zurück StartseiteDer Planet AgibaraniaWesen und OrteTitelseiteInhaltsverzeichnis4u) Tag vierzehn


Tag vierzehn

Mojalian war in dieser Nacht nach Valivisia zurückgekehrt, um sich über das jüngste Wirken der dunklen Magie in Vanavistaria zu informieren. Doch die Kunde, die der Weisenmeister ihm überbrachte, ließ nichts Gutes erahnen − ein neuer Angriff stand unmittelbar bevor.

Ohne zu zögern eilte Mojalian nach Vanavistaria zurück. Die ersten Strahlen der Morgensonne hatten den Horizont noch nicht berührt, als er Lililja sanft aus dem Schlaf riss. Besorgnis lag in seinem Blick, als er sie betrachtete.

Noch halb in der Dämmerung zwischen Traum und Wirklichkeit sah Lililja in das ernste Gesicht des Geisterwesens und fragte sofort: „Was ist geschehen?“

Ein neuer Angriff steht uns bevor, Liebes, sprach Mojalian mit sanfter Dringlichkeit. Wir müssen die Zaubergemeinschaft zur Morgenglanzlichtung rufen.

Lililja richtete sich auf, ihre Augen blitzten wachsam. „Aber wenn du bereits weißt, dass ein Angriff bevorsteht − wäre es da nicht weiser, die Zaubergemeinschaft zu warnen, anstatt sie an einem einzigen Ort zu versammeln? Wir würden sie doch nur unnötig in Gefahr bringen!“



Mojalian hatte erfahren, dass ein neuer Angriff bevorstand und weckte Lililja am frühen Morgen.

Mojalian erwiderte ihren Blick mit ernster Miene. Es ist unumgänglich, Liebes. Hadadust trachtet nach der Macht – und der schnellste Weg, sie an sich zu reißen, ist die Auslöschung der Zaubergemeinschaft. Versetz dich in seine Lage: Was würdest du tun, wenn du auf der Morgenglanzlichtung niemanden vorfändest? Glaub mir, seine Schattenkrieger werden diesmal zahlreicher sein als je zuvor.

Lililja stockte, und ihre Stimme wurde zu einem entsetzten Flüstern. „Dann wird er sie auf sämtliche Wege im Zentrum der Hellen Magie aussenden − sie werden alles niederstrecken, was sich ihnen in den Weg stellt.“ Einen Moment rang sie mit sich, dann nickte sie entschlossen. „Du hast recht. Wir müssen die Zaubergemeinschaft zusammenrufen.“

Nachdenklich ließ sie den Blick durch den schwach beleuchteten Raum wandern. „Aber sollten wir sie dann nicht auch offen über die Gefahr aufklären, in die sie sich begeben?“

Wenn ich es bin, der sie ruft, kann ich ihnen die Lage direkt erklären − und sie davon überzeugen, dass ihre Anwesenheit unabdingbar ist, entgegnete Mojalian.

Lililja schmunzelte. „Oh, Jadoruc wird wenig begeistert sein. Er hat dich gestern schon mit finsteren Blicken gestraft.“ Doch dann seufzte sie. „Aber vermutlich ist es das Beste. Schließlich bin ich durch dieses verfluchte Amulett ohnehin völlig nutzlos.“



Lililja hielt sich selbst für nutzlos, weil die Lichtmagie aufgrund des Amuletts nicht aus ihr herausbrechen wollte.

Mojalian umhüllte sie mit seiner geisterhaften Präsenz, seine Gedanken legten sich sanft um die ihren. Mein Herz, sprach er liebevoll, deine Zeit wird kommen, dessen bin ich gewiss. Er berührte sie mit einem zärtlichen Kuss.

Dann öffnete er seinen Geist und sandte seinen Ruf aus − ein stummer, machtvoller Ruf, der sich in das Bewusstsein jedes Zauberwesens der Gemeinschaft eingrub. Er ließ keinen Zweifel an der Dringlichkeit der Zusammenkunft auf der Morgenglanzlichtung.

Schließlich begaben sie sich gemeinsam dorthin, Lililja eng an seiner Seite.

Während sie über die noch dunklen Pfade des Zentrums der Hellen Magie schritten, gestand Mojalian ihr mit nachdenklichem Gesicht: Ich bin unermesslich glücklich, dass ich dich spüren und küssen kann. Doch jedes Mal, wenn wir uns küssen, verliere ich den Kontakt zu allen anderen Wesen. Die Gespräche enden dann abrupt, bis sich die Verbindung wieder herstellt. Und natürlich folgt jedes Mal die gleiche Frage: Warum wurde der Kontakt unterbrochen?

Lililja blieb stehen und brach in ein perlendes Lachen aus. „Du verlierst den Kontakt zu allen Wesen, wenn du mich küsst?“

Mojalian zuckte mit den Schultern. Es scheint mit der Magie der Vorsehung zusammenzuhängen. Vielleicht sollte ich Demojon danach fragen − er scheint ein außergewöhnlich kluges Zauberwesen zu sein. Wer weiß, vielleicht hat er in seinen Büchern auch darauf eine Antwort gefunden.

Als sie die Morgenglanzlichtung erreichten, hatte sich bereits ein Großteil der Zauberwesen eingefunden. Mojalians wortlose, doch eindringliche Botschaft hatte ihre Wirkung nicht verfehlt − trotz der drohenden Gefahr war die Gemeinschaft dem Ruf gefolgt. Ein Gefühl angespannter Erwartung lag in der Luft, während sich die Wesen in Gruppen versammelten und flüsternd berieten.

Jadoruc stand abseits, seine Miene verfinstert wie ein nahendes Unwetter. Seine Lippen verzogen sich zu einer kaum wahrnehmbaren Grimasse, als sein Blick auf Mojalian fiel. Lililja hatte recht behalten − er nahm es dem Geisterwesen offenbar übel, dass es sich erdreistet hatte, eigenmächtig Kontakt zur Zaubergemeinschaft und vor allem ihm selbst aufzunehmen.

Doch das Maß seiner Empörung war noch nicht voll. Als er Pranicara und Demojon gemeinsam die Lichtung betreten sah, eng umschlungen und tief in vertrauter Zuneigung, stieg heiße Wut in ihm auf.

Sollte dieser missratene Vykati-Junge nun auch noch mit der Waldgeistfrau das Lager teilen? Ein unerhörter Skandal! Jadorucs Miene verhärtete sich. Er verfolgte mit Argwohn, wie Lililja und Mojalian auf die beiden zugingen.

Das passte ja!, dachte er verächtlich. Ein Geisterwesen und dieser unberechenbare Junge! Beide brandgefährlich − der eine wegen seiner undurchschaubaren Fähigkeiten, der andere wegen seines zerstörerischen Wesens. Sie sollten sich nicht zu sicher fühlen. Ich werde ein wachsames Auge auf sie haben. Und wenn es nötig ist, werde ich handeln.



Demojon und Pranicara erreichten gemeinsam die Morgenglanzlichtung.

Lililja und Mojalian begrüßten Pranicara und Demojon herzlich, ehe Mojalian seinen Geist für die drei öffnete. Sanft, doch direkt sprach er das Rätsel um das Küssen an, das ihn beschäftigte: Demojon, hast du in den Schriften, die du studiert hast, Hinweise auf so etwas gefunden?

Demojon runzelte die Stirn und schüttelte bedauernd den Kopf.



Demojon konnte bei Mojalians Problem nicht weiterhelfen, allerdings hatte Pranicara eine Theorie.

„Nicht in dieser Form“, erwiderte er. „Es gibt viele Berichte über magische Verbindungen zwischen Wesen, die von Beginn an füreinander bestimmt sind. Doch kein einziges Wort darüber, dass solche Bande andere Kräfte einschränken könnten.“

Pranicara, die dem Gespräch mit amüsiertem Interesse gefolgt war, begann zu schmunzeln. „Ich vermute“, sagte sie, während ein sanftes Lächeln über ihr Gesicht huschte, „dass das nichts mit der Magie der Vorsehung zu tun hat. Vielmehr scheint es so, als würdest du, mein lieber Mojalian, in dem Moment, da du Lililja küsst, so sehr in ihr versinken, dass du schlicht alles andere ausblendest − weil du es nicht mehr wahrnehmen willst.“

Mojalian ließ die Worte auf sich wirken. Dann nickte er nachdenklich. Ja, das könnte durchaus sein. Ein zärtliches Lächeln legte sich auf seine Züge, als er Lililja ansah.

Demojon kicherte und konnte sich ein breites Grinsen nicht verkneifen. „Wenn sich das herumspricht, wird bald ganz Vanavistaria wissen, wann ihr euch küsst.“

Weiter kam er nicht, denn plötzlich durchschnitt ein lauter Ruf die Stille.

„Sie kommen!“ Skukius′ Stimme hallte über die Lichtung.

Die Zauberwesen erstarrten nur für einen Wimpernschlag, dann begannen sie sich rasch in jene Formationen zu begeben, die sie bereits beim letzten Angriff eingenommen hatten. Ein Knistern lag in der Luft, eine Mischung aus Anspannung und Entschlossenheit.

Mojalian wandte sich an die drei an seiner Seite. Erschreckt nicht, ließ er sie in Gedanken wissen. Ihr werdet mich gleich in meiner wahren Gestalt sehen.

Mit diesen Worten löste er sich von ihnen und schwebte in Richtung des gegenüberliegenden Randes der Lichtung. Doch zu ihrer Überraschung blieb seine Gestalt unverändert.

Lililja runzelte die Stirn. Warum wandelst du dich nicht?

Mojalians Antwort kam ruhig, doch mit fester Gewissheit: Hadadust muss euch erst sehen. Erst wenn er glaubt, euch erreichen zu können, wird er seine Flüche gegen euch richten − andernfalls wird er seine Schattenkrieger doch noch ausschicken und das komplette Zentrum der Hellen Magie verwüsten.



Mojalian verzog sich an das Ende der Morgenglanzlichtung.

Jadoruc beobachtete mit scharfem Blick und gerümpfter Nase, wie sich das Geisterwesen in die hinterste Ecke zurückzog − ein Schatten inmitten der versammelten Zauberwesen. Ein Gefühl von tiefer Verachtung machte sich in ihm breit.

So viel also zur viel gepriesenen Unterstützung, dachte er mit bissiger Schärfe. Dieser Mojalian ist nichts weiter als ein elender Feigling!

Er war nicht der Einzige, der so empfand. Hohnvolle und ungläubige Blicke ruhten auf Mojalian, während ihm ein Strom aus spöttischen und verunsicherten Gedanken entgegenschlug. Doch dieser ließ all das an sich abprallen. Jetzt war nicht der Moment für Ablenkungen. Sein Geist war einzig und allein auf Hadadust gerichtet. Er musste bereit sein, falls der dunkle Magier seine Schattenkrieger aus dem Hinterhalt entfesselte. Tief drang Mojalian in Hadadusts Bewusstsein ein, lauerte in den verborgenen Winkeln seines Geistes − wartend auf das entscheidende Kommando.

Doch Hadadust, von seinem nahenden Triumph überzeugt, ließ seine Stimme dröhnend über die Lichtung hallen: „Zauberwesen von Vanavistaria! Dieses Mal habe ich eine Armee mitgebracht, die eure kümmerlichen Tierwesen mühelos niederstrecken wird! Tausend Schattenkrieger stehen unter meinem Befehl. Eure Hüterin der Macht wird erneut versagen. Erspart euch das sinnlose Ringen − ergebt euch und überlasst mir die Herrschaft!“

Der Moment des Eingreifens war gekommen.



Mojalian begann zu einem gigantischen Wesen heranzuwachsen, das die komplette Lichtung mit seinen Flügeln umfangen konnte.

In einem einzigen, atemberaubenden Augenblick begann Mojalians Gestalt zu wachsen, bis er die Dimensionen eines titanischen Wesens erreichte. Seine gewaltigen Schwingen breiteten sich über die gesamte Lichtung aus, als wollten sie das Firmament selbst umspannen. Doch anders als in ihrer vertrauten Erscheinung, in der kräftige Farben lebendig schimmerten, waren diese Flügel nun durchscheinend, an vielen Stellen durchlöchert wie ein Schleier, den die Zeit zerrissen hatte.

Ein kollektives Keuchen erfüllte die Lichtung. Selbst jene, die gewarnt waren, spürten eine Beklommenheit, die sie nicht erwartet hatten. Diejenigen, die sich zuvor noch über Mojalian mokiert hatten, wichen zurück, ihre Gedanken wechselten von Hohn zu flehenden Entschuldigungen. Jadoruc hingegen fühlte sich in all seinen Befürchtungen bestätigt.

Dann erklang Mojalians Stimme − und sie war nicht mehr sanft. Sie war ein donnerndes Grollen, das durch Mark und Bein fuhr: „Hadadust! Kehre um und beende dein törichtes Treiben. Gegen mich hast du keine Chance.“

Ein harsches, spöttisches Lachen war die Antwort.

„Willst du mich mit diesem armseligen Trick einschüchtern?“, höhnte Hadadust. „Lächerlich! Schattenkrieger − tötet!“

Dunkle Flüche rasten aus allen Richtungen auf die Lichtung zu − ein Sturm des Verderbens. Doch keiner erreichte sein Ziel. Jeder Zauber, jedes tödliche Geschoss, prallte an Mojalians gewaltigen Flügeln ab. Und dort, wo die Flüche auf vermeintliche Löcher trafen, verschwanden sie spurlos im Nichts.

Dann begann es.

Die Zauberwesen im inneren Kreis sahen es zuerst − ein leises Pulsieren, das sich über die gewaltigen Flügel zog, wie eine unsichtbare Welle, die sich sammelte. Plötzlich, mit unbändiger Wucht, schossen die dunklen Flüche zurück − unaufhaltsam, unfehlbar, genau auf jene Schattenkrieger gerichtet, die sie ausgesandt hatten.

Hadadust konnte nur fassungslos zusehen. Seine mühsam erschaffenen Kreaturen, Wesen aus Finsternis und Magie, vergingen im gleichen Augenblick, in dem sie von ihren eigenen Flüchen getroffen wurden. Einer nach dem anderen löste sich auf, zurückkehrend in das Nichts, aus dem sie geboren worden waren.

Und dann war er allein.

Hadadusts Siegesgewissheit zerbrach in einem einzigen schreckensgeweiteten Moment. Ohne einen weiteren Blick zurück wirbelte er herum und floh − hastig, panisch, ein Schatten seiner selbst, der in die Tiefen seiner Höhle zurückstürzte.



Als Hadadus registrierte, dass er allein übrig geblieben war, floh er zurück zu seiner Höhle.

Mojalian ließ seine Gestalt wieder schrumpfen, bis er die vertraute Form annahm.

Eine lautlose Starre hatte die Zauberwesen ergriffen. Keiner wagte sich zu rühren. Jene, die ihm zuvor mit Spott begegnet waren, bebten nun vor der Frage, was das Geisterwesen mit ihnen tun würde.

Doch Mojalian schenkte ihnen keine Beachtung. Ruhig und ohne Eile wandte er sich Lililja zu, breitete seine Schwingen sanft um sie aus und sprach mit einer Stimme, die nun wieder voller Zärtlichkeit war: Verzeih mir, mein Herz, wenn ich dich erschreckt haben sollte.

Lililja sah ihn an, ihr Lächeln war warm und voller Vertrauen. „Mich hast du nicht erschreckt, nur erstaunt. Doch wenn du mich fragst − du solltest dich vielleicht lieber bei den anderen entschuldigen. Sonst fallen sie gleich noch in Ohnmacht.“

Mojalian ließ seinen Blick über die versammelten Zauberwesen schweifen und erkannte, dass Lililja recht hatte. Die Furcht, die in ihren Augen flackerte, war nicht mehr die einer schlichten Überraschung − es war jene Ehrfurcht, die an Misstrauen grenzte.

Sanft öffnete er seinen Geist und ließ seine Gedanken zu ihnen allen sprechen: Verzeiht mir, edle Zauberwesen, dass ich euch nicht vorgewarnt habe. Es lag nicht in meiner Absicht, euch zu erschrecken. Ich sehe die Angst in euren Augen, und ich weiß, dass ihr nun meine wahre Macht erahnt. Doch ich versichere euch: Diese Magie wird niemals gegen euch gerichtet sein. Als Hüterwesen kann ich nicht willkürlich handeln, ich kann nur auf das reagieren, was mir entgegenschlägt. Die Flüche, die mich trafen, kehrten einzig zu ihren Absendern zurück. Wäre kein Angriff erfolgt, hätte ich nichts unternehmen können. Ihr habt also keinen Grund, mich zu fürchten. Ich bin und bleibe Mojalian – derselbe, den ihr im vergangenen Jahr kennengelernt habt.

Doch er spürte, dass seine Worte nicht zu den Herzen der meisten durchdrangen. Der Zweifel war tief in ihnen verwurzelt.



Rafyndor vermutete, dass sich Mojalian im vergangenen Jahr über die Probleme der „kleinen“ Zaubewesen amüsiert hatte.

Plötzlich meldete sich eine Stimme in seinem Geist − scharf, durchsetzt mit Spott: Du musst dich im letzten Jahr köstlich über uns amüsiert haben, kam es von Rafyndor. Mit welch nichtigen Sorgen wir kleinen Wesen uns befassen.

Mojalian empfand keine Kränkung über diesen Tonfall. Im Gegenteil − es war ein Zeichen, dass Rafyndor sich nicht völlig verschlossen hatte. Er erwiderte sanft: Denkst du, eure Probleme werden geringer, nur weil ich größer bin, als ihr mich bislang gesehen habt?

Für uns sind sie gleich geblieben. Für dich sind sie geschrumpft. Rafyndors Stimme klang weiterhin abschätzig.

Nein, Rafyndor. Mojalians Antwort war ruhig, unerschütterlich. Ein jedes Problem ist so groß, wie es für denjenigen erscheint, der es tragen muss. Größe und Macht verändern nichts an der Bedeutung eines Kummers.

Ein bitteres Schnauben. Dann erklärt das wohl, warum du es geschafft hast, Lililja für dich zu gewinnen – und mich zu hintergehen.

Mit diesen Worten brach Rafyndor den geistigen Kontakt ab. Mojalian unternahm keinen Versuch, ihn zurückzuholen. Es war ein erster Schritt gewesen − gewiss kein hoffnungsvoller, doch immerhin ein Anfang. Rafyndor hatte mit ihm gesprochen. Und wenn er es einmal tat, mochte es ein weiteres Mal geschehen. Vielleicht, mit der Zeit, ließ sich der Riss in ihrer Freundschaft doch noch kitten.

Demojon, der das Geschehen nachdenklich beobachtet hatte, trat näher.

„Als du in jener gigantischen Gestalt warst, konntest du mit einer akustischen Stimme sprechen“, bemerkte er. „Hat es also mit deiner Größe zu tun, dass du sonst nur in Gedanken kommunizieren kannst?“

Mojalian nickte und sprach erneut mit seinem Geist: Je größer wir Geisterwesen werden, desto mehr Energie verbrauchen wir. Deshalb verharren wir meist in einer kleineren Gestalt und nutzen unsere Gedanken für die Kommunikation. Unsere akustischen Organe sind in dieser Form zu schwach − nur in unserer wahren Größe sind sie kräftig genug, um Laute von sich zu geben.

In diesem Moment traten Meister Lehakonos und Nanistra auf ihn zu.

„Es war wahrlich beeindruckend!“, rief der alte Lehrmeister voller Begeisterung. „Nanistra hat Lililja und mir die ganze Geschichte über Tarodastrus und Resogurion erzählt. Wenn Resogurion ebenfalls über eine derart gewaltige Magie verfügte, dann ist es kein Wunder, dass Vasodust unterlag.“

Mojalian lächelte sanft.

Alle Geisterwesen von Valivisia verfügen über diese Kraft. Doch sein Blick wurde ernst, als er fortfuhr: Was ihr gerade gesehen habt, war nur ein kleiner Teil meiner Macht. Die wahre Tiefe meiner Kräfte werde ich erst offenbaren, wenn der Unda Palata hier erscheint. Und da Hadadust nun erkannt hat, gegen wen er zu kämpfen hat, fürchte ich, dass er nicht lange zögern wird, ihn herbeizurufen.

Er ließ seinen Blick über die Lichtung schweifen, über die Zauberwesen, die sich noch immer nicht von ihrem Staunen und ihrer Furcht erholt hatten.



Meister Lehakonos und Nanistra kamen auf Mojalian zu.

Wir müssen uns wappnen. Der Kampf ist nicht vorüber – er beginnt erst. Sammelt die Zauberwesen. Sie müssen wissen, was uns bevorsteht.

Lililja betrat das Podium und hob beschwichtigend die Hände. Nach und nach verebbte das Gemurmel der Zauberwesen, bis eine gespannte Stille über der Lichtung lag. Ihr Blick wanderte ernst über die Versammelten, dann begann sie mit fester Stimme zu sprechen: „Der Kampf, den wir eben erlebten, war nur ein Vorspiel − eine erste Prüfung, nicht mehr. Als ich euch gestern sagte, dass Mojalian gekommen ist, um uns beizustehen, bezog sich das nicht allein auf die Auseinandersetzung mit Hadadust. Nein, es gibt eine weit größere Bedrohung.“

Sie ließ eine kurze Pause verstreichen, während ihre Worte nachhallten.

„Die Artefakte und Amulette, die Hadadust verwendet, deuten darauf hin, dass er mit einer Zerstörerwelt in Kontakt steht.“

Ein Raunen ging durch die Reihen. Lililja wartete, bis sich die Unruhe gelegt hatte, dann fuhr sie fort: „So wie es Hüterwelten gibt, von denen Mojalian uns berichtet hat, existieren auch ihre dunklen Gegenspieler − die Zerstörerwelten. Ihr alle habt vorhin Mojalians wahre Gestalt gesehen, seine Größe, seine Macht. Nun stellt euch eine solche Kraft in umgekehrter Form vor − nicht zum Schützen, sondern zum Zerstören. Mit derselben gewaltigen Energie, mit der Mojalian verteidigt, vernichten sie.“

Ein beklemmendes Schweigen breitete sich aus.

„Heute noch“, fuhr sie mit ernster Stimme fort, „wird Hadadust wahrscheinlich einen Unda Palata herbeirufen − ein Wesen der Zerstörung. Der wahre Kampf steht uns erst bevor. Und dieses Mal wird Mojalian nicht allein kämpfen können. Wir alle werden gefordert sein. Mit unserer Magie, mit unserem Zusammenhalt. Nur wenn wir uns vereinen, können wir siegen.“.

Ein schriller Zwischenruf durchbrach die Anspannung: „Warum hat Mojalian dann Hadadust nicht einfach getötet? Dann könnte er den Zerstörer gar nicht erst herbeirufen!“



Rafyndor brachte den Zwischenrufer zur Raison.

Ein verächtliches Schnauben folgte, dann eine scharfzüngige Antwort von Rafyndor: „Hörst du eigentlich jemals zu? Hadadust hat selbst keine Flüche abgefeuert! Mojalian kann nur zurückschlagen, wenn er angegriffen wird − das hat er doch gerade erklärt!“

Mojalian sandte einen Gedanken des Dankes an Rafyndor, doch erhielt keine Antwort. Dennoch spürte er die Unruhe in seinem einstigen Freund, die innere Zerrissenheit. Der Groll war nicht erloschen, aber das Band, das sie einst verbunden hatte, war nicht gänzlich zerschnitten. Tief in den Schatten ihrer Vergangenheit schwelte noch ein Funke, eine Möglichkeit, dass eines Tages Vergebung möglich sein könnte. Ein leises Lächeln huschte über Mojalians Gesicht.

Dann, ganz plötzlich, erstarrte er.

Lililja bemerkte es als Erste. Erschrocken sah sie, wie ein tödliches Erschrecken in seine Augen trat.

Mojalian?, fragte sie alarmiert. Ist der Unda Palata eingetroffen?

Langsam, wie unter großer Anstrengung, nickte er. Als er sprach, bebte seine Stimme. Es ist der Unda Palata, von dem ich dir erzählte, Lililja. Derjenige, der mich einst davon abhielt, Weisenmeister zu werden. Ravgor.

Ein eisiger Schauer durchlief Lililja.

Meister Lehakonos und Nanistra, die noch immer an Mojalians Seite standen, spürten die Veränderung in ihm. Seine Gestalt zitterte, und das war ein Anblick, der sie zutiefst verstörte.

Lililja sprang vom Podium und eilte zu ihm, schlang die Arme um ihn. Ihre Berührung war warm, doch die Kälte der Erinnerung, die Mojalian gefangen hielt, konnte sie nicht vertreiben.

Meister Lehakonos und Nanistra tauschten einen besorgten Blick.

„Mojalian hat schon einmal gegen diesen Unda Palata gekämpft“, erklärte Lililja mit leiser, ernster Stimme. „Er hätte diesen Kampf beinahe nicht überlebt. Das war der Grund, warum er kein Weisenmeister wurde. Und genau dieser Ravgor ist nun hier. Ich weiß nicht, ob Mojalian die Kraft besitzt, ihm erneut entgegenzutreten.“

Nanistra hob den Kopf. Ihre Stimme war ruhig, doch ihre Worte trugen eine unerschütterliche Gewissheit in sich. „Er hat diese Kraft.“

Meister Lehakonos und Lililja sahen sie verwundert an.

Nanistra hielt Mojalians Blick fest. Dann sprach sie mit jener unerschütterlichen Bestimmtheit, die keinen Zweifel zuließ: „Mojalian, es gibt eine Prophezeiung. Sie wurde von Tarodastrus niedergeschrieben und handelt von dir und Lililja. Ihr beide seid ausersehen, Vanavistaria von allem Bösen zu befreien. So, wie ihr einst den Schattensmaragd zurückgeholt habt, so werdet ihr auch den Unda Palata besiegen.“



Nanistra berichtete Mojalian von einer Prophezeiung, die sich auf ihn und Lililja bezog.

Dann, mit feierlicher Stimme, sprach sie die Worte der alten Weissagung:

„Sie verkündete von zwei Wesen,
deren magische Kräfte sich vereinen mussten,
um die Dunkelheit zu bezwingen
und das Land der Magie vor Verderben und Verlust zu beschützen.

Das eine Wesen stammte aus der Welt der Zauberer,
erfüllt von Mitgefühl und einer sanften Natur.
Das andere Wesen entsprang der Geisterwelt,
mit einer tief verwurzelten empathischen Macht.

Es wurde gesagt, dass ihre vereinte Magie die Dunkelheit vertreiben konnte,
doch nur gemeinsam hatten sie die Kraft,
die magische Welt vor ihrem Einzug zu bewahren
und sie in ihrem wahren Glanz erstrahlen zu lassen.



Nanistra zitierte die Prophezeiung, in der über Mojalian und Lililja berichtet wurde.

In ihrer Verbundenheit lag das Geheimnis,
das das Gleichgewicht der Magie bewahrte.
Die Magie des Mitgefühls und die empathische Stärke,
die alles erfassen und erklären konnte.

Doch sollten sich die beiden Wesen
in den dunklen Stunden der Nacht verlieren,
würde die Dunkelheit Einzug halten
und die magische Welt in Schatten und Kälte tauchen.

Denn in der Vereinigung der beiden Wesen
lag das Geheimnis und der Schlüssel,
um die Mächte der Dunkelheit zu besiegen
und aus der Welt der Magie zu verbannen.

Sie warteten geduldig auf den Tag,
an dem die beiden Wesen einander finden würden,
um gemeinsam zu kämpfen und das Land der Magie
vor Verlust und Zerstörung zu bewahren.“


Nanistra ließ die Stille bewusst zwischen ihren Worten verweilen, gab ihnen Raum, um in die Herzen der Anwesenden zu sinken. Dann fuhr sie mit fester Stimme fort: „Als Lililja mir von eurer Verbindung über die Grenzen der Welten hinweg berichtete, wusste ich, dass die Zeit der Prophezeiung gekommen war. Überwinde deine Angst, Mojalian. Gemeinsam mit Lililja wirst du den Unda Palata besiegen!“

Lililja beobachtete mit Erleichterung, wie das Zittern, das Mojalian ergriffen hatte, allmählich nachließ. In seinen Augen flackerte ein erster Funke Zuversicht auf. Doch kaum hatte sich seine Furcht gelegt, bemerkte er das Zögern, das sich nun in Lililjas Blick widerspiegelte.

Behutsam suchte er ihren Blick, hielt ihn fest und sprach mit sanfter, eindringlicher Stimme: Mein Herz, du wirst das Licht in dir entfachen − dessen bin ich gewiss. Ich allein werde Ravgor nicht bezwingen können, doch wenn du siehst, dass ich in Gefahr bin, dann wird die Magie in dir erwachen. Sie wird hervorbrechen in dem Moment, da es geschehen muss. Vertraue darauf.

Dann neigte er sich zu ihr, seine Lippen fanden die ihren in einem innigen Kuss − ein stilles Versprechen, das keine Worte brauchte. Die Welt um ihn herum verstummte, als hätte der Augenblick selbst den Atem angehalten. Erst als er sich sanft von ihr löste, kehrten die Stimmen zurück, die Gespräche konnten fortgesetzt werden, als sei die Zeit nur für einen Herzschlag angehalten worden.

Ein Lächeln huschte über sein Gesicht, als er sich an Pranicaras Worte erinnerte. Ja, vermutlich hatte sie recht mit ihrer Einschätzung.



Mojalian fasste wieder Zuversicht und
versuchte, auch Lililja zu ermutigen.

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