die Gedanken an Rafyndor drängten sich erneut in ihr Bewusstsein.
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Demojon musterte sie, sein Lächeln verschmitzt. „Angesichts dieser Begrüßung habe ich das Gefühl, du hast mich ebenso vermisst wie ich dich.“ Dann runzelte er die Stirn. „Hattest du etwa gehofft, dass ich komme? Du standest ja schon an der Tür, als ich ankam.“
Pranicara lächelte, doch in ihren Augen lag eine Unruhe, die sie nicht verbergen konnte. „Nein“, erwiderte sie leise. „Ich wollte mich gerade auf den Weg machen, um nach Rafyndor zu sehen.“
Ein langgezogenes Seufzen entwich Demojons Lippen. Er ließ sie los, verschränkte die Arme und schüttelte amüsiert den Kopf. „Ich hatte mich auf eine gemütliche Tasse Tee mit meiner Liebsten gefreut − und was ist? Sie denkt an einen anderen.“ Er grinste breit, das Funkeln in seinen Augen nahm ihr jedes schlechte Gewissen.
Pranicara lachte und küsste ihn erneut, voller Zärtlichkeit. „Ich freue mich ungemein, dich zu sehen!“, versicherte sie. Doch so sehr ihr Herz sich an Demojons Gegenwart wärmte, die Sorge um Rafyndor ließ sie nicht los.
Was sollte sie tun? Demojon war den langen, beschwerlichen Weg gekommen, einzig und allein ihretwegen. Doch sie konnte nicht ruhigen Herzens hier bleiben, während Rafyndor vielleicht in Verzweiflung versank.
Sie öffnete den Mund, um etwas zu sagen, doch die Worte blieben ihr im Hals stecken.
Demojon, der ihren inneren Zwiespalt mit kluger Gelassenheit erkannte, zögerte nicht lange. Er legte ihr einen Arm um die Schultern, atmete tief durch und seufzte theatralisch.
„Na gut“, sagte er mit einem nachsichtigen Lächeln. „Dann bekommt meine Tasse Tee eben noch etwas Zeit.“
Sein warmes Lächeln, seine Bereitschaft, sich mit ihr erneut in den schwarzen Nebel hinauszuwagen, erfüllten sie mit einer tiefen Dankbarkeit, die sie nicht in Worte fassen konnte.
Seite an Seite traten sie hinaus in den dichten, schwarzen Nebel, der schwer über dem Boden waberte und wie eine eisige Hand nach ihren Seelen griff. Jeder Schritt wurde zur Anstrengung, jeder Atemzug schwerer, als würde die Dunkelheit selbst an ihren Herzen zerren. Schweigend kämpften sie sich voran, das Sonnenlicht brach nur spärlich durch das dichte Blätterdach, mal als flackernde Lichtflecken, mal völlig verschluckt von den Schatten der Bäume. Worte wären in dieser bedrückenden Stille ohnehin nur verklungen, ohne Trost zu spenden. Doch die bloße Gewissheit, nicht allein zu sein, bot ein schwaches Gegengewicht zu der drückenden Melancholie, die der Nebel ihnen einflüsterte.
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Schließlich erreichten sie Rafyndors Hütte. Zwischen den alten Stämmen zeichnete sich ihr dunkles Holz klar ab, die Sonne ließ ihre Balken in warmen, irdenen Tönen leuchten. Skukius' Korb stand leer auf der Bank davor, sein Inhalt verweht wie Erinnerungen an bessere Tage. Demojon trat ans Fenster, spähte hinein und ließ dann enttäuscht die Schultern sinken.
„Hier ist niemand“, stellte er mit gedämpfter Stimme fest.
Pranicara erstarrte. Die Bilder von Rafyndors Flucht vor dem Schleiersturm flammten in ihrem Geist auf, und mit ihnen erwachte die Angst.
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Rafyndors Hütte lag verlassen da, und Pranicara dachte sofort an die frühere Flucht ihres Cousins.
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„Nicht schon wieder“, murmelte sie beklommen und umklammerte ihre eigenen Arme, als wolle sie sich vor einer eisigen Vorahnung schützen.
Demojon runzelte die Stirn, sein Blick eine stumme Frage. Mit zitternder Stimme schilderte sie ihm ihre Befürchtung − dass Rafyndor, überwältigt von seiner inneren Not, sich in eine Verzweiflung stürzen könnte, aus der es kein Zurück gäbe. Die düsteren Visionen, die der Nebel in ihr hervorrief, formten Bilder, die sie kaum zu ertragen vermochte. Sie sah Demojon verzweifelt an, als könne allein sein Blick sie vor dem lähmenden Schrecken bewahren.
Obwohl der Nebel auch an ihm zehrte, rang sich Demojon zu beruhigenden Worten durch. Behutsam legte er ihr einen Arm um die Schultern, seine Stimme sanft und beständig wie das ferne Versprechen eines Sonnenaufgangs.
„Wir dürfen nicht vom Schlimmsten ausgehen. Lass uns erst zurück zu deiner Hütte gehen − dort sind wir sicher vor dem Nebel und können mit klarem Kopf überlegen, was zu tun ist.“
Widerwillig nickte Pranicara. Schritt um Schritt kämpften sie sich durch die lastenden Dunstschwaden zurück, die Schwermut hing wie ein stummer Fluch über ihnen. Jeder Atemzug war schwer, als müssten sie die Luft durch einen Schleier aus Trauer filtern.
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Gemeinsam kehrten sie beide zu Pranicaras Hütte zurück.
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Erst als sie endlich Pranicaras Hütte erreichten und die Tür hinter sich verschlossen, konnten sie spürbar aufatmen. Die bedrückende Schwärze blieb draußen, und langsam lichteten sich die Schatten in ihren Gedanken.
Nach einer Weile, in der sie beide schweigend ihre Kräfte sammelten, sprach Pranicara nachdenklich: „Der Korb war leer − das bedeutet, Rafyndor hat Skukius wahrscheinlich mitgenommen.“
Kurz zögerte sie. Der Zustand des Korvum-Raben ließ sie zweifeln, ob er überhaupt imstande war, erneut zu ihr zu kommen.
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Doch die Sorge um ihren Cousin überwog. Also schloss sie die Augen, sammelte ihre Energie und sagte mit fester Stimme: „Maheravo Skukius!“
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Wenige Augenblicke später brach das Kratzen von Krallen die Stille, und der Korvum-Rabe saß auf dem Fensterbrett.
„Ich mache mir Sorgen um Rafyndor“, erklärte Pranicara, ohne Umschweife zum Wesentlichen kommend. „Weißt du, wo er ist? Will er sich wieder verkriechen − so wie damals?“
Skukius schüttelte den Kopf. „Nein. Er ist auf dem Weg zum Portal. Er will Lililja dort abpassen und ihr sagen, dass er sie liebt, bevor Mojalian ankommt und sie für sich beansprucht.“
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Pranicara wollte von Skukius wissen, wo sich Rafyndor aufhielt.
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Pranicara runzelte die Stirn. „Warum sollte er das tun?“
Skukius zuckte mit den Schultern. „Das weiß ich auch nicht.“
Demojon, der selbst nur zu gut wusste, wie es sich anfühlte, wenn man jahrelang in heimlicher Sehnsucht für jemanden brannte, sagte schließlich: „Vielleicht ist es ihm ein inneres Bedürfnis, es endlich auszusprechen − laut, unumstößlich, bevor Mojalian in ihrer Nähe ist. Es ist einfacher, die Wahrheit zu sagen, wenn der Rivale noch nicht in Hörweite schwebt.“
Skukius neigte den Kopf. „Eigentlich wollte er, dass ich ihn zu Lililja bringe“, gab er zu, „aber… ich kann sie nicht finden. Sie ist aus meinem Fokus verschwunden.“
Ein ungewohnter Ernst lag in seiner Stimme, als er hinzufügte: „Selbst Tote kann ich erspüren. Doch sie… sie ist mir völlig entglitten. Das ist noch nie zuvor passiert.“
Pranicara wandte sich Demojon zu, als erwartete sie, dass er dieses Rätsel entschlüsseln könnte. Doch ihr Geliebter hob nur ratlos die Schultern.
„Dieses Mal kann ich dir nicht helfen“, gestand er. „Das Verhalten von Tieren zu deuten, ist eher deine Stärke, mein Schatz.“
Skukius raschelte ungeduldig mit seinen Flügeln. „Darf ich jetzt zurück zu Rafyndor? Das Laufen fällt ihm leichter, wenn ich ihn magisch unterstütze.“
Pranicara und Demojon warfen ihm fragende Blicke zu.
„Wenn ich auf seiner Schulter sitze“, erklärte Skukius geduldig, „kann ich mit meiner Magie den Nebel von ihm fernhalten.“
Demojon nickte anerkennend. „Beeindruckend.“
Ohne weitere Worte flog Skukius davon, um Rafyndor beizustehen.
Demojon sah ihm nachdenklich hinterher und grinste dann. „Ob ich ihn wohl als meinen persönlichen Schultersitzer engagieren kann? Dann wäre der Weg zu dir abends deutlich angenehmer.“
Pranicara lachte.
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Demojon würde Skukius auch gerne als Schultersitzer für seine Gänge durch den schweren Nebel engagieren.
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