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Tag dreizehn

Am nächsten Morgen begaben sich Lililja und Mojalian zur Morgenglanzlichtung.

Noch in der Dämmerung hatte er sie mit einem sanften Kuss geweckt, auf dass sie den Sonnenaufgang nicht versäumte. Verschlafen hatte sie die Augen geöffnet, ihn mit einem strahlenden Blick angesehen − ein Anblick, der ihm das Herz erfüllte. Während sie sich in aller Ruhe für den Tag fertigmachte, wartete Mojalian geduldig vor ihrem Haus, bis sie schließlich bereit war.

Seite an Seite, eng umschlungen, machten sie sich auf den Weg zur Morgengoldanhöhe, jenem heiligen Ort, an dem sie das Sonnenaufgangsritual zu vollziehen gedachte.



Als Mojalian sah, wie Lililja mit der Sonne verschmolz wurde ihm wieder bewusst, warum er sich in sie verliebt hatte.

Als Mojalian sie schließlich wieder sah − eins mit dem Licht der aufgehenden Sonne, so wie vor mehr als einem Jahr −, durchströmte ihn jenes längst vertraute Gefühl, das ihm einst das Herz geöffnet hatte. Es war dieser Anblick gewesen, der ihn damals gefesselt hatte: ihre leuchtende Gestalt, umhüllt von einer goldenen Aura, die wie aus einer anderen Welt zu stammen schien.

Während seines unfreiwilligen Aufenthalts in Vanavistaria war die Sehnsucht nach diesem Bild sein Trost gewesen, sein nächtlicher Halt in der Einsamkeit. Und so hatte er Morgen für Morgen an diesem Ort gewartet, in der Hoffnung, diesen Moment erneut zu erleben.

Nachdem Lililja nun Arokando gerufen hatte, damit er den lichten Platz für das Ritual verdunkelte, begegnete der junge Goblin Mojalian mit ehrfürchtigem Staunen. Er betrachtete ihn mit großen Augen, unschlüssig, wie er auf dieses geheimnisvolle Wesen reagieren sollte.

Als Mojalian ihn schließlich direkt ansprach und seine gedankliche Stimme plötzlich sanft in Arokandos Bewusstsein erklang − Ich danke dir, Arokando, dass du Lililja stets beigestanden hast − zuckte der kleine Goblin erschrocken zusammen.

Lililja lächelte und erklärte ihm geduldig, dass Mojalian ausschließlich in Gedanken kommunizieren konnte und er ihn bereits am Baum der Magie gehört hatte. Bei dieser Erinnerung hellte sich das Gesicht des jungen Goblins auf, und ein schüchternes Lächeln stahl sich auf seine Lippen.

Anschließend setzten die zwei ihren Weg fort, Seite an Seite, während Mojalian es genoss, Lililja in seinen Flügel gehüllt zu wissen. Es war ein seltener Trost für das Geisterwesen, sie so nah spüren zu können, und noch wertvoller war das Wissen, dass sich in Lililjas Seele ein Netz für ihn gespannt hatte − unzerreißbar, frei von Zweifel, unberührt vom Schatten der Vergangenheit.

Als sie schließlich die Morgenglanzlichtung erreichten, verstummten die Gespräche ringsum, und alle Augen richteten sich voller Staunen auf Mojalian. Unzählige Fragen prasselten auf ihn ein, und wie es seine Art war, beantwortete er jede einzelne mit Geduld und Bedacht.

Da trat Meister Lehakonos zu ihnen, ein Ausdruck aufrichtiger Verwunderung auf seinem Gesicht, als er sah, wie eng Lililja und Mojalian miteinander verbunden waren.

„Wahrlich“, sagte er nachdenklich, „zwischen euch beiden muss eine mächtige magische Verbindung bestehen.“



Meister Lehakonos beobachtete erstaunt, dass Mojalian und Lililja eng umschlungen laufen konnten.

Dann wandte er sich an Lililja und berichtete, dass Skukius das Amulett zerstört hatte. Daher müsse sie nicht erst den Bann über die Lichtung legen.

„Ich musste schließlich dafür sorgen, dass Hadadust nichts von deiner Abwesenheit erfuhr“, fügte er mit einem Lächeln hinzu.

Lililja bedankte sich herzlich, doch Meister Lehakonos′ Gedanken waren bereits weitergewandert. Nach kurzem Zögern wandte er sich direkt an Mojalian.

„Eine Frage beschäftigt mich bereits seit einiger Zeit“, begann er vorsichtig. „Du hast mir einst erklärt, dass jede Welt ihren eigenen Weisenmeister besitzt, der zum Schutz über sie wacht. Doch warum bist ausgerechnet du nun hier − und nicht derjenige, der für Vanavistaria bestimmt ist?“

Mojalian begegnete seinem forschenden Blick mit einem sanften Lächeln.

Zum einen, antwortete er gelassen, weil ich selbst es war, der unbedingt zurückkehren wollte. Er legte einen Kuss auf Lililjas Haar, ehe er fortfuhr: Und zum anderen, weil ich ursprünglich als Weisenmeister für Vanavistaria vorgesehen war. Doch kurz vor dem Abschluss meiner Ausbildung geschah etwas, das mich davon abhielt, dieses Amt anzutreten.

Ein Hauch von Neugier flackerte in den Augen des alten Lehrmeisters auf, doch er erkannte an Mojalians Haltung, dass es sich um eine Vergangenheit handelte, die er nicht zu teilen wünschte. Und so ließ er es dabei bewenden.

Am Rand der Morgenglanzlichtung empfing Demojon Pranicara mit einer innigen Umarmung und einem zärtlichen Kuss, ehe sie Hand in Hand, lachend und voller Vorfreude, auf das Podium zuschritten. Doch als die Waldgeistfrau Lililja erblickte und sah, dass sie von Mojalians Flügel sanft umschlossen wurde, verharrte sie unvermittelt. Ihr Blick haftete an den beiden, ihre Gedanken rangen nach einer Erklärung.

Mit Demojon an ihrer Seite näherte sie sich ihnen schließlich und sprach, noch immer sichtlich perplex: „Wie ist es möglich, dass ihr einander berühren könnt?“

Nach der Begrüßung erklärte Lililja ruhig: „Mojalian vermutet, dass es mit jener Magie zusammenhängt, die auch unsere Kommunikation zwischen den Welten ermöglicht hat.“



Pranicara wollte wissen, warum sich Lililja und Mojalian berühren konnten.

Ein Ausdruck der Erkenntnis huschte über Demojons Gesicht, und mit einem Seufzen murmelte er nachdenklich: „Der arme Rafyndor …“

Seine Worte fanden kein sofortiges Verständnis bei den anderen drei, sodass er sich genötigt sah, seine Gedanken auszuführen: „Die Magie, von der ihr sprecht, trägt den Namen ‚Vorsehung‘. Ich bin ihr einst in alten Schriften begegnet, als ich Nachforschungen über rätselhafte Artefakte anstellte. Manche dieser Artefakte waren durchdrungen von dieser seltenen Kraft. Doch sie ist kaum dokumentiert, kaum jemand scheint sie je bewusst genutzt zu haben − in den magischen Texten finden sich nur spärliche Hinweise darauf.“

Pranicara runzelte die Stirn.

„Und was“, fragte sie irritiert, „hat diese Magie der Vorsehung mit Rafyndor zu tun?“

Demojon warf ihr einen ernsten Blick zu, ehe er ruhig erwiderte: „„Lililja und Mojalian waren von Beginn an füreinander bestimmt. Rafyndor hatte nie eine wahre Chance, Lililjas Herz für sich zu gewinnen.“

Während diese Worte nachklangen, hatte Jadoruc die Lichtung erreicht. Er war spät dran − ein Umstand, der ihn ohnehin schon in schlechte Laune versetzte −, und sein Atem ging schwer von der Eile. Doch als sein Blick über die Versammelten glitt, verharrte er abrupt. Seine Brust zog sich zusammen, als er jenes Geisterwesen erblickte, von dem er geglaubt hatte, es sei vor einem Jahr endgültig aus Vanavistaria verbannt worden.

Doch da stand es, unübersehbar, unberührbar von allem, was ihn beruhigt hatte.

Seine Gedanken rasten. Wie war es möglich, dass dieses Wesen zurückgekehrt war? Hatte es nicht geheißen, dass es keinen Weg für seine Rückkehr gab? War es die Hüterin des Lichts gewesen, die ihm erneut Zutritt verschafft hatte? War das jene geheimnisvolle Mission, von der der Hohenmagier gesprochen hatte?

Mit wachsendem Unmut musterte er die Szene vor sich: die Elfe, eng umschlungen von diesem rätselhaften Geist, an der Seite des Hohenmagiers und jenes Vykati-Jungen, der ohnehin nicht in diese Reihen passte. Etwas daran stieß ihm übel auf. Warum, bei allen Gesetzen der Magie, konnte dieses Wesen Lililja berühren?



Jadoruc ärgerte sich darüber, dass er als Zauberweiser nicht über die Rückholaktion des Geisterwesens informiert worden war.

Hatte sie etwa ihre neue, exklusive Stellung missbraucht, um ihren Liebsten zurückzurufen?

Jadorucs Blick glitt zu Meister Lehakonos, doch entgegen aller Erwartung zeigte der alte Lehrmeister keinerlei Unmut. Im Gegenteil − er schien von alldem nicht überrascht.

Jadorucs Argwohn verdichtete sich.

Wenn der Hohenmagier Bescheid wusste und nichts dagegen unternahm, dann bedeutete das, dass hier mehr im Verborgenen lag, als es den Anschein hatte. Die Rückkehr des Geisterwesens konnte nicht allein auf Lililjas Sehnsucht nach ihrem Geliebten zurückzuführen sein − andernfalls hätte Meister Lehakonos niemals geschwiegen.

Nein, da war etwas, das sie ihm vorenthielten.

Lililja. Mojalian. Der Hohenmagier. Sie wussten mehr, als sie zuzugeben bereit waren.

Jadoruc fühlte, wie ihm die Wut in den Magen schlug. Die Zauberweisen sollten seiner Meinung nach über alle Geschehnisse in Vanavistaria informiert sein − doch hier, vor aller Augen, wurde ihm ein Wissen verwehrt, das ihm zustand!

Seine Miene verdüsterte sich weiter, als sein Blick auf Pranicara fiel, die dem jungen Vykati sanft über den Rücken strich, bevor sie ihm einen Kuss gab, den dieser ohne Zögern erwiderte.

Das war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte.

Es war empörend! Schändlich! Er hatte lange genug zugesehen – nun war es an der Zeit, den Eltern dieses Jungen endlich mitzuteilen, in welcher fragwürdigen Gesellschaft sich ihr Sohn bewegte. Ein Vykati, der sich mit einer Waldgeistfrau einließ? Eine Schande! Noch heute würde er nach der Versammlung mit seinem Vater sprechen.

In diesem Moment erhob Lililja die Stimme und eröffnete das Treffen der Zaubergemeinschaft. Ruhig, doch bestimmt, erklärte sie, dass sie gezwungen gewesen war, sich im Geheimen auf die Reise zu begeben, um das verborgene Portal zu reparieren. Nur auf diese Weise hatte Mojalian nach Vanavistaria zurückkehren können − um sich an ihre Seite zu stellen und die Bedrohung durch den dunklen Magier abzuwehren. Die Zauberwesen konnten sich nun sicher sein, dass sie bestmöglich geschützt waren.



Nachdem Lililja die Versammlung eröffnet hatte, begrüßte Mojalian die versammelte Zaubergemeinschaft.

Als sie endete, trat Mojalian vor und begrüßte die Versammelten mit jener ruhigen Würde, die ihm eigen war.

Es ist mir eine Freude, wieder hier zu sein, sprach seine gedankliche Stimme in den Köpfen der Anwesenden. Ich stehe euch gern als Ratgeber zur Verfügung und beantworte alle Fragen, die ihr habt.

Unverzüglich wurde er von einem Sturm gedanklich formulierter Fragen heimgesucht.

Offene Fragen wurden nicht gestellt, und so beendete Lililja die Versammlung mit einem Lichtsegen, der sich sanft über die Anwesenden legte.

Dann löste sich die Gemeinschaft auf, und jeder kehrte zu seiner Arbeit zurück.

Jadoruc blieb noch einen Moment stehen, den Blick finster auf die sich zerstreuende Menge gerichtet.

Seine Entscheidung war gefallen.

Heute noch würde er handeln.

An diesem Nachmittag erklang ein energisches Klopfen an Pranicaras Tür. Als sie öffnete, fiel ihr Blick auf einen älteren Vykati, dessen leuchtend blaue Augen unverkennbar waren.

Aha, dachte sie bei sich, Demojon hat also die Augen seines Vaters geerbt.

Doch während in Demojons Blick stets ein lebendiges Strahlen lag, war in jenen seines Vaters nichts als kühle Distanz.

Sie ließ sich nichts anmerken, tat so, als ahnte sie nicht, wer da vor ihr stand, und trat höflich beiseite. „Bitte, tretet doch ein.“

Sie bot ihm einen Stuhl an und nahm ihm gegenüber Platz.



Am Nachmittag erhielt Pranicara überraschend Besuch von Demojons Vater.

Mit einem charmanten Lächeln fragte sie: „Wie kann ich Euch behilflich sein?“

Der ältere Vykati erwiderte ihren Blick mit eisiger Miene. „Ich wollte Euch kennenlernen.“

Pranicara neigte leicht den Kopf. „Oh? Und was veranlasst Euch zu diesem Wunsch?“ Noch immer spielte ein Lächeln um ihre Lippen, doch in ihrem Inneren nahm sie die unterschwellige Anspannung deutlich wahr.

Ohne Umschweife antwortete er: „Ihr seid das Wesen, zu dem mein Sohn Demojon eine Verbindung hat.“

Sie tat überrascht, als hätte sie eben erst seine Identität erkannt. „Ah, Ihr seid also Demojons Vater. Verzeiht, Ihr habt Euch nicht vorgestellt.“ Ein feiner Hauch von Tadel schwang in ihrer Stimme mit, dann fuhr sie fort: „Ihr könnt stolz auf ihn sein. Euer Sohn hat bedeutsame Dienste für Vanavistaria geleistet.“

Ihr Lächeln blieb unverändert, doch der Vater war sichtlich verwirrt. „Welche Dienste?“, fragte er mit einem Anflug von Verärgerung. Seine Stirn legte sich in Falten.



Pranicara erzählte Demojons Vater, wie wichtig die Aufgaben waren, die Demojon geleistet hatte.

„Ich spreche von seiner Arbeit an der strategischen Verteilung der Hauchzauberdunst-Reservoire“, erklärte Pranicara, ohne den Blick abzuwenden. „Ohne ihn wären jene Orte, an denen die Wesen Vanavistarias ihre Magie stärken können, niemals so präzise geschaffen worden. Eine essenzielle Errungenschaft im Kampf gegen den dunklen Magier.“

Ein Moment des Schweigens entstand. Der Vater war sichtlich aus dem Konzept gebracht. Er war hierhergekommen, um die Seelenheilerin aufzufordern, sich von seinem Sohn fernzuhalten − und nun musste er erfahren, dass sein Sohn eine Schlüsselrolle in den Verteidigungsmaßnahmen Vanavistarias gespielt hatte? Warum hatte Demojon ihm und seiner Mutter nichts davon erzählt? Es hätte sie doch stolz gemacht…

Pranicara erkannte die Verwirrung in den Augen des älteren Vykati und empfand eine leise Genugtuung. Doch anstatt nachzusetzen, lächelte sie weiterhin freundlich.

„Gibt es noch etwas, womit ich Euch helfen kann?“

Demojons Vater erinnerte sich an sein eigentliches Anliegen. Seine Miene verhärtete sich.

„Ja“, sagte er mit Nachdruck. „Ich möchte, dass Ihr meinen Sohn in Ruhe lasst.“

Pranicara hob eine Braue, ließ jedoch keine Regung außer milder Verwunderung erkennen. „Oh? Und warum, wenn ich fragen darf?“

„Weil ich der Ansicht bin“, erklärte er mit unbeirrbarer Überzeugung, „dass jedes Volk am besten unter sich bleibt. Vykati mit Vykati, Waldgeister mit Waldgeistern.“

Ein sanftes Lächeln umspielte weiterhin ihre Lippen. „Diese Auffassung steht Euch frei“, entgegnete sie gelassen, „doch Euer Sohn sieht das offenbar anders.“

Demojons Vater funkelte sie zornig an. „Was mein Sohn denkt“, fuhr er aufbrausend dazwischen, „ist mir schlichtweg egal! Er hat sich wie ein Vykati zu verhalten!“

Da veränderte sich Pranicara. Ihre Heiterkeit verschwand, ihre Haltung wurde ruhiger, fester. Ihre Stimme, noch immer sanft, gewann an Gewicht.

„Ja“, sagte sie leise, „und genau das ist Euer Problem. Ihr selbst habt es eben ausgesprochen: Was Euer Sohn denkt, ist Euch egal.“

Er stockte. Für einen Moment flackerte etwas in seinen Zügen − ein Zweifel vielleicht, oder eine Spur von Erkenntnis. Doch sogleich verdrängte er es wieder.

„Er ist mein Sohn!“, sagte er scharf. „Ich weiß, was das Beste für ihn ist!“

Pranicara hielt seinem Blick stand.


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Demojons Vater und Pranicara gerieten verbal aneinander.

„Und ich bin diejenige, die ihm das gibt, was er wirklich braucht.“ Ihre Stimme blieb ruhig, doch ihre Worte waren unnachgiebig. „Ihr könnt ihm nicht vorschreiben, wen er lieben soll.“

Ein verächtliches Schnauben kam über seine Lippen. „Mein Sohn weiß doch gar nicht, was Liebe ist!“ Dann musterte er sie abschätzig. „Wenn er an Eurer Seite bleibt, wird die Vykatigemeinschaft ihn ausstoßen. Wollt Ihr das etwa?“

Pranicara ließ ein bitteres Lachen erklingen.

„Die Vykatigemeinschaft soll ihn nicht ausschließen?“, wiederholte sie ungläubig. „Das habt Ihr doch längst getan – lange bevor er mit mir zusammenkam. Demojon ist brillant, intelligent und belesen. Doch all dies scheint in eurer Gemeinschaft bedeutungslos, solange er sich für seine Leidenschaften auch noch begeistert. Er verbirgt seine Emotionen nicht, er begegnet anderen mit Offenheit und Freundlichkeit − Eigenschaften, die in eurem Volk als Schwäche gelten. Seid Ihr euch überhaupt bewusst, welch außergewöhnlichen Sohn Ihr habt?“

Demojons Vater riss wütend die Arme hoch. „Ich erwarte, dass Ihr ihn nicht weiter belästigt!“

Doch Pranicara ließ sich nicht beirren. Ruhig erhob sie sich nun ebenfalls.

„Diese Entscheidung“, sagte sie bestimmt, „sollte einzig und allein Demojon treffen. Er ist alt genug, um selbst zu wissen, was er will.“

Einen Moment lang standen sie sich gegenüber, unausgesprochene Worte zwischen ihnen. Dann wandte sich der Vater abrupt ab. Ohne ein weiteres Wort riss er die Tür auf, trat hinaus und verschwand mit eiligen Schritten.

Pranicara blieb zurück. Sie schloss für einen Moment die Augen und atmete tief durch.

Die Begegnung hatte sie nicht überrascht − doch ihre Wirkung würde womöglich weitreichender sein, als es Demojons Vater geahnt hatte.



Wie jeden Abend stapfte Demojon auch dieses Mal wieder durch den schweren, dicken Nebel zu Pranicaras Hütte

Wie an jedem Abend bahnte sich Demojon auch heute seinen Weg durch den dichten Nebel zur Hütte. Seine Schritte waren schwer, als trüge er die Last eines Tages, der ihm mehr abverlangt hatte, als er zugeben mochte. Doch kaum trat er über die Schwelle, umfing ihn die wohlige Wärme ihres Zuhauses, und Pranicara begrüßte ihn mit einem innigen Kuss, der ihm die Müdigkeit für einen Moment nahm.

Schweigend bereitete sie ihm den dampfenden Kemulitee, doch anders als sonst setzte sie sich nicht an ihren gewohnten Platz ihm gegenüber. Stattdessen blieb sie neben ihm stehen, strich ihm sanft über die Wange und sprach mit leiser, bedächtiger Stimme: „Dein Vater war heute hier.“

Demojon erstarrte. Seine Augen weiteten sich, und ein eisiger Schauer rann ihm den Rücken hinab. Er hatte mit diesem Tag gerechnet, ihn in seinen Gedanken unzählige Male durchgespielt, doch nun, da die Konfrontation unausweichlich geworden war, überkam ihn eine tiefe Beklommenheit.

Pranicara spürte, wie er sich unwillkürlich verkrampfte. Sie kannte ihn längst zu gut, ihren kleinen Schattenschreck. Mit einem liebevollen Lächeln fuhr sie ihm durch das blonde Haar, ehe sie sanft hinzufügte: „Er wollte, dass ich dich in Ruhe lasse − oder, wie er sich ausdrückte, dass ich dich nicht weiter belästige.“

Die Worte hingen schwer in der Luft. Für einen Moment schien die Welt stillzustehen, als lastete der gesamte Wille seines Vaters auf seinen Schultern. Doch dann beugte sich Pranicara hinab, drückte ihm einen zarten Kuss aufs Haar und murmelte mit fester Überzeugung: „Ich habe ihm gesagt, dass wir diese Entscheidung wohl besser dir überlassen sollten.“

Die Anspannung, die ihn bis eben noch gefesselt hatte, löste sich, als hätte sie mit diesen einfachen Worten eine unsichtbare Kette gesprengt. Er atmete tief durch, während Erleichterung ihn wie eine warme Welle durchströmte.

Pranicara richtete sich wieder auf, betrachtete ihn einen Moment mit schalkhaftem Funkeln in den Augen und fragte schließlich mit einem leichten Grinsen: „Nun? Soll ich dich in Ruhe lassen, oder darf ich dich weiter belästigen?“

Demojon hob den Blick zu ihr. Noch immer raste sein Herz, doch nicht mehr aus Angst. Er sah sie an − diese Waldgeistfrau, die ihm längst zur Heimat geworden war. Mit ihr an seiner Seite war die Stimme seines Vaters nicht mehr als ein ferner Schatten. Was dieser über sie dachte, war bedeutungslos geworden.

Ohne ein Wort zog er sie sanft auf seinen Schoß. Seine Unsicherheit wich, seine Entschlossenheit trat an ihre Stelle. Er ließ seine Stirn gegen ihre sinken, ehe er mit einem leisen, aber bestimmten Lächeln flüsterte: „Ich bestehe darauf, dass du mich weiter belästigst.“

Dann küsste er sie − leidenschaftlich, endgültig.

Und in dieser Nacht blieb er bei ihr.



In dieser Nacht blieb Demojon bei Pranicara.

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